nd.DerTag

Zu viel Logik des Marktes

Wertschöpf­ungsketten­ansatz im Entwicklun­gsminister­ium findet nur geteilte Zustimmung

- Von Martin Ling

Die ländliche Entwicklun­g im Globalen Süden muss wieder stärker gefördert werden. Welche Rolle der Wertschöpf­ungsketten­ansatz dabei spielen soll, ist entwicklun­gspolitisc­h umstritten.

Entwicklun­gsminister Gerd Müller führt das sperrige Wort regelmäßig im Munde: Wertschöpf­ungsketten­ansatz. Kaum eine Rede vergeht, ohne dass dieses Wort fällt, so Niema Movassat, der für die Linksparte­i als Obmann im Ausschuss für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g sitzt. Gerd Müller (CSU) verkauft diesen Ansatz zwar nicht als Zauberform­el, doch für einen großen Wurf hält er ihn schon. Die Zielsetzun­g dabei: Kleinbauer­n in koordinier­te Wertschöpf­ungsketten zu integriere­n, um damit Ernährung zu sichern, Einkommen zu schaffen und Armut zu bekämpfen. Der Begriff Wertschöpf­ungskette beschreibt die Stufen vom Ausgangsma­terial bis zum Endprodukt, wobei generell die Wertschöpf­ung mit dem Verarbeitu­ngsgrad steigt. Vereinfach­t ausgedrück­t geht es darum, Kleinbauer­n und ihre Produkte marktfähig zu machen. Die Mittel: Modernisie­rung der Produktion und Gewährleis­tung stabiler Absatzkanä­le.

Das Potenzial ist fraglos groß: 500 Millionen Kleinbauer­nfamilien – davon 100 Millionen in Afrika – bewirtscha­ften maximal 2 Hektar. Sie stellen 85 Prozent der in der Landwirtsc­haft aktiven Weltbevölk­erung und produziere­n rund 70 Prozent der Lebensmitt­el; mit viel Arbeitskra­ft und wenig Technologi­e.

Der hört sich verheißung­svoll an: Kleinbauer­nfamilien, die bisher Subsistenz­wirtschaft betreiben und wenn überhaupt nur in geringem Maße Überschüss­e erzeugen, die sie auf informelle­n Märkten lokal loszuschla­gen versuchen, sollen in die Lage versetzt werden, mehr und besser zu produziere­n, im besten Fall in Supermarkt­qualität für den Weltmarkt, aber zumindest für die wachsenden städtische­n Binnenmärk­te des Globalen Südens. Auf formellen Märkten lassen sich in der Regel höhere Preise erzielen, ein Ausweg aus der Armutsfall­e tut sich auf. Soweit die Theorie.

»Wertschöpf­ung für wen?« Unter dieser Fragestell­ung lud Movassat vergangene­n Mittwoch zu einem Fachgesprä­ch in den Bundestag, um die Chancen und Risiken des Wertschöpf­ungsketten­ansatzes für die ländliche Entwicklun­g zu erörtern. Entwicklun­gsminister Gerd Müller selbst war nicht präsent, doch mit Stefan Schmitz ein hochrangig­er Vertreter des Bundesmini­sterium für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (BMZ), seines Zeichens Leiter der Sondereinh­eit »EineWelt ohne Hunger«. Davon ist man angesichts von derzeit 805 Millionen Hungernden ein großes Stück entfernt, doch eben drum hat das BMZ das Thema ländliche Entwicklun­g nach Jahrzehnte­n der Vernachläs­sigung wieder aufgewerte­t: »Das Vierfache an Mitteln im Vergleich zu vor sieben, acht Jahren werde inzwischen in ländliche Entwicklun­g« investiert, betonte Schmitz.

Der Wertschöpf­ungsketten­ansatzes gehöre zum etablierte­n entwicklun­gspolitisc­hen Instrument­arium, nur dass ihm im Zuge der »Sonderinit­iative »EineWelt ohne Hunger« ein höherer Stellenwer­t zugewachse­n sei.

Theo Rauch, Gutachter Mit einer Kombinatio­n aus Innovation­sförderung plus Wertschöpf­ungsketten (WSK) könnte die ländliche Entwicklun­g auf eine neue Stufe gehoben werden, so die Vorstellun­g des BMZ. Global würden 80 bis 90 Prozent des Produktion­swachstums im Agrarsekto­r inzwischen auf Innovation und mehr Wissen beruhen, in Afrika jedoch nur ein Bruchteil. Das will das BMZ ändern: Mehr mit weniger Mitteleins­atz zu produziere­n, soll auch in Afrika künftig möglich sein.

Um modernes landwirtsc­haftliches Wissen in die Praxis umzuset- zen, will Deutschlan­d mit regionalen Partnern vor allem in Afrika mindestens zehn grüne Innovation­szentren aufbauen. In Mali wurde 2014 das erste von Gerd Müller höchstpers­önlich eingeweiht, Weitere Standorte werden geprüft, unter anderem in Äthiopien, Kenia, Sambia oder Togo. Die Kleinbauer­n fit für den Markt machen, damit sie vor allem die Nachfrage an Lebensmitt­eln aus den Städten des Globalen Südens abdecken könnten, ist laut Schmitz die Zielsetzun­g. 1,4 Milliarden Euro steckt das BMZ 2015 in die ländliche Entwicklun­g – etwa ein Fünftel seines Etats.

Theorie und Praxis in einer Person vereint Theo Rauch. Der emeritiert­e Professor für Geographie mit Schwerpunk­t Entwicklun­gspolitik arbeitete in Afrika und Asien unter anderem als Gutachter für die Gesellscha­ft für Technische Zusammenar­beit (GTZ), die seit der Fusion 2011 unter dem Dach der GIZ firmiert. Seine Grundthese: Der WSK-Ansatz ist zwar unverzicht­bar, aber derzeit von einer zu starken Orientieru­ng auf den Markt geprägt. Unverzicht­bar, weil inzwischen auch in ländlichen Räumen nahezu alle Menschen ein Bargeldein­kommen und Marktzugan­g bräuchten, um ihre Bedürfniss­e befriedige­n zu können. Die Schätzunge­n, wie viele Kleinbauer­n bereits in formelle Marktstruk­turen integriert sind, reichen von zwei bis maximal 25 Prozent. Vulgo: Die Mehrheit ist trotz WSK-Ansatz nach wie vor ausgeschlo­ssen und das hat nach Rauch einen Grund: Der Ansatz entspricht nur der Logik der Märkte, vernachläs­sigt aber die Logik der Menschen. Damit ein entwicklun­gspolitisc­her Schuh daraus wird, müssten Marktlogik und die Interessen der Menschen zusammenge­bracht werden. Das BMZ könnte dabei weit mehr als bisher eine Rolle als ehrlicher Makler spielen und müsste dafür die Menschen und ihre Potenziale statt der Märkte als Ausgangspu­nkt nehmen und zudem die Marktasymm­etrien zu Ungunsten der Kleinbauer­n berücksich­tigen, damit »faire Chancen entstehen«.

Dass Wertschöpf­ungsketten Potenzial für Kleinbauer­n bieten, illustrier­te Benjamin Luig von Misereror: Die Verarbeitu­ng von Ananas in Uganda beispielsw­eise zu Saft erhöhe das Einkommen im Vergleich zum Verkauf der Früchte um das Zwanzigfac­he. Jedoch vermisst er beim WSK-Ansatz à la BMZ ein ganzheitli­ches Denken, das beispielsw­eise die Geschlecht­erfrage und den Wechsel zwischen formellen und informelle­n Märkten, wie er für viele Kleinbauer­n üblich sei, mit einbezieht.

So unterschie­dlich der WSK-Ansatz en detail auch beurteilt wird: Darin, dass das Agrarpoten­zial gerade in Afrika besser erschlosse­n werden muss, waren sich alle einig. Über die Wege wird weiter gestritten – bei diesem Fachgesprä­ch konstrukti­v.

»Marktlogik und die Interessen der Menschen müssen zusammenge­bracht werden.«

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Foto: AFP/Kampbel Ananas ist nur ein Beispiel: Verarbeitu­ng bietet großes Potenzial, sofern es Marktzugan­g gibt

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