Eine Ausbildung zur Hilfe in Afghanistan
Nazir Ahmad Ahmad Shah lernt in Hessen Prothesen-Herstellung
Als Kind verlor er ein Bein, weil er auf eine Mine trat. Um anderen Kriegsopfern in Afghanistan zu helfen, macht Nazir Ahmad Ahmad Shah eine Ausbildung in Deutschland zum Orthopädie-Techniker.
Nazir Ahmad Ahmad Shah lächelt, denn trotz seines schweren Schicksals kann er sich in Deutschland einen Traum erfüllen. Der 25-Jährige lässt sich in Hessisch Lichtenau bei Kassel zum Orthopädie-Techniker ausbilden. Er will in seinem Heimatland Afghanistan Kriegsopfern, die wie er Gliedmaßen verloren haben, mit Prothesen helfen.
»Ich bin im Krieg aufgewachsen«, sagt er. Mit acht Jahren tritt Shah beim Spielen vor dem Elternhaus in Kabul auf eine Mine. »Das linke Bein war bis zum Oberschenkel weg, das rechte Knie zertrümmert. »Damals war richtig heftig Krieg.« Als Kind habe er das fehlende Bein als nicht so schlimm empfunden. »Aber mit 17 bis 20 ist es mit Behinderung sehr schwer. Andere Jungen machen dann viele Sachen, und Du ...« Erst in einem Alter von 20 Jahren habe er das akzeptiert.
Vor sechs Jahren bringt ihn die Hilfsorganisation »Kinder brauchen uns« nach Deutschland, in Gelsenkirchen erhält er seine erste richtige Prothese. »Da habe ich entschieden, diesen Beruf zu erlernen und anderen Leuten in meinem Land zu helfen. Ich kenne das Land, die Leute und ihre Bedürfnisse.« Doch bis zu seinem Ausbildungsplatz war es damals noch ein langer Weg. »Mit einer körperlichen Behinderung ist es nicht leicht, Arbeit zu finden«, erzählt er.
Über den Orthopäden aus Gelsenkirchen gelingt der Kontakt nach Hessisch Lichtenau. »Wenn man die Geschichte von Nazir erfährt, kann man nicht unbeteiligt bleiben. Als ich von seinem Engagement gehört habe, war klar, dass ich ihn nehme«, sagt Alf Reuter, Geschäftsführer von Shahs Ausbildungsbetrieb Lichtenau e.V.. Reuter gehört auch zum Vorstand des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik.
»Das größte Problem war die Arbeitsgenehmigung«, erinnert sich Shah. Nachdem die Behörden überzeugt wurden, dass er nach der Lehre auf jeden Fall nach Afghanistan zurückkehren wird, darf er seine Ausbildung beginnen. »Wir bilden ihn unentgeltlich aus«, betont Reu- ter. Shas Lebensunterhalt finanziert die Hilfsorganisation.
Begonnen hat Shah seine Ausbildung im September 2014 – Prothesen bauen darf er aber noch lange nicht. Zunächst beschäftigt er sich mit Beinschienen und Rollstühlen, die Prothetik steht erst zum Ende der Ausbildung im Plan. Insgesamt bildet Reuter fünf junge Menschen zum Orthopädietechniker aus. Einen Bonus hat Shah aber nicht. »Unsere Leute müssen ihre Leistung bringen – ob Behinderung oder nicht«, erklärt Reuter. Shahs Kollegen unterstützen ihn in der Freizeit, aber auch in der Berufsschule, freut sich der 25-Jährige.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ist eine der wenigen Hilfsorganisationen, die in Afghanistan humanitäre Hilfe für Kriegs- oder Attentatsopfer leisten. Nach eigenen Angaben betreibt die Organisation sieben Prothese-Zentren in Afghanistan, die Rehabilitationsleistungen für Amputierte und andere Menschen mit Behinderungen bieten. »Die Zentren helfen be- hinderten Menschen, ihren Platz in der Gesellschaft zurückzugewinnen, indem sie sie bei der Berufsausbil- dung, mit Mikrokrediten und der Heimerziehung für Kinder unterstützen«, sagt der Sprecher vom IKRK Kabul, Marek Resich. Allein im vergangenen Jahr registrierte das IKRK mehr als 1300 neue Patienten mit Amputationen und stellte mehr als 17 000 Prothesen her.
Fast tagtäglich gebe es Sprengstoffattentate in der afghanischen Hauptstadt Kabul, trotz der Hilfe würden Menschen dann oft nur unzureichend versorgt, sagt Shah. Die Prothesen der Organisationen in Kabul seien zu schwer. »Mein Wunsch ist es, meinen Landsleuten zu helfen. Leute, die ein gutes Bein haben, laufen mit zwei Krücken. Sie brauchen Hilfe, damit sie sich besser bewegen können«, sagt Shah.
Nach Hause wird er aber wohl erst wieder nach Ende der Ausbildung im Jahr 2017 kommen. »Sonst besteht die Gefahr, dass ich nicht zurückkommen kann«, sagt er. »Ich habe auch ein bisschen Heimweh, das ist schon schwer.« Aber er telefoniere regelmäßig mit seinen Eltern und den neun Geschwistern. »Meine Eltern sind Analphabeten. Die sind alle sehr stolz auf mich.«