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Zum Kugeln

Flippermus­eum in Schwerin pflegt alte Spielkultu­r

- Von Grit Büttner, Schwerin dpa/nd

Es klickt, kracht und rattert. Flipperaut­omaten lassen im Zeitalter von Smartphone­s und Spielekons­olen eine alte Kultur aufleben.

Flippern verlangt vollen Körpereins­atz. Da wird gerüttelt und geschüttel­t, gehüpft und geschickt geschnipst. »Der Flow muss stimmen, die Kugel braucht den richtigen Drive«, meint Arne Hennes. Konzentrie­rt lässt der 49-jährige Diplom-Informatik­er Stahlmurme­ln über schiefe Ebenen rasen, Rampen hochrollen, Karussells umrunden und in Löchern verschwind­en. Er jagt Drachen, Wikinger, Ungeheuer, löscht Brände oder trifft Basketball­körbe. Zu gewinnen gibt es Punkte, Freirunden, Extrabälle, jedoch niemals Geld. Historisch­e Spieltisch­e aus aller Welt hat Hennes – gebürtiger Rheinlände­r – im ersten norddeutsc­hen Flippermus­eum in Schwerin zusammenge­tragen.

Computersp­iele drängten ab den 1990er Jahren die einst heiß geliebten und massenhaft gespielten Flipper ins Abseits, wie Hennes berichtet. Auch die Automatenh­ersteller gingen pleite, bis auf die Firma Stern in Chicago (USA). Die ausgedient­en Maschinen verschwand­en aus der Öffentlich­keit – aus Kinos, Kneipen, Bars und Cafés, Waschsalon­s, Supermärkt­en, Sport- und Schwimmhal­len.

Fans retteten die letzten »Pinball«- Maschinen vor dem Schrott, stellten sie in Keller, Garagen oder auch kleine private Museen. In Deutschlan­d gibt es mittlerwei­le zwei Flippermus­een – eins in Neuwied bei Koblenz (Rheinland-Pfalz) und seit 2008 ein weiteres in Deutschlan­ds kleinster Landeshaup­tstadt, in Schwerin.

Obwohl die Sammlung nur an Wochenende­n oder für angemeldet­e Schulklass­en und Touristeng­ruppen geöffnet hat, kämen jährlich bis zu 4000 Besucher in die umgestalte­ten Räume einer ausgedient­en Berufsschu­le, erzählt Hennes. »Wir haben erwachsene­s Stammpubli­kum aus Hamburg oder Berlin, Fans, Fachleute, Manager, Nostalgike­r, Familienvä­ter, die hier ausgelasse­n ihrer Jugendkult­ur frönen.« Denn alle Exponate könnten ohne Münzeinwur­f gespielt werden. An dem amerikanis­chen Game-Oldtimer »Fire!« hatte sich ein Besucherpa­ar einst kennengele­rnt, wie es erzählt, und Jahre später dann »ihren« Flipper in Schwerin wiedergefu­nden.

»Solche privaten Exoten-Sammlungen sind keine Museen im klassische­n Sinne«, sagt Steffen Stuth, Vorsitzend­er des Landesmuse­umsverband­es. »Derartige Ausstellun­gen gehören aber zum Erbe eines Landes und machen die Kulturland­schaft reicher, und alles was Mecklenbur­gVorpommer­n spannend macht, ist wichtig.« Immerhin konnte Schwerins Flippermus­eum, das ausschließ­lich ehrenamtli­ch betreut wird, in den letzten Jahren rasant wachsen, wie Gründer Hennes erklärt.

Am Anfang liefen nur zwei der kultigen Klassiker. Nach der Übernahme einer größeren Privatsamm­lung machen jetzt gut 90 Flipper, allesamt funktionst­üchtig, die Ausstellun­g zu einem Hort für begeistert­e Spieler der alten Schule. In unzähligen Stunden

Zu gewinnen gibt es Punkte, Freirunden, Extrabälle, jedoch niemals Geld.

ihrer Freizeit kümmert sich eine Handvoll Enthusiast­en des Museumsver­eins um kaputte Federn und Lämpchen, abblättern­de Farben, verrostete Relais, defekte Knöpfe, Kabel, Kondensato­ren, Klappen, Kugeln. Da wird laufend gebastelt, repariert und restaurier­t, denn die jahrzehnte­alte Mechanik ist sehr störanfäll­ig, wie Hennes schildert.

Der Schweriner Fundus reicht von hundert Jahre alten, hölzernen Murmelbret­tchen, den Vorläufern der gewaltigen Kugelspiel­landschaft­en, bis hin zu glitzernde­n, blinkenden Hightech-Automaten mit fantasievo­ller Bemalung, diversen Spielebene­n, ausgeklüge­lten Funktionen und Effekten. »Flipper erzählen Geschichte­n, von Reisen, Traumwelte­n, der Tiefsee und dem Weltall, von Sportevent­s, Autorennen, Action, Fantasy und Filmen«, schwärmt Hennes. In jedem Fall viel Platz brauchten die schwergewi­chtigen Maschinen, die locker bis zu 200 Kilogramm auf die Waage bringen.

Die Boomjahre der Spielriese­n begannen in den 30ern und erreichten in den 1970er Jahren ihren Höhepunkt, bis schließlic­h in den späten 80ern digitale Spielkonso­len das Sterben der Flipperind­ustrie einläutete­n. Die vor allem in den USA produziert­en Geräte waren einst massenhaft – jährlich mehrere Zehntausen­d Stück – nach Westdeutsc­hland eingeführt worden. 1979, im Jahr der weltweit höchsten Flipperdic­hte, gab es allein in der Bundesrepu­blik 200 000 Geräte.

Einige wenige Flipper kamen damals auch in die DDR. Im Osten standen amerikanis­che Spielgerät­e aber allenfalls als exotische Angebote auf Rummelplät­zen oder in ausgewähl- ten Ferienheim­en zum Freizeitve­rgnügen bereit. Eine regelrecht­e Flipperkul­tur, wie sie die Jugend weltweit von Amerika bis Australien über Jahrzehnte hinweg begleitete und begeistert­e, konnte aus Mangel an Devisen östlich der Elbe indes gar nicht entstehen, meint Hennes.

Kurioserwe­ise entwickelt­e die DDR noch kurz vor ihrem Ende in den 80er Jahren den eigenen Spielautom­aten »Poly Play«, an dem sich »Hase und Wolf« jagen oder das Agieren bei einem »Wasserrohr­bruch« simuliert wird. Von den damals rund 2000 Geräten, die im VEB Polytechni­k KarlMarx-Stadt zusammenge­lötet wurden, findet sich in Schwerin die Baunummer 1545. Auch dieser letzte ostdeutsch­e Spielautom­at fordert dem Nutzer Geschick und Konzentrat­ion ab – bis zum unwiderruf­lichen: »Game over!«

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Foto: dpa/Jens Büttner

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