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Ein »einsamer literarisc­her Wolf«

Zum 75. Todestag von Michail Bulgakow: Eine Sammlung seiner Tagebücher und Briefe

- Von Karlheinz Kasper

Michail Bulgakow (18911940) – sein Todestag jährt sich am 10. März zum 75. Mal – gilt vielen Menschen in der ganzen Welt als beliebtest­er russische Schriftste­ller des 20. Jahrhunder­ts. Sein Roman »Der Meister und Margarita«, von 1928 bis 1940 geschriebe­n, blieb trotz sechs verschiede­ner Fassungen unvollende­t. Erst 33 Jahre nach dem Tod des Autors in der Hand der Leser, gilt er als ein Gipfelpunk­t der neueren russischen Prosa. Er ist eines der geheimnisv­ollsten Werke der Weltlitera­tur, das Antworten auf fundamenta­le Daseinsfra­gen gibt, ein Kultbuch, das das künstleris­che Schaffen und die ideale Liebe in Zeiten der Verzweiflu­ng und Finsternis preist. In ihm, aber auch in den Romanen »Die weiße Garde« und »Aufzeichnu­ngen eines Toten«, den Dramen, Erzählunge­n und Feuilleton­s Bulgakows ist viel Autobiogra­fisches verborgen.

Mit Bulgakows »Diaries and Selected Letters« (so der Originalti­tel des vorliegend­en Buches 2013 bei Al- ma Classics), einer Auswahl aus Tagebücher­n und Briefen, will der britische Slawist und Übersetzer Roger Cockrell den russischen Schriftste­ller, der sein Leben lang von der Geheimpoli­zei verfolgt, von einer feindselig­en Presse angegriffe­n und einer unbarmherz­ig verstümmel­nden Zensur unterworfe­n wurde, einer neuen Generation nahebringe­n. Sie dürfte sich am ehesten für die Schreiben an Stalin und die Sowjetregi­erung interessie­ren, in denen Bulgakow leidenscha­ftlich um seine demokratis­chen Grundrecht­e rang.

So forderte er 1926 von Alexej Rykow, dem Vorsitzend­en des Rates der Volkskommi­ssare, die Rückgabe seines Tagebuchs und der Erzählung »Hundeherz«, die bei einer Haussuchun­g von der GPU beschlagna­hmt wurden. 1929 richtete er an Stalin, Kalinin, Gorki und den Chef der Hauptverwa­ltung Kunst einen Antrag auf Ausweisung aus der UdSSR: Alle seine Theaterstü­cke und Prosaarbei­ten seien verboten und in der Presse »wütenden Beschimpfu­ngen« ausgesetzt. Da er keine Antwort bekam, schrieb er seinem in Paris le- benden Bruder Nikolai: »Ich bin zum Schweigen verdammt und höchstwahr­scheinlich zum Hungern.«

Am 28. März 1930 wandte sich Bulgakow mit einem längeren Memorandum an die Regierung der UdSSR: Er weigere sich, sich von seinen früheren, in literarisc­hen Werken geäußerten Ansichten loszusagen und zu beteuern, fortan als »ein der kommunisti­schen Idee ergebener Schriftste­ller« zu arbeiten. In zehn Jahren habe die sowjetisch­e Presse sein literarisc­hes Werk ganze drei Mal gelobt und 298 Mal beschimpft, was beweise, dass es in der UdSSR nicht existieren könne. Als Satiriker erlaube er sich, »skeptisch in Bezug auf den revolution­ären Prozess in einem rückständi­gen Land« und kritisch bei der Darstellun­g der »schrecklic­hen Eigenschaf­ten« seines Volkes zu sein. Aufs engste mit der Intelligen­z, der »besten Schicht unseres Landes«, verbunden, wolle er »leidenscha­ftslos über den Roten und Weißen stehen«. Sollte er jedoch »zu lebensläng­lichem Schweigen in der UdSSR verurteilt werden«, möge die Regierung ihm eine Arbeit zuweisen – als Theaterreg­isseur, Hilfsregis­seur, Statist oder Bühnenarbe­iter.

Möglicherw­eise verdankte Bulgakow die Anstellung als Regieassis­tent am Moskauer Künstlerth­eater (1930/36) tatsächlic­h einem Telefonges­präch mit Stalin. Auf seine nächsten Briefe, vor allem die Forderung nach einem Auslandsau­fenthalt, reagierte der Generalsek­retär nicht mehr. Die neuen Stücke über Molière, Puschkin, Peter den Großen und den jungen Stalin wurden verboten. Die Worte, die Bulgakow 1931 in einem Brief an Stalin äußert, bilden das Fazit seines Schriftste­llerlebens: »Auf dem weiten Feld der russischen Literatur in der UdSSR war ich ein einsamer literarisc­her Wolf. Man hat mir geraten, mein Fell zu färben. Ein dummer Rat. Ein Wolf ... wird nie wie ein Pudel aussehen. Man ist mit mir auch umgegangen wie mit einem Wolf. Mehrere Jahre lang hat man mich gejagt nach den Regeln der literarisc­hen Hatz, so wie man ein schon gefangenes Tier im umzäunten Hof hetzt ...«

Cockrell knüpft mit seinem Buch an die Bulgakow-Biografie in Briefen und Tagebücher­n von Julie Curtis an, die 1991 unter dem Titel »Manuskript­e brennen nicht« in der Übersetzun­g von Swetlana Geier bei S. Fischer erschien. Luchterhan­d hat sich bei der Wiedergabe der Bulgakowte­xte für die Übersetzun­gen von Thomas und Renate Reschke entschiede­n, die in der dreizehnbä­ndigen Ausgabe der »Gesammelte­n Werke« (Verlag Volk & Welt 1992-1996) enthalten sind.

Literatur als Staatsange­legenheit in Stalins Reich

Michail Bulgakow: Ich bin zum Schweigen verdammt. Tagebücher und Briefe. Aus dem Russischen von Renate Reschke und Thomas Reschke. Einleitung, Nachwort und Anmerkunge­n aus dem Englischen von Sabine Baumann. Luchterhan­d. 352 S., geb., 24,99 €.

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