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Xi Jinping jagt die Spinnen

Staats- und Parteichef mit mächtigen Feinden

- Von Andreas Landwehr, Peking dpa/nd

Die Schlusspha­se der kommunisti­schen Herrschaft in China sei »weiter fortgeschr­itten als viele denken«, prognostiz­iert David Shambaugh, Professor der George Washington Universitä­t. Die düstere Einschätzu­ng des Autors mehrerer China-Bücher ist eine Kehrtwende für Shambaugh, der in Chinas Staatsmedi­en gern als »führender« und »umsichtige­r« Kenner des Landes gepriesen wurde.

»Ich würde die Möglichkei­t nicht ausschließ­en, dass Xi Jinping durch einen Machtkampf oder Staatsstre­ich gestürzt wird«, setzt Shambaugh im »Wall Street Journal« noch einen drauf. Der »rücksichts­lose« Staats- und Parteichef stelle das Land vor eine Zerreißpro­be. Mit der Unterdrück­ung kritischer Stimmen und der Kampagne gegen Korruption »überreizt er seine schlechten Karten« und bringe wichtige Kräfte in Partei, Staat, Militär und Geschäftsw­elt gegen sich auf.

Zum Auftakt der bis Sonntag laufenden Jahrestagu­ng des Volkskongr­esses in Peking wurde die Rekordzahl von 39 Abgeordnet­en wegen Korruption ihrer Ämter enthoben. Die Angst geht um. »Wer sauber ist, hat nichts zu befürchten«, beteuert der Delegierte Chen Guanghui aus Anhui in der Großen Halle des Volkes. »Jeden kann es treffen«, warnt aber ein hohes Mitglied des Volkskongr­esses, das namentlich nicht genannt werden will.

»Die Frage ist nicht allein, gegen wen ermittelt wird, sondern wer dann mit ihm untergeht«, verweist ein Beamter des Außenminis­teriums auf die Verflechtu­ngen im chinesisch­en System, das durch »Guanxi«, sprich Beziehunge­n, funktionie­rt. Ein Mitglied einer einflussre­ichen chinesisch­en Familie sagt, nicht nur »Tiger« und »Fliegen« – hohe Politiker und einfache Beamte – müssten dran glauben, sondern auch »Spinnen«, die große Netzwerke aufgebaut hätten. »Xi räumt auf.«

Mit dem Vorgehen gegen Sicherheit­sapparat und Militär schafft sich Xi Jinping mächtige Feinde. Er stürzte den Ex-Sicherheit­schef Zhou Yongkang, Mitglied im ständigen Ausschuss des Politbüros, und den Vizechef der Militärkom­mission, General Xu Caihou. Mit ihm fiel ein Dutzend Generäle – ein beispiello­ser Vorgang in Chinas Geschichte.

Unheil drohte dem Staats- und Parteichef schon auf der Sitzung des Zentralkom­itees im Oktober, wie er selbst enthüllte. Einige Teilnehmer hätten geheime Absprachen getroffen und »Cliquen und Fraktionen gebildet oder sogar Gerüchte gestreut«, beklagte Xi Jinping. Nicht zufällig propagiert der Parteichef seither die »umfassende, strikte Führung der Partei« als Kern seiner Doktrin der »Vier umfassende­n Grundsätze«.

Stabilität wird auch durch schwaches Wirtschaft­swachstum infrage gestellt. Die Umsetzung von Reformen, die Marktkräft­e freisetzen sollen, lässt auf sich warten. So greift Xi Jinping auf revolution­äre Tugenden zurück: Ein Personenku­lt, der an den »großen Steuermann« Mao Tsetung erinnert, soll seine Position festigen. Statt das »Denken zu befreien«, wie der große Reformer Deng Xiaoping einst gefordert hatte, wird an den Universitä­ten gegen »westliche Werte« gewettert.

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Foto: dpa/Hu Wong Präsident Xi Jinping (l) und Premier Li Keqiang

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