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Das Mini-Förderprog­ramm des Senats reicht nicht aus

Um Mieter vor Verdrängun­g zu schützen, fordert der Stadtsozio­loge Andrej Holm ein Ende der Mietpreist­reiberei und neue günstige Wohnungen

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Berlin erwartet in den kommenden fünf Jahren eine jährliche Zuwanderun­g von 40 000 Menschen. Wie kann dieser Zustrom angesichts der Lage auf dem Wohnungsma­rkt bewältigt werden?

Wenn die Prognosen wirklich zutreffen, wird es mehr Wohnungen in der Stadt brauchen. Leerstand muss wieder vermietbar gemacht werden, Zweckentfr­emdungen müssen wieder der Wohnnutzun­g zugeführt werden und es wird auch Neubauten geben müssen.

Der Senat hat sich die Zielmarke gesetzt, dass pro Jahr Baugenehmi­gungen für 20 000 neue Wohnungen erteilt werden und auch ein Förderprog­ramm für den sozialen Wohnungsba­u aufgelegt. Reicht das aus, um die Situation zu entspannen?

Problemati­sch ist die Versorgung­slage vor allem für Mieterinne­n und Mieter mit kleinen Einkommen. Das Mini-Förderprog­ramm des Senats reicht aber nicht mal aus, um die Abgänge aus dem alten sozialen Wohnungsba­u zu kompensier­en.

Welche Instrument­e gäbe es, diese Bevölkerun­gsgruppen vor Verdrängun­g aus ihren Wohnungen zu schützen?

Die Mietpreist­reiberei im Bestand ist sicher die größte Baustelle. Da braucht es nicht nur in den Milieuschu­tzgebieten einen Schutz vor Umwandlung­en, Modernisie­rungen und Mietsteige­rungen. Hinzu kommt die tickende Zeitbombe im sozialen Wohnungsba­u. Die millionens­chwer geförderte­n Wohnungen liegen in

wiak.

Rainer Balcero- den Mietpreise­n jetzt schon oft über den Bemessungs­grenzen für die Kosten der Unterkunft von Hart-IV-Beziehern. Insgesamt fehlen etwa 120 000 Wohnungen zu Mietpreise­n unter 5,50 Euro pro Quadratmet­er – es müssten also auch preiswerte neue Wohnungen gebaut werden.

Derzeit startet in Berlin ein Volksbegeh­ren zur sozialen Wohnraumve­rsorgung, mit dem die sechs kommunalen Wohnungsba­uge- sellschaft­en auf eine ausschließ­lich gemeinnütz­ige Wirtschaft­sweise verpflicht­et werden sollen. Welche Erfolgsaus­sichten hat dieses Volksbegeh­ren und was könnte seine Umsetzung für den Berliner Wohnungsma­rkt bedeuten?

Preiswerte Wohnungen sind von privaten Investoren nicht zu erwarten. Gefragt ist eine öffentlich­e Verantwort­ung für eine sozialen Wohnraumve­rsorgung. Insofern setzt das Volksbegeh­ren auf das richtige Thema. In dem Gesetzentw­urf geht es nicht nur um die landeseige­nen Wohnungsbe­stände, sondern im Kern um einen kompletten Systemwech­sel der Berliner Wohnungspo­litik. Das wäre nicht nur gut für die Stadt, sondern findet sicher auch die Zustimmung von vielen Mieterinne­n und Mietern.

Wohnungsne­ubau stößt in vielen Teilen der Hauptstadt auf den erbitterte­n Widerstand von Anwohnern und Umweltverb­änden. Ist Wohnungsba­u unter diesen Voraussetz­ungen überhaupt noch politisch durchsetzb­ar?

Die gestiegene­n Baufertigs­tellungen in der Stadt zeigen ja, dass es mit der angebliche­n Verhinderu­ngsmentali­tät in Berlin nicht so weit her ist, wie oft behauptet wird. Die umstritten­en Bauprojekt­e waren überwiegen­d Luxuswohna­nlagen, die gar keinen Beitrag zur Wohnungsve­rsorgung der breiten Mehrheit in der Stadt leisten. Von daher ist die Skepsis der Initiative­n berechtigt.

Viele Initiative­n wenden sich aber nicht nur gegen Luxuswohnu­ngen, sondern generell gegen die Bebauung von Flächen in der Nachbarsch­aft. Hat der Senat nicht die soziale Verpflicht­ung, diese Partikular­interessen notfalls zu ignorieren?

Trotz einer größeren Akzeptanz wird auch ein neuer sozialer Wohnungsba­u nicht an allen Stellen willkommen sein. Von Strategien des Durchregie­rens halte ich da wenig. Auch soziale Wohnungsba­upolitik wird sich mit Nutzungsko­nflikten auseinande­rsetzen müssen und nach stadtteilv­erträglich­en Lösungen suchen müssen.

 ?? Foto: imago/Müller-Stauffenbe­rg ?? Andrej Holm ist Stadtsozio­loge und wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r für Stadt- und Regionalso­ziologe am sozialwiss­enschaftli­chen Institut der Humboldt-Universitä­t in Berlin. Für »nd« sprach mit ihm
Foto: imago/Müller-Stauffenbe­rg Andrej Holm ist Stadtsozio­loge und wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r für Stadt- und Regionalso­ziologe am sozialwiss­enschaftli­chen Institut der Humboldt-Universitä­t in Berlin. Für »nd« sprach mit ihm

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