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Singend eine neue Sprache lernen

Mit Musik fällt vieles leichter – auch der Erwerb von Deutschken­ntnissen

- Von André Jahnke, Regensburg dpa/nd

Die deutsche Sprache ist der Schlüssel für gesellscha­ftliche Teilhabe. Stupides Vokabeller­nen ist für Kinder jedoch wenig reizvoll. Ein Projekt in Regensburg vermittelt die Sprache mit Hilfe der Musik.

Mit übertriebe­nen Gesten verstärkt der Professor seine Worte auf Deutsch. Hochkonzen­triert folgen die acht bis elf Jahre alten ausländisc­hen Kinder in der Von-der-Tann-Schule in Regensburg Magnus Gaul. Der Leiter des Lehrstuhls für Musikpädag­ogik an der Uni Regensburg singt den Kindern auf Deutsch vor, und sie singen den Text nach, obwohl sie eigentlich kaum oder gar nicht Deutsch können. Seit fast einem Jahr läuft die Kooperatio­n »Spring« (Sprechen und Singen) des Musiklehrs­tuhls der Uni Regensburg und der Grundschul­e in Bayern. In der Übergangsk­lasse lernen die Kinder die ersten Schritte auf Deutsch mit Hilfe der Musik.

»Der Text wird über Akustik gelernt. Die Kinder begreifen grammatisc­he Strukturen über den Gesang«, erläutert Klassenleh­rerin Eva Nagel. 19 Kinder aus 14 Ländern unterricht­et sie in der Übergangsk­lasse - ein Junge ist erst seit einer Woche in Deutschlan­d. Die Kinder kommen aus allen sozialen Schichten. Kinder von ausländisc­hen Professore­n, die in Regensburg arbeiten, sitzen neben Flüchtling­skindern aus Kriegsgebi­eten. Eines haben sie gemeinsam – Deutsch als Zweitsprac­he und die Freude an der Musik.

Als die Lehrerin den zweiten Teil der Stunde übernimmt und die Kinder zu sich bittet, um im Kreis zu singen, bleibt Sofia aus Kosovo an ihrem Platz stehen, weil sie die 38-Jährige nicht versteht. Ihre Nachbarin sieht das zögernde und leicht verunsiche­rte Mädchen, nimmt es an die Hand und führt es mit sich. »Wir helfen uns gegenseiti­g. Ich frage eine Freundin, und sie übersetzt dann«, sagt die neunjährig­e Quene aus Mosambik. Viele der Kinder sprechen zwei oder drei Sprachen, nur noch kein Deutsch.

»Das soziale Gespür bei den Kindern ist enorm. Jeder kennt das Gefühl, das erste Mal in die Klasse zu kommen, wenn alles neu ist«, erklärt Schulleite­r Bernd Paulus. Sein Büro liegt direkt neben dem Klassenrau­m. »Ich kann jedes Mal die Begeisteru­ng von den Lehrern und den Schülern hören.« Die Schule sei für viele Kinder das, was noch am Normalsten läuft in ihrem Leben.

220 Kinder gehen auf die Von-derTann-Schule – in zwei Übergangsk­lassen lernen 40 ausländisc­he Kinder Deutsch, zehn Stunden in der Woche. »Wenn sie dem Unterricht auf Deutsch folgen können, kommen sie in die Regelklass­en«, erklärt Paulus. Manche Kinder können bereits nach wenigen Monaten wechseln. Die Musik, sind sich Professor, Schulleite­r und Lehrerin einig, ist dabei der Schlüssel.

»Mir ist ein solches Projekt in Deutschlan­d nicht bekannt. Dabei hat die Musik auch eine therapeuti­sche Wirkung«, sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverb­andes, Josef Kraus, aus Landshut. Zum Glück gebe es solche Initiative­n motivierte­r und engagierte­r Lehrer. »Die Politik hat sich der Problemati­k nämlich noch

Schulleite­r Bernd Paulus nicht angenommen«, betont Kraus. Nach seiner Einschätzu­ng gibt es derzeit in Deutschlan­d allein 40 000 schulpflic­htige Flüchtling­skinder. »Diese Kinder brauchen Betreuung und Unterricht von profession­ellen Teams.« Hier müsse die Regierung deutlich mehr investiere­n.

»Musik ist eine hervorrage­nde Methode, um das Innere der Kinder rasch zu erreichen, Hemmungen in der Sprachanwe­ndung abzubauen und sprachlich­e Muster unverkramp­ft zu trainieren«, betont Professor Gaul. Musik in Verbindung mit Mimik und Gestik eröffne den Zugang zu einer neuen Sprache. Hinzu komme die Leidenscha­ft, die Kinder und Lehrer in den Übergangsk­lassen zeigten. »Ohne Emotionen ist die Lehre vergebens.« Er ist so sehr von der Kooperatio­n überzeugt, dass im April einige seiner Studenten den Unterricht in der Übergangsk­lasse begleiten werden. »Ich habe ein wenig vorgeschnu­ppert und bin sicher, dass diese Art der Praxis perfekt für angehende Lehrer ist.«

Auch die Familien profitiere­n von den raschen Fortschrit­ten der Kinder. »Die Kinder übersetzen Briefe und sie managen die Gespräche der Eltern, die oftmals kein Deutsch können, bei der Bundesagen­tur für Arbeit«, erklärt Lehrerin Nagel.

»Das soziale Gespür bei den Kindern ist enorm. Jeder kennt das Gefühl, das erste Mal in die Klasse zu kommen, wenn alles neu ist.«

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Foto: dpa/Armin Weigel Begeisteru­ng beim Lernen

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