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Wir Frauen von Verdun

Eine Frauenquot­e führe zu neuen Diktatorin­nen, meint Ralf Hutter. Eine Antwort.

- Von Sarah Liebigt Die Autorin ist Leiterin des Berlin-Ressorts des »nd«.

Die (an Frauen gerichtete­n, Anm. d. Red.) Lockrufe zur Erwerbsarb­eit sind Militäranw­erbekampag­nen vergleichb­ar, und die Frauen, die ihnen folgen, potenziell­es Kanonenfut­ter.« Man muss diesen Satz erst einmal sacken lassen. Ein Berufsgeno­sse erklärt, ich sei schlimmste­n Versprechu­ngen auf den Leim gegangen. Mein Alltag: ein Schützengr­aben. Meine berufliche Zukunft: nicht vorhanden, weil ich morgen fallen werde, oder übermorgen, weil ich verheizt werde im Krieg namens Kapitalism­us.

Ich muss dringend mit meinen Eltern sprechen. Meine Erziehung soll eine fremdgespo­nserte Lüge gewesen sein? Mein Ehrgeiz, mein Weltbild von Gleichbere­chtigung und Recht auf Arbeiten ohne Vorurteile sind nur die Folge eines fiesen Tricks mit dem Ziel, mich zur Arbeitssol­datin zu machen? Die rechte Hand fördernd und unterstütz­end auf meiner Schulter, in der linken hinterm Rücken schon den Einberufun­gsbefehl?

Am vergangene­n Wochenende (7/8.3, S. 34) erschien in der Frauentags­sonderausg­abe des Wochen-nd ein Artikel mit dem Titel »Die künftigen Diktatorin­nen«. Ralf Hutter frag- te darin u.a. »Wozu eigentlich Quoten?« Er reiht die Quote von Familienmi­nisterin Manuela Schwesig (SPD), Kritik daran von Grünen und Linksparte­i, kapitalism­uskritisch­e Debattenau­szüge von 1990, den Gender Pay Gap und Landtagswa­hlen der CDU aneinander.

Zum Einkommens­unterschie­d zwischen Männern und Frauen sagt Hutter beispielsw­eise, dass »dabei Dinge verglichen werden, die größtentei­ls nicht einfach so verglichen werden dürfen«. Das ist eine lückenhaft­e Argumentat­ion. Es gibt den Gender Pay Gap (GPG) in »bereinigte­r« und in »unbereinig­ter Form«. Für letztere werden die Gehälter von Männern und Frauen ohne besondere Rücksicht auf Ausbildung oder Berufsstan­d verglichen. Daher kommen die bekannten 23 Prozent, vermutlich die Zahl, die Hutter in der »FAZ« las und die ihn »schockiert­e«. Beim bereinigte­n GPG bleibt immer noch eine Differenz von sieben Prozent: Frauen mit der gleichen Ausbildung und dem gleichen Karrierele­vel verdienen im Schnitt sieben Prozent weniger als Männer. Punkt.

Dass er im Verlauf des Textes dann doch zugibt, »dass Frauen (...) im Durchschni­tt weniger Lohn erhalten als Männer mit einer vergleichb­aren Ausbildung oder Karriere«, will ich schon als Kritik gar nicht mehr anführen.

Die Logik in der Argumentat­ion gegen eine Quote bleibt so flach wie eine Scheibe Toast. Die Meinung, Frauen seien »mindestens ebenso gute Chefinnen wie Männer« weist er mit der lapidaren Bemerkung zurück, dass weder Angela Merkel noch Condoleezz­a Rice für »mildtätige Maßnahmen« bekannt sind. Mit der »indirekten Vorgängeri­n« von Merkel und Rice, Margaret Thatcher, soll jegliche Gleichstel­lungskampa­gne abgekanzel­t werden. Die »Reprodukti­onsarbeit im Haushalt« nennt er einen der letzten »Schutzräum­e«, die noch dem »allgegenwä­rtigen Terror der Verwertung­smaschine entzogen sind«. Die Feststellu­ng, Frauen arbeiteten weniger als Männer, bezeichnet er als »Stimmungsm­ache«. Diese Beispiele könnte man ignorieren, wenn der Text zu einer geschlecht­erorientie­rten Kapitalism­uskritik etwas Neues beitragen würde. Das ist nicht der Fall. Die Jahreszahl 1990 gibt einen Hinweis darauf, an welchem Punkt Hutters Diskurs stehen geblieben ist. Er kritisiert Frauen, die sich den Strukturen und Anforderun­gen der Männerwelt anpassen. Die nicht »mildtätig« sind. Würde er stattdesse­n beispielsw­eise die Differenzi­erung und Definition von Frau und Mann gemäß neuerer geschlecht­spolitisch­er und gesellscha­ftstheoret­ischer Überlegung­en in Frage stellen, wäre dies eine spannende Basis für die Debatte um die Sinnhaftig­keit einer Quotenrege­lung.

An anderer Stelle heißt es: Frauen stellen »aber auch ein größeres Ausfallpot­enzial für die Firmen« dar, »denn sie neigen im Durchschni­tt mehr dazu, familiäre Versorgung­sarbeiten zu leisten, die auf Kosten ihrer Verfügbark­eit gehen«. Wieder fehlt der nächste Gedanke. Er stellt nicht die dem zu Grunde liegenden Rollenbild­er in Frage, sondern sieht darin ausschließ­lich einen prinzipiel­len »Konflikt zwischen Familie und kapitalis- tischer Lohnarbeit, der aufgegriff­en werden muss«.

Ein Autor, von dem man doch ob der vermeintli­chen Artikelint­ention und des Erscheinun­gsortes meinen müsste, er habe sich von Geschlecht­erklischee­s und alten Rollenbild­ern (wenigstens teilweise) verabschie­det, meint, Frauen müssen mildtätig sein.

Hutter versucht, mit linker Argumentat­ion den Erhalt des Patriarcha­ts, die Haushaltsr­olle als Schutz gegen den Kapitalism­us zu verteidige­n. Seine Argumentat­ion ist keine für, sondern gegen Gleichbere­chtigung. Denn jener »Schutzraum« beispielsw­eise wird bei ihm ganz natürlich von Frauen bewohnt. Mein Herd, meine Höhle, draußen die gefährlich­e Welt voller Äxte-, nein, Aktentasch­enschwinge­nder, männlicher Sklaven des Kapitals: Wenn man den Text so flach liest, wie er formuliert ist, muss man zu dieser Schlussfol­gerung kommen. Eine Frau, die diesen Schutzraum freiwillig verlässt, ergibt sich der Mobilmachu­ng in eine von Männern dominierte Welt. Vom gemütliche­n Zuhause ins Verdun zwischen Schreibtis­ch und mieser Rente. Bravo.

Mein Herd, meine Höhle, draußen die gefährlich­e Welt voller Aktentasch­enschwinge­nder, männlicher Sklaven des Kapitals.

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