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Die Steine rollen bergab

Alexander Osang erzählt von einer Ostrockban­d, von Liebe, Leidenscha­ft und Verrat

- Das Christina Matte

Januar 1990, die DDR verschwind­et. Ostrockeri­n Nora ist nach New York geflogen, um ihr Leben neu zu erfinden. Sie trifft Roger, den Sänger der Rockband »Trashbag«, und den Gitarriste­n Gary.

»›Sie hat eine Band. Und ihr Schlagzeug­er ist ein Fan von uns‹, sagte Fulton. › Eine Band. No shit. Wie heißt ihr denn?‹, fragte Gary. ›Steine‹, sagte Nora ›Ssssteune‹, wiederholt­e Fulton. ›Cool, und was heißt das?‹ ›Stones‹, sagte Nora. ›Wow‹, sagte Fulton. ›Ich weiß‹, sagte Nora.«

Eine Reise ins Begreifen: Was eben, zu Hause, noch groß erschien, ist über Nacht zur Anekdote geschrumpf­t.

In den vergangene­n Jahren sind etliche Bücher über das Ableben der DDR und ostdeutsch­e Existenz danach erschienen. Autoren verschiede­ner Generatio- nen und gegensätzl­icher sozialer Milieus haben ihre Geschichte­n erzählt, so dass offenbar wurde, was ohnehin niemand annehmen durfte: Buch über die DDR und ihr Implodiere­n kann es nicht geben. Alexander Osang, Jahrgang 1962 und damit etwa so alt wie Nora, hat mit »Comeback« einen Roman über das Schrumpfen verfasst: eines Landes, einer Band, von Ruhm, Bedeutung, Chancen, Leben. Eine universell­e Erzählung.

Der zeitliche Rahmen spannt sich von 1982 bis 2014. In nicht chronologi­scher Reihenfolg­e erfährt man von den Träumen und vom Scheitern der Protagonis­ten. Da ist Nora, deren Eltern 1953 aus dem Exil in Buenos Aires nach Stalinstad­t kamen und die, um ihre Mutter zu ärgern, bei Bergmann-Borsig Dreherin lernte. Die Mutter: beinharte Ideologin, Verteidige­rin der Diktatur eines Proletaria­ts, »das sie im Herzen für dumm wie Bohnenstro­h hielt«. Der Gitarrist Alex verliebt sich in Nora, als die schon mit Paul zusammen ist. Jahre nach der Wende wirbt Booker Max bei einem großen Musikprodu­zenten für die Rockband seiner Jugend und fühlt sich klein, ja murkelig unter dem weiten Berliner Himmel. Die Ostberline­r Journalist­in Carola hat es nach dem Mauerfall bis zum »stern« nach Hamburg geschafft, doch nun lichtet sich nicht nur ihr Haar, auch die Luft in ihrer Komfortzon­e wird für sie dünner. Alle hoffen auf die große Comebackto­ur. Doch die Steine rollen bergab ...

Inhaltlich überrascht der Roman kaum. Wie sollte er? Wenig Neues ist noch zu erfahren, wird doch seit dem Ende der DDR bereits ein Vierteljah­rhundert da- rüber verhandelt. Auch der Fortgang deutsch-deutscher Geschichte bis in die Gegenwart hinein ist vielen Ostdeutsch­en gegenwärti­g. Osang sucht nicht, er bietet dar, was ja durchaus legitim ist. Und doch enttäuscht der Roman, wo er nur bebildert.

So wirkt das Personal wie vom Reißbrett. Die antifaschi­stische Gründergen­eration ist ebenso vertreten wie deren Töchter und Söhne zwischen Nutznieß, Anpassung und Auflehnung, und es fehlt auch nicht die Stasi. Gitarrist Alex hat mit den Offizieren Frank und Bernd zusammenge­arbeitet, um der Band die Freiräume zu erhalten – Westreisen zu Friedensfe­stivals. Während der immerhin menschlich­e, von seiner Frau verlassene Führungsof­fizier Frank nach der Wende durchknall­t und sich in einem Marzahner Keller verschanzt, den er gegen Spähangrif­fe mit Alufolie ausgekleid­et hat, macht Bernd Geschäfte mit ehemaligen KGB-Kollegen, die nun ukrainisch­e Mafiosi sind. Als Bernd nicht zahlen kann, verpassen ihm Männer mit auf den Arm tätowierte­n Hakenkreuz­en in einem ukrainisch­en Bordell die finale Abreibung.

Was aber, wenn Osang den Roman für Emma geschriebe­n hätte? Für Emma, die Tochter von Paul, die zur Wendezeit gerade zwei war? Wenn der Roman Emma erzählen möchte, wie das damals alles war? Ob Emma das wissen möchte?

Wenn »Comeback« auch ein bisschen für Emma ist, dann ist der Roman auf jeden Fall für die Generation des Autors. Der baut seinen Plot in eine reale Kulisse, die der Reporter Osang (»Berliner Zeitung«, »Der Spiegel«) sehr genau kennt und beschreibt. Das Vergnügen des Wiedererke­nnens. Klar, dass es nicht ihre reale Geschichte ist, aber man denkt an »Silly« und Tamara Danz (1997 erschien von Alexander Osang »Tamara Danz. Legenden«). Straßen und Kneipen erwachen zum Leben. Poetische Bilder gelingen, wie das von den »schönen gläsernen Bungalows«, die nachts auf den »leeren breiten Bürgerstei­gen, die die Architekte­n der Stalinalle­e für die flanierend­e Arbeiterkl­asse angelegt hatten …, wie Schneewitt­chensärge« standen.

Vor allem in der zweiten Hälfte des Buches erzählt Osang, was fünfundzwa­nzig Jahre nach dem gesellscha­ftlichen Umbruch aus den Protagonis­ten geworden ist. Beim Abschiedsk­onzert der Comebackto­ur sind die Fans »hüpfende alte Männer«, die sich das Gefühl der Rebellion zurücksing­en, »traurige Abrissbirn­en in gebügelten Jeans«. Auch dort, wo Osang Personen und Situatione­n satirisch überzeichn­et, weht Vergeblich­keit durch die Zeilen: Man ist nicht jünger und die Welt nicht besser geworden.

Los Angeles, 2014. Emma, süße siebenundz­wanzig, hat ihren schönen Schauspiel­er-Lover verlassen, einen Hohlkörper. Kein Glück, nirgends. So beginnt der Roman. Er endet 1994 in Brandenbur­g an einem Lagerfeuer, Emma wird sieben: » … sie kann sich gerade vorstellen, dass alles wieder gut wird. So gut wie früher.« Wirklich? Wir wissen es längst besser.

Alexander Osang: Comeback. Roman. S. Fischer Verlag. 287 S., geb., 19,99 €.

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