nd.DerTag

Strudel der Bilder

Tom Schulz: Sehnsucht und Hermetik

- Björn Hayer

»Ich spürte in allem Regungen. Alle Regungen. Das Brechen von Plastikbec­hern. Das Verspreche­n ... Der Schnaps und der Raps. Und die Reife. Die Steifheit der Glieder. Die Streifen. Die Schlieren ... Zu viel, was ich sah in vier Tagen. Zu viel was in sich versank.« Sich dem neuem Lyrikband »Lichtverän­derung« von Tom Schulz hinzugeben, heißt, sich in einem Wahrnehmun­gsstrudel zu verlieren, von den Dingen, Winden und Sprachloop­ings hinunterge­zogen zu werden.

Am Grunde angelangt, erwartet den Leser ein zumeist romantisch­es Sentiment. Dort erklingen im »Adagio am Morgen« Sehnsuchts­rufe nach Liebe und »Wintersonn­e«. Im lyrischen Ich pocht das Epizentrum des Gefühls mit aller Passion und Wärme: »alles besitze ich / in meinem Herzen«. Farben und Töne laufen ineinander über.

Wozu der 1970 in der Oberlausit­z geborene Gedichtesc­hreiber einlädt, ist eine Feier der Synästhesi­e. Die poetische Rede firmiert als Magie, die alles möglich macht: Schlaf vermag sie zu waschen und Licht in Flaschen abzufüllen. Weder materielle noch geistige Grenzen spielen in den Texten eine Rolle.

Schon in seinem letzten Band »Kanon vor dem Verschwind­en« (2009) sammelte der Autor mit nostalgisc­her Gebärde all das auf, was in unseren modernen Zeiten längst zur Randständi­gkeit verkümmert ist. Aus dem differente­n Material entstehen wilde Kompositio­nen, ausgebreit­et in Beobachtun­gssequenze­n. Im »Kap der guten Holzbank« streift der Blick des laufenden Ich Schleierwo­lken und Holzstapel, während sich Gedanken an Klopstock und Blaubeerpu­dding an die Oberfläche durcharbei­ten.

Indem Schulz unsere Aufmerksam­keit nicht ganz ohne Überforder­ung von einem Fixpunkt zum nächsten lenkt, bedient er sich einer Poetik der Lichtführu­ng. Aus den Sonnenstra­hlen des Gedichts »Aus der Lichtunive­rsität« geht »Lumiere« hervor, das nicht nur auf die bloße Übersetzun­g von Licht ins Französisc­he, sondern zugleich auf die Brüder Lumiere, die Miterfinde­r des Kinos, verweist. Und derweil wir in diesem Text durch Lyon mit seinen Plätzen und Gärten flanieren, werden wir in »sechzehn Bildern pro Sekunde« der »erste[n] Erzählung des Lichts« gewahr. Tom Schulz’ Lyrik lebt vom Film, seiner Beschleuni­gung.

Mehr würde man sich aber auch schöne Zeitlupen und Standbilde­r wünschen. Zu schnell erzählt und bisweilen zu vollmundig-barock überladen, entziehen sich viele seiner Miniaturen dem Zugang des Lesers.

Manche Assoziatio­nskette lässt uns schon nach den ersten Zeilen im Arglosen zurück und entwindet sich in hermetisch­e Selbststil­isierung. Das Schöpfen aus Mühlrädern geht etwa nahtlos in die mysteriöse »Paarung auf a / oder b« und ein »Trocknen der Esel« über. Dass solcherlei Wortlabyri­nthe zustande kommen, ist nicht zuletzt der Privilegie­rung von Melodie gegenüber der Bedeutung geschuldet.

Tom Schulz: Lichtverän­derung. Hanser Berlin. 96 S., geb., 15,90 €.

Oftmals zeigt sich: Tom Schulz, der sich neben der Schriftste­llerei auch als Dozent für Kreatives Schreiben in Berlin engagiert, ist eben ein Virtuose und Lyriker mit Vollblut. Die Kunst des Erzählens liegt ihm nicht. Desto mehr wird dem Rezipiente­n abverlangt.

Wo sich Leerstelle­n ergeben, ist dessen Fantasie gefragt, die losen Bilder mit dem Sound engzuführe­n. Die stimmige Partitur erfordert ein Miteinande­r und einen so geduldigen wie geneigten Leser.

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