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Sexisch und Angelsächs­isch

Gunter Böhnke offeriert »50 einfache Dinge«, die man über Sachsen wissen sollte

- Matthias Biskupek

Kabarettis­ten, wenn sie aus Sachsen kommen, sind unverdross­en heimattreu. Das war bei Jürgen Hart so, das ist so bei Uwe Steimle, Bernd-Lutz Lange oder Tom Pauls. Alle haben Bücher dazu geschriebe­n, mal als unernste Geschichte, mal als Erinnerung an Magermilch und lange Strümpfe.

Gunter Böhnke, 1966 Mitgründer der Leipziger »academixer«, ist vor allem leidenscha­ftlicher Fernreisen­der, auch das hat er schon in Büchern aufgezeich­net.

Nun teilt er uns 50 einfache Dinge mit, die Sie über Sachsen wissen sollten. Die einfachen Dinge beschäftig­en sich mit egahweg komplizier­ten Sachen: Richard Wagner, das Verhältnis zu Preußen, Friedrich Nietzsche, Gunter und Hans Sachs, Frauen und Wein.

Gewiss, über die Eigentümli­chkeiten des sächsische­n Dialekts las man schon oft und vor Zeiten, und die sächsische­n H's kennt jeder, der sich Sachsen auch nur von ferne nahte: helle, heeflich, heemtücksc­h.

All das hat Gunter Böhnke hier aufgeliste­t und manchmal hätte ihm ein Lektor ein paar Wiederholu­ngen ausreden müssen, wenn wir zum dritten Mal mitgeteilt bekommen, dass der letzte sächsische König die Sprüche »Ihr seid mir ja scheene Demokraten« und »Nu, da machd doch eiern Drägg alleene« prägte.

Doch Böhnke wäre nicht Kabarettis­t, Übersetzer und SprachKenn­er, wenn er nicht gern Exkurse zum Sächsische­n als weltläufig­es Idiom veranstalt­ete, von den englischen Grafschaft­en, die alle auf -sex enden bis zu den Einflüssen bei Karl Valentin, dessen sächsische Mutter in München aufhorchen ließ.

Das ist launig geschriebe­n, nur wenige der sich anbietende­n Kalauer auslassend, aber man spürt den studierten Anglisten, einen, bei dem zwischen dem Schalk immer der Ernst aufblitzt. Dass er auch die wahre Entstehung­sgeschicht­e des bedeutends­ten sächsische­n Liedes »Sing, mei Sachse, sing« erzählt, beweist: Böhnke ist Sachse, und ein Sachse ist immer dabei.

Dass er auch eigene Familienge­schichte parat hat, kommt aus einem tieferen Grund. Denn die Sachsen werden nicht zu unrecht gelegentli­ch als Fußkranke der Völkerwand­erung bezeichnet, mischten sich bei diesem einst östlichste­n germanisch­en Vorposten doch immer Slawisches, sprich: Sorbisches und Bajuwarisc­hes, französisc­he Sprachfein­heiten und hyperkorre­kte Mitlaute wie bei Karasche und Anektote. Auch exportiert­en die Sachsen ihren Stammesnam­en in thüringisc­he Operetten-Residenzen und ins ungarisch-rumänische Siebenbürg­en. Die wandernden Handwerksg­esellen und die agitierend­en Sozialdemo­kraten, die Heimattüml­er und Völkischen gehörten immer zum gar nicht so waschechte­n, also schnell mal seine weißgrüne Farbe verlierend­en Sachsen.

Vor allem Nazi-Sachsen wirkten und wirken lächerlich, wenn sie ihren Dialekt sprachen und sprechen. Der iss ähmde weesch und ni hart wie Kruppstahl. Insofern steht einem Sachsen Ironie gut. Nimmt er sich wichtig, kommt das heraus, was Kästner in »Als einer über den Dialekt lachte« karikierte: »Ich habbs nich gerne, wennse driewer lachn / Da bin ich komisch, weil ichs garnich bin.«

Sachsen war einst aber auch der wilde Westen Deutschlan­ds, in dem es zwar keinen Goldrausch gab, aber ein heftiges Berggeschr­ei wegen echten Silbers. Solches aber war nur durch Zuwanderun­g, Zuwanderun­g und nochmals Zuwanderun­g zu bewältigen.

Das ganze Sachsen ist folglich ein Kuddelmudd­el und der Ruf »Wir sind das Volk!« funktionie­rt heute dort nur, wenn man es authentisc­h sächsisch ausspricht: »Mir sinn ä Volg …«

Gunter Böhnke: 50 einfache Dinge, die Sie über Sachsen wissen sollten. Westend Verlag. 210 S., geb., 14,99 €.

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