Schwergewicht
Jami Attenberg: Ein schöner jüdischer Roman
Familie, in diesem Fall auch Mischpoke, wiegt schwer. Am schwersten bei den Middlesteins wiegt Edie, früher Anwältin, dann Ehefrau, Mutter und Großmutter dieser in Chicago ansässigen jüdischen Familie. Edie isst für ihr Leben gern und eigentlich mit dem Tod um die Wette. Wie jede Wette mit dem Tod wird sie sie verlieren. Vorher wird sich ihr Mann Richard, mit dem sie über dreißig Jahre verheiratet war, von ihr scheiden lassen. Ihre Tochter Robin, immer noch Single, hält Distanz zu den Eltern. Sohn Benny ist eher hilflos und seine Frau Rachelle will ihre Schwiegermutter vom Fresswahn abbringen. Ihrem Schwiegervater verbietet sie das Haus, weil sie dessen Trennung von seiner inzwischen auf 150 Kilogramm angewachsenen Frau für unanständig hält. Sie sperrt dessen Kontakt zu seinen Enkeln, den Zwillingen, Emily und Josh, die vor ihrer Bar-Mizwa-Feier stehen.
Das ist die Konstellation, auf der die gut vierzigjährige Jami Attenberg ihren Roman entwickelt. Sie nimmt ihre Leser mit in die Familie und in die Synagoge, sie begleitet die schwergewichtige Edie auf ihren Fresstouren, und man lernt die menschlichen Qualitäten dieser klugen Drei-Zentner-Frau kennen. Ihr Mann, der es mit ihr nicht mehr aushält, betreibt in dem jüdisch geprägten Vorort eine letzte von ehemals drei Apotheken, deren Kundschaft überwiegend aus älteren Leuten besteht. Die typischen Streitigkeiten in einer Familie bieten der Autorin die Plattform zur Ausbreitung von Humor und Lebensweisheit. Sie schreibt an der Oberfläche flüssig und unterhaltsam. Erst nach und nach dringt der zuweilen komische existenzielle Ernst durch diese Oberfläche. Am Ende ist die Familie zur Trauerfeier um das Schwergewicht der Familie versammelt.
Attenberg schreibt ihren Roman nicht auf einen Plot hin und überrascht ihr Publikum mit einem menschlichen Verständnis von unerwarteter Seite. Als man sich mit dem Ende arrangiert hat, setzt sie noch eine wunderschöne Knospe der empfindlichen Pflanze Humanität darauf. Herzwärmend ohne jeden Anflug von Kitsch – ein schöner jüdischer Roman, typisch Amerika, nicht intellektuell, aber sehr intelligent, nicht elegant, aber voll sprachlichem, zuweilen auch traurigem Charme.
Jami Attenberg: Die Middlesteins. Roman. A. d. Am. v. Barbara Christ. Schöffling & Co. 264 S., geb, 21,95 €.