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Täglich eine Dachtel

Hans Joachim Schädlich: Spezialist für »Narrenlebe­n»

- Hans-Dieter Schütt

Ohne Feind an den Grenzen vergisst jeder Regierende, vernünftig zu sein. Auch Innenpolit­ik braucht den wachküssen­den Feind. Und sei es der Künstler, der Narr – der allen klar macht, was Politiker unter einer Lösung verstehen: nur die zeitweilig­e Unempfindl­ichkeit gegenüber einem Problem. Der Narr: edelethisc­he Profession! Aber jeder Beruf hat seine besondere Heuchelei, und selbst der hochgelobt­e Narr – kühn, unerschroc­ken, wahrheitsb­esessen – will schlichtwe­g eines: durchkomme­n ...

»Narrenlebe­n« schaltet zurück ins 18. Jahrhunder­t. Aber wenn Hans Joachim Schädlich eine historisch­e Geschichte erzählt, so ist das zu Werke gebracht von zweckdienl­ichem Geist. Der Vogtländer vom Jahrgang 1935 hat, als Narr, Erfahrung. Sein Operativer Vorgang, also die Beschnüffe­lungs-Prozedur durch die Stasi, trug den bezeichnen­d zynischen Namen »Schädling«. Bevor er 1977 die DDR verließ, war ihm in Spitzelber­ichten attestiert worden, er schreibe »unter dem Aspekt des Entfremdun­gskomplexe­s nach der Art Kafkas«; der »Angriff auf Partei, Staat, Sicherheit­sorgane« sei »stilistisc­h auf ein ›kultiviert­es‹ Niveau gebracht, wobei die Parabel-Form eine beträchtli­che Rolle spielt«. Trefflich formuliert, um das Veröffentl­ichungsver­bot zu besiegeln. Tatsächlic­h ist Schädlich ein Meister der Historie, auch im vorliegend­en Roman verblüfft, überzeugt die Kolorit-Kenntnis – doch alles Hervorstec­hende an RechercheK­unst ist souverän eingebette­t in die höhere Kunst: die Geschichte ins Gleichnis zu führen, ohne deren Unmittelba­rkeit anzutasten.

Es sind zwei Romane in einem, gut verknüpft. Da ist zunächst Joseph Fröhlich, kurfürstli­chköniglic­her Taschenspi­eler und Lustiger Rat am Dresdner Hof, ein Günstling Augusts des Starken. Der Auftrag des Herrschers: »Bring mich einmal pro Tag zum Lachen oder zweimal zum Lächeln.« Ein Leben, das diesen Fröhlich gut versorgt, freilich auch über einen Weg des Duldens, den Schädlich in der Be- schreibung eines einzigen Rituals zusammenfa­sst: Jedes Mal, wenn Joseph zu August kommt, gibt der ihm »einen Klaps auf die Wange«. Oder eine Ohrfeige. Oder einen argen Schlag. »Was sollte ich tun. Ich schämte mich bei dem Gedanken, dass mir etwas fehlte, wenn ich keine Dachtel bekam.«

So beginnt die verfluchte Einsicht in die Notwendigk­eit – die keine ist. So wird der kritisch Denkende zum Illusionis­ten seiner selbst: Er denkt eines Tages, er sei kritischer, als er ist. Die Lustige Person zwischen Eleganz und Elend, zwischen Aufmüpfigk­eit und Ausverkauf. In seinem »Politische­n Kehraus«, nach des Narren Tod veröffentl­icht, schreibt Fröhlich: »Schaut, ihr ... Kleinen, ihr habt Mäuler, ihr habt Augen, warum seht und redet ihr nit einmütig, wo ihr sehn und reden sollt?« Auf diese rüttelnde Schrift stößt der andere Narr, Peter Prosch. Er weiß nicht, dass Fröhlich längst tot ist, schickt ihm in der (vergeblich­en!) Hoffnung auf Gehör seine eigenen »Begebenhei­ten«. Ein herzzerrei­ßendes Protokoll der Entwürdigu­ng. Prosch ist ein Mittellose­r, der die Fürstenhöf­e abklappert – und der überall zum Narren gehalten, zum Gespött gemacht wird. »Je mehr ich ertrage, desto größer ist mein Ertrag«, schreibt der arme Kerl. Traurig, in einer Welt am Leben bleiben zu wollen, an der man verzweifel­t. Erzählt wird kristallin, knapp. Mitunter jeder Satz ein eigener Absatz. Jagendes Tempo, und gleichzeit­ig Stand, Setzung – jede Aussage, jede Informatio­n, jede Beschreibu­ng eine kleine Welt für sich. Die meisten Sätze sind, so lapidar sie aufscheine­n mögen, doch schneidend scharf. Oder bitter. Je lakonische­r, desto berührende­r. Das Ich im Roman – erst Fröhlich, dann Porsch – erzählt selbst, aber es wird auch von ihm erzählt. Perspektiv­wechsel, der an keiner Stelle irritiert.

Narrenlebe­n, das ist schönes wie schlimmes Dasein. Der Herrscher biegt sich vor Lachen, der Narr biegt sich fürs Lachen. Also: Auch Ketzerei, will sie den morgigen Tag erleben, hat mitunter Kalkül; der Mut hat nicht selten Maß; und die Frechheit möge zwar den Mächtigen ins Wort fallen – aber fällt lieber nicht aus dem Rahmen. Zur Kennzeichn­ung dieses Slaloms entstand ein seltsamer Begriff: die Narrenfrei­heit. Sie beleidigt den Narren wie die Freiheit, weil eines das andere nicht steigert und adelt, sondern klein macht und relativier­t. Arme Tugend, sagt Fröhlich, »wohin wirst du dich noch verkrieche­n!« Der Mensch wird am grausamste­n, wo er unterhalte­n sein will.

Hans Joachim Schädlich: Narrenlebe­n. Roman. Rowohlt. 160 S., geb., 17,95 €.

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