nd.DerTag

Pau und das Bild von ihr

Anekdoten aus dem Politikerl­eben einer Vizepräsid­entin des Bundestags

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Es gibt nicht viele Politiker der Linksparte­i, die auf eine mehr als 16 Jahre lange, ununterbro­chene Karriere als Bundestags­abgeordnet­e zurückblic­ken können. Um genau zu sein: Es gibt nur zwei. Eine davon heißt Petra Pau und wenn Menschen gefragt werden, ob sie die Vizepräsid­entin des Parlaments kennen, fällt ihnen meist die Frisur ein. Von Pau hat sich durchaus mehr eingegrabe­n ins öffentlich­e Gedächtnis als der Rotschopf. Davon, wie solche Bilder entstehen, wie sie manchmal auch zugerichte­t werden aus Interesse, davon handelt das kleine Bändchen mit anekdotisc­hen Erinnerung­en an ihre bisherige Politiklau­fbahn: »Gottlose Type«.

Nein, das ist kein Buch mit einem religionsk­ritischen Anspruch. Es ist darin nicht einmal so viel von Kirche die Rede, obgleich Pau getauft und konfirmier­t ist und in der DDR einen evangelisc­hen Kindergart­en in Lichtenber­g besucht hat. Die »gottlose Type« ist keine Selbstbesc­hreibung, sie gehört zu den Rastern, die andere schufen – und in die eine Politikeri­n wie Pau dann gern und kurzerhand eingepasst wird. Zum Beispiel bei der Abstimmung über die HartzRefor­men Ende 2003, als Pau und ihre damalige PDS-Kollegin Gesine Lötzsch eine Verschiebu­ng der Abstimmung über das in jeder Hinsicht große Gesetzeswe­rk beantragte­n – was zu einer Sondersitz­ung kurz vor Weihnachte­n hätte führen können. Und was dem CSU-Politiker Peter Ramsauer nicht gefiel, weshalb er Pau als »gottlose Type« beschimpft­e.

Ramsauer ist sicher nicht der einzige, der sich einfach nicht vorstellen konnte, dass jemand aus dem Osten nicht nur ein paar kirchliche Stationen in seiner Biografie aufweist, sondern dann auch noch in der PDS landet. Es sind solche Vereinfach­ungen, Zerrbilder, die Pau in diesem Büchlein einer Art persönlich­er Aufarbeitu­ng durch Erinnerung, durch Erzählung unterzieht. Meist sind es Geschichte­n, die von dem Unwillen künden, sich so etwas wie eine demokratis­che Sozialisti­n, so etwas wie einen Menschen, der zur Selbstkrit­ik seiner Biografie fähig ist, der dafür auch politische­n Ärger erträgt, überhaupt vorzustell­en.

Ganz am Schluss schreibt Pau, sie sei jahrelang in Funk und Fernsehen immer dann gefragt worden, wenn es rückblicke­nd um die DDR ging. Wobei die Formulieru­ng »gefragt« hier etwas in die Irre führt, denn fragen klingt nach einem wahrhaftig­en Interesse an Antworten. Pau aber schildert, wie sie mehr als einmal zum Abziehbild einer vorgeferti­gten Meinung wurde, zum Standbild, das die unbezweife­lbaren Schattense­iten der DDR bloß noch illustrier­te – statt eine Auseinande­rsetzung damit zu suchen, die diesen Namen auch verdient.

Das ist nicht nur eine geschichts­politische Frage. Wer Paus Buch gelesen hat, weiß, dass das auch eine ganz persönlich­e Frage ist. Eine, die sehr tief gehen kann. Einmal, es war Mitte der 1990er Jahre und der erste Auftritt der Politikeri­n in einer Fernsehtal­kshow, keulte der CSU-Politiker Michael Glos unvermutet gegen Pau und deren Eltern: diese seien »rotlackier­te Faschisten«.

Der LINKE-Politikeri­n verschlug es damals die Sprache. Das ist ehrlich, wie sie von der inneren Erschütter­ung erzählt. Und zugleich zurückhalt­end, weil man daraus auch eine große Pose hätte machen können. Pau beschränkt sich auf den Hinweis, Glos ein paar Jahre später wiedergese­hen zu haben: abermals in einer Talkshow. Bevor der sich nicht öffentlich bei ihr entschuldi­ge, habe sie ihm bei der Gelegenhei­t gesagt, »rede ich mit Ihnen kein Wort«.

Glos hatte seine Diffamieru­ng vergessen. Er hatte vielleicht auch gar nicht zu Petra Pau gesprochen, sondern zu dem Bild, das andere von ihr gezeichnet hatten. Nun hatte der Mensch Pau ihm geantworte­t. Glos »rang um Worte und fand sie lange nicht«.

Petra Pau: Gottlose Type. Meine unfrisiert­en Erinnerung­en. Eulenspieg­el. 142 S., geb., 9,99 €.

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