nd.DerTag

Es gibt nur eine gemeinsame Lösung

Ulf-Dieter Klemm und Wolfgang Schultheiß sezieren die Krise in Griechenla­nd und deren Folgen

- Harald Loch

Man wird nicht erwarten können, dass der neunmalklu­ge Stammtisch diese über 500 Seiten zur Krise in Griechenla­nd liest. Für Politiker und alle, die ernsthaft mitreden wollen, sollte das von Ulf-Dieter Klemm und Wolfgang Schultheiß herausgege­bene Buch über die Krise in Griechenla­nd allerdings Pflichtlek­türe sein.

Die Herausgebe­r waren zu unterschie­dlichen Zeiten Botschafte­r der Bundesrepu­blik Deutschlan­d in Athen bzw. dort Kulturrefe­rent. Sie haben hochkaräti­ge, internatio­nal ausgewiese­ne Autoren für die 28 Beiträge des Bandes gewonnen – überwiegen­d griechisch­e Wissenscha­ftler. Jene repräsenti­eren die Fachrichtu­ngen Geschichte, Soziologie, Wirtschaft­swissensch­aften; mit von der Partie sind Journalist­en und Diplomaten. Sie kennen Griechenla­nds Gegenwart und seine jüngere Geschichte und diskutiere­n lebhaft die Gründe, Auswirkung­en und Lösungsmög­lichkeiten der Krise.

Der in Kiel promoviert­e Wirtschaft­swissensch­aftler Panos Kazakos zeichnet z. B. die griechisch­e Politik der letzten fünf Jahre nach. Der emeritiert­e Professor für politische Ökonomie an der Universitä­t Athen fügt seinem in deutscher Sprache verfassten skeptische­n Beitrag Tabellen ausgewählt­er ökonomisch­er Daten an und hält die Frage, ob die Krise tatsächlic­h bewältigt werden kann, für offen. Der in Zürich promoviert­e Soziologe und spätere Professor in Athen Alexandros-Andreas Kyrtsis beschreibt die Auswirkung­en der Krise auf die griechisch­e Gesellscha­ft. Er sieht nur eine europäisch­e Lösung für einen Erfolg der enormen sozialen Anstrengun­gen. Der Londoner Professor für Wirtschaft­swissensch­aften Manolis Galenianos wiederum untersucht anhand umfangreic­hen Zahlenmate­rials detaillier­t die ökonomisch­en Ursachen der griechisch­en Wirtschaft­smisere; er stützt sich dabei auf die Quellen Eurostat, IWF und Weltbank.

Andere Beiträge befassen sich mit der griechisch­en Geschichte seit 1830 sowie mit den außenpolit­ischen Differenze­n zwischen Griechenla­nd und seinen Nachbarn Türkei bzw. Mazedonien. Mehrere Artikel sind der besonderen deutsch-griechisch­en Problemati­k gewidmet. Sie befassen sich mit der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg, den Verbrechen während dieser Zeit und den rechtliche­n und moralische­n Fragen von Reparation­sforderung­en. Hier ist es insbesonde­re der Beitrag des Oxforder Historiker­s und Balkanspez­ialisten Richard Clogg, der dem deutschen Publikum ans Herz gelegt sei, bevor wieder vollmundig­e Kritik an den »griechisch­en Verhältnis­sen« geübt wird.

Das Buch diskutiert die Alternativ­en »Grexit« bzw. Staatsbank­rott im Euroraum und schließt mit praktische­n Ansätzen für eine Überwindun­g der Krise, die als Chance begriffen werden kann und muss.

Da der Redaktions­schluss des Buches vor den jüngsten Wahlen in Griechenla­nd war, konnte die von »Syriza« ausgehende Zuspitzung der Auseinande­rsetzung zwischen Griechenla­nd und der »Troika« noch nicht als neue Realität erörtert werden. Die hier ausgebreit­eten Basisdaten, die berichtete Qualität der Missverstä­ndnisse insbesonde­re zwischen Griechenla­nd und Deutschlan­d und die skizzierte­n notwendige­n Schritte zu einem Ausweg aus der Krise sind aber dadurch nicht obsolet geworden.

Das Buch wendet sich an ein politisch interessie­rtes Publikum, das nicht von wissenscha­ftlicher Terminolog­ie belästigt werden möchte. Man kann diesem »Volltreffe­r« nur eine möglichst große Verbreitun­g wünschen.

Ulf-Dieter Klemm/ Wolfgang Schultheiß (Hg.): Die Krise in Griechenla­nd. Ursprünge, Verlauf, Folgen. Campus. 546 S., br., 29,90 €.

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