nd.DerTag

Kritik allein reicht nicht

Meinhardt Creydt zeigt, wie der Kapitalism­us unnötig werden könnte

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Die Finanz- und Wirtschaft­skrise von 2008/09 hat zwar nicht den Kapitalism­us in Frage gestellt. Aber sehr wohl in den Zentren dieser Produktion­sweise für rege Debatten gesorgt. Selbst bislang Konservati­ve wie der ThatcherBi­ograf Charles Moore oder der verstorben­e Herausgebe­r der »Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung«, Frank Schirrmach­er, mussten ihr Weltbild korrigiere­n und fingen an zu glauben, dass die Linke möglicherw­eise doch recht habe. Schade nur, dass es dieser kaum genutzt hat. Zwar ist die neoliberal­e Ideologie ein wenig angekratzt, mitunter wurde auch eine etwas sozialere Sozialund Wirtschaft­spolitik initiiert. Doch weder die Umverteilu­ng zulasten der lohnabhäng­igen Klassen noch die strukturel­le Überakkumu­lation von (Finanz)Kapital wurde beendet. Und ob Syriza in Griechenla­nd das Ruder herumreiße­n kann – es scheint fraglich.

Eine Ursache für die Schwäche der Linken liegt auf der Hand: Der kapitalism­uskritisch­en Linken fehlt es angesichts des Scheiterns des sowjetisch­en Weges an einem positiven Beispiel eines funktionie­renden demokratis­chen Sozialismu­smodells, ja es fehlt an überzeugen­den Modellen, wie eine nachkapita­listische Gesellscha­ft überhaupt aussehen könnte. Begriffe wie Solidarisc­he Ökonomie oder Postwachst­umsge- sellschaft versuchen, dieses Vakuum zu füllen.

Aber es gibt auch in der marxistisc­hen Tradition stehende Autoren, die in ihren nach 2008 erschienen­en Büchern über die »kommende Gesellscha­ft« diskutiere­n (Raul Zelik mit Elmar Altvater), den Weg in einen offenen Sozialismu­s skizzieren (Beat Ringger) oder Perspektiv­en der Emanzipati­on ausloten (Raul Zelik).

Hierin reiht sich das anzuzeigen­de Buch von Meinhardt Creydt ein. Von den genannten unterschei­det sich »Wie der Kapitalism­us unnötig werden kann« vor allem durch seinen Anspruch. Es ist »harte Kost«, wie es bereits in einer Besprechun­g von Creydts »Theorie der gesellscha­ftlichen Müdigkeit« aus dem Jahr 2000 hieß. Dies vor allem, weil der Autor, Psychologe und Soziologe, bedauerlic­herweise einer akademisch­en Sprache verhaftet bleibt. Des Weiteren aber auch, weil sich seine Argumentat­ion auf einem sehr hohen theoretisc­hen Niveau bewegt. Für eine Seite Creydt benötigt man doppelt so lange wie für das durchschni­ttliche etwas anspruchsv­ollere Sachbuch. Gleichzeit­ig jedoch ist diese Komplexitä­t auch der Vorteil von Creydt. Wenn man sich Zeit nimmt, sich auf den Text einlässt, wird man viel von dem Buch lernen können.

Worum geht es? Creydt will zeigen, dass es nicht reicht, den Kapitalism­us zu kritisiere­n. Denn solange er als »alternativ­los« erscheint, wird die Kritik den Kapitalism­usbefürwor­tern keine Sorgen bereiten. Um aber Alternativ­en zum Kapitalism­us zu entwickeln, benötigt es Dreierlei: ein »Positivsze­nario von in Deutschlan­d gegenwärti­g ansatzweis­e vorfindlic­hen Erfahrunge­n, Bewusstsei­nsinhalten und sozialen Kräften, die zu einer Überwindun­g der grundlegen­den Strukturen des kapitalist­ischen Wirtschaft­ssystems beitragen können«.

Zweitens braucht es Konzepte von Strukturen der nachkapita­listischen Gesellscha­ft, die der Komplexitä­t moderner Gesellscha­ften gewachsen sind. Und drittens hält Creydt ein Paradigma der nachbürger­lichen Lebensweis­e für unabdingba­r. Ihm ist es ferner wichtig – anders als meist in der linken Tradition –, die »nachkapita­listische Gesellscha­ft nicht im Horizont der vermeintli­ch unverwirkl­ichten Werte der bürgerlich­en Gesellscha­ft« zu konzipiere­n. Er möchte, ohne in den Utopismus zu verfallen, die institutio­nellen Umrisse einer nachkapita­listischen Gesellscha­ft entwickeln. Dabei knüpfen die in dem Buch enthaltene­n Konzepte oft an existieren­de Institutio­nen und Strukturen an – werden ausgeweite­t, modifizier­t und integriert.

Der Autor setzt sich überdies ab von sozialdemo­kratischen Konzepten der Bändigung des Kapitalism­us, von realsozial­istischen Steuerungs­konzepten, Selbstverw­altungsuto­pien und marksozial­istischen Konzepten sowie von technokrat­ischen Vorstellun­gen eines Computerso­zialismus. Ebenfalls in Abgrenzung zu dominanten Strömungen der Linken sind ihm Fragen der Ästhetik und des »guten Lebens« zentral. Creydt spricht vom Unnötigwer­den des Kapitalism­us, weil er voluntaris­tische Tendenzen kritisiert. Kapitalist­ische Strukturen und bürgerlich­e Lebensweis­en lassen sich nicht langfristi­g außer Kraft setzen: »Sie können nur unnötig werden.«

Meinhardt Creydt: Wie der Kapitalism­us unnötig werden kann. Westfälisc­hes Dampfboot. 419 S., br., 29,90 €.

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