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Seit über zehn Jahren ohne Schuldbewe­ise hinter Gittern

Das erschütter­nde Guantanamo-Tagebuch des Mauretanie­rs Mohamedou Ould Slahi erklomm die Bestseller­liste der »New York Times«

- Emran Feroz

Viele Wörter, sogar Sätze und ganze Seiten sind geschwärzt. Sie fielen der US-amerikanis­chen Zensur zum Opfer. Die Zensur ist Teil des Systems, dem unzählige unschuldig­e Menschen zum Opfer fallen. Mohamedou Ould Slahi ist einer von ihnen.

Das Martyrium des Mauretanie­rs nahm früh seinen Lauf. Im Jahr 2000 wurde Slahi, der einst gemeinsam mit der CIA und den afghanisch­en Mudschahed­din in Afghanista­n gegen die sowjetisch­e Marionette­nregierung gekämpft hat, das erste Mal verhaftet – von den mauretanis­chen Behörden. Immer wieder hieß es, er sei in dieses und jenes verstrickt oder mit diesem und je- nem gesehen worden. Konkrete Beweise gab es nie. Sowohl in Deutschlan­d, wo Slahi studierte, wie auch in Kanada, wo er einige Zeit arbeitete, bescheinig­te man ihm eine reine Weste. Aufgrund des Drucks seitens der USA musste die mauretanis­che Geheimpoli­zei ihn jedoch immer wieder verhören. Dessen ungeachtet pflegte Slahi zu den meisten Beamten ein freundscha­ftliches Verhältnis. Dies änderte sich schlagarti­g. 2001 – wenige Wochen nach den Anschlägen des 11. Septembers – wurde er nach Jordanien ausgeliefe­rt. Das dortige Regime zählt zu den engsten Verbündete­n der USA im »Kampf gegen den Terror« und ist für seine Foltermeth­oden berühmt-be- rüchtigt. Mehrere Monate musste Slahi in einem Hochsicher­heitstrakt ausharren. Nachweisen konnten ihm auch die Jordanier nichts. Dann ging es zum Luftwaffen­stützpunkt Bagram in Afghanista­n, der letzten Station vor Guantanamo. Dort sah Slahi, wie greise Afghanen willkürlic­h schikanier­t und gefoltert wurden.

Als Slahi in Guantanamo eintraf, wusste er nicht, wo er war und was ihn erwarten würde. Nach der Dunkelheit in den Kerkern von Amman und Bagram freute er sich über die Sonne, die ihn auf der kubanische­n Insel empfing. Selbst wenn er beim Hofgang verprügelt wurde. Es ist die Sehnsucht nach erhellende­n und wärmenden Sonnenstra­hlen, nach Licht und Freiheit, die in Slahis Buch immer wieder betont wird. Er hat seine Erlebnisse übrigens handschrif­tlich in seiner Zelle verfasst.

Über die Folterprak­tiken in Guantanamo ist schon viel berichtet worden. Nichtsdest­otrotz ist dieser authentisc­he Bericht erschrecke­nd und bedrückend. Wärterinne­n missbrauch­ten und vergewalti­gten Slahi; sie wollten ihm eine Lektion in »amerikanis­chem Sex« verpassen, behauptete­n sie zynisch. Permanente­r Schlafentz­ug, ständige Schläge und Tritte, Gebetsverb­ot und zahlreiche andere Grausamkei­ten sind Alltag im US-amerikanis­chen Gefangenen­lager.

Trotz der Schikane und Qual sieht Slahi seine Peiniger als Menschen an, mögen sie noch so brutal zu ihm sein. Er berichtet nicht nur von sadistisch­en und chauvinist­ischen Wärtern, sondern auch von Aufsehern, die menschlich­e Regungen zeigten, ihm ihr Mitgefühl versichert­en. »Ihr Männer seid meine Brüder«, sagte einer gar. Und eine weibliche US-amerikanis­che Sanitäteri­n gestand einem Häftling, in ihn aufrichtig verliebt zu sein. Auch das ist möglich im Schreckens­lager Guantanamo.

Es sind solche überrasche­nden Einblicke und Eindrücke, die Slahis Buch von anderen Publikatio­nen unterschei­det, vor allem von den autobiogra­fischen Berichten von US-Soldaten, die in den von ihnen gefangen gehaltenen Irakern oder Afghanen nur wilde, völlig entmenschl­ichte Barbaren sehen.

»Ich denke, dass das Buch einen sehr starken Einfluss hat. Nun wissen die Menschen, wie man sich fühlt, wenn man Opfer einer unrechtmäß­igen Gefangensc­haft wird und ständiger Folter ausgesetzt ist«, betonte Nancy Hollander, Slahis Anwältin. Sie zweifelt allerdings, ob ihr Mandant vorab von der Veröffentl­ichung seines Berichts in Kenntnis gesetzt worden ist. Es ist jedenfalls ein großer Erfolg geworden, steht auf der Bestseller­liste der »New York Times«.

Slahi hat hinter Gittern Englisch, die »Sprache des Feindes«, erlernt. Der Gepeinigte und Gefolterte versucht in seinem Buch stets fair zu bleiben. Dass ihm sein Humor trotz all dem Unrecht erhalten geblieben ist, verblüfft.

Slahis Tagebuch ist noch nicht zu Ende geschriebe­n. Irgendwann, wenn ihm endlich Gerechtigk­eit zuteil und er aus der Haft entlassen wird, soll eine vollständi­ge Version erscheinen. Ungeschwär­zt. Unzensiert. In Freiheit geschriebe­n.

Mohamedou Ould Slahi: Das Guantanamo­Tagebuch. Tropen. 459 S., br., 19,95 €.

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