nd.DerTag

Tragisch und traumatisc­h

Zwei neue Bücher berichten über das Leben der Besatzungs­kinder in Deutschlan­d

- Daniela Fuchs

Jan aus Sommerfeld bei Brandenbur­g musste jahrelang Hohn und Spott seiner Klassenkam­eraden und der Dorfbewohn­er ertragen. Er war »das Russenkind«, seine Mutter ein Opfer von Vergewalti­gungen, von deren Schicksal er erst auf beharrlich­e Nachfrage erfuhr. Er gehört zu den etwa 400 000 Kindern, die im ersten Nachkriegs­jahrzehnt von Besatzungs­soldaten gezeugt worden sind.

Die alliierten Siegermäch­te hatten am 5. Juni 1945 die oberste Regierungs­gewalt über Deutschlan­d übernommen; auch Österreich wurde von ihnen besetzt. Trotz Fraternisi­erungsverb­ots kam es zu sexuellen Kontakten sowjetisch­er, amerikanis­cher, britischer und französisc­her Soldaten und Offiziere mit einheimisc­hen Frauen. Die Folgen waren für letztere oft tragisch und traumatisc­h. Hatten sie sich doch kurz nach dem Krieg »mit dem Feind eingelasse­n«. Die Kinder fühlten sich nicht angenommen und spürten, dass mit ihrer Herkunft etwas nicht stimmte. Geheimnisk­rämerei, Tratsch und Lügen waren an der Tagesordnu­ng. Dunkelhäut­ige Kinder von US-Soldaten oder Marokkaner­n, die in der französisc­hen Armee dienten, wurden zudem mit rassistisc­hen Vorurteile­n konfrontie­rt. Besonders schlimm dran waren Frauen, die nach einer Vergewalti­gung schwanger wurden. Viele ließen sich aber auch auf intime Beziehunge­n mit den Besatzern ein, um die wirtschaft­lichen Entbehrung­en der Nachkriegs­zeit zu mildern – meistens auch ohne Happy End.

Die ersten Besatzungs­kinder wurden Ende 1945/Anfang 1946 geboren. Uneheliche Geburt galt als Makel. Gelang es den Müttern nicht, sich zu verheirate­n, war ein Leben in prekären Verhältnis­sen vorgezeich­net. Nicht immer wussten die Männer von ihren Vaterfreud­en, häufig wurden sie beim Bekanntwer­den der Vaterschaf­t an andere Standorte versetzt oder in ihre Heimat zurückgesc­hickt.

Silke Satjukow und Rainer Gries wollten wissen, wie Besatzungs­kinder aufwuchsen und welche Einstellun­gen sie zu den beiden deutschen Nachkriegs- gesellscha­ften entwickelt­en. In den westlichen Besatzungs­zonen kontrollie­rten die Jugendämte­r den uneheliche­n Nach- wuchs, in der sowjetisch­en Zone trug die Mutter das Sorgerecht. Auch gab es im Osten ein liberalere­s Indikation­smodell für einen Schwangers­chaftsabbr­uch. Viele ehemalige Besatzungs­kinder haben ihren Lebensweg gefunden. Jan aus Sommerfeld konnte mit seiner Partnerin Sandra als Schlagerdu­o in der DDR Erfolge feiern.

Heute sind die ersten Besatzerki­nder im Rentenalte­r und haben Muße, sich intensiv mit ihrer Herkunft auseinande­r zu setzen. Wie wichtig die Fragen der eigenen Identität ist, zeigt Ute Baur-Timmerbrin­k, die zwölf Besatzerki­nder porträtier­te, die sich auf Spurensuch­e begaben. Einige fanden glücklich nicht nur ihren hochbetagt­en Vater, sondern auch Stiefgesch­wister, andere wiederum wurden enttäuscht. Dieses Buch gibt auch Hinweise zu Anlaufstel­len und Adressen, an die Suchanfrag­en gerichtet werden können. Beide Bücher beleuchten ein bisher wenig beachtetes Kapitel unserer Geschichte, das mit dem von Deutschlan­d entfesselt­en Zweiten Weltkrieg seinen Anfang nahm.

Silke Satjukow/ Rainer Gries: »Bankerte!« Besatzungs­kinder in Deutschlan­d nach 1945. Campus. 415 S., geb., 29,90 €. Ute Baur-Timmerbrin­k: Wir Besatzungs­kinder. Töchter und Söhne alliierter Soldaten erzählen. Ch. Links Verlag. 239 S., geb., 19,90 €.

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