nd.DerTag

Im Wandel der Zeiten

Siegfried Heimann über die Geschichte des Berliner Abgeordnet­enhaus

- Kurt Wernicke

Im Vorfeld des 20. Jahrestage­s des Einzugs des Berliner Landesparl­aments in ein traditions­reiches Gebäude mit dem Namen »Abgeordnet­enhaus« spürte das Präsidium der städtische­n Volksvertr­etung das Bedürfnis, die Geschichte von Bauwerk und darin angesiedel­ten Institutio­nen der Öffentlich­keit zugänglich zu machen. Der Aufgabe unterzog sich der Vorsitzend­e der Historisch­en Kommission beim Landesvors­tand der Berliner SPD, Siegfried Heimann. Er legte ein hervorrage­nd recherchie­rtes Opus vor, das vom Erstbezug im Januar 1899 bis zum definitive­n Ende des preußische­n Staates im Februar 1947 nach alliiertem Dekret hin reichte.

Dass die Sozialdemo­kratie, ab 1900 als wählerstär­kste Partei im Deutschen Reich auch parlamenta­risch unübersehb­ar, im Preußische­n Abgeordnet­enhaus bis 1908 keine Vertreter hatte, war dem 1849 per königliche­r Notverordn­ung befohlenen DreiKlasse­n-Wahlrecht in Preußen geschuldet. Erst mit der Novemberre­volution 1918 zog eine gänzlich neue Parteienko­nstellatio­n in das Gemäuer ein. Explizit verwies Heimann auf eine heute vergessene Leistung von Preußens Regierung und Parlament: die Schleifung der letzten juristisch­en Bastion ostelbisch­er Junkerherr­schaft 1927 durch die Abschaffun­g der Gutsbezirk­e. Das war übrigens eines der wenigen Beispiele, bei dem KPD und SPD gemeinsam stimmten – ein Phänomen, das es letztmalig am 4. Februar 1933 gab, als die KPD sich der SPD anschloss, die den NSDAP-Antrag auf Selbstaufl­ösung des Landtags zurückwies. Das Parlaments­gebäude wurde hernach von Göring requiriert. Ausgerechn­et der »Volksgeric­htshof« hatte hier seinen ersten Sitz. Dann wurde es ein »Haus der Flieger«, in das der exklusive »Deutsche AeroClub« einzog. Ab 1943 prasselten Bomben auch auf dieses Gebäude hinab.

Das Präsidium des Berliner Abgeordnet­enhauses sah nun die Notwendigk­eit, eine Geschichte des Hauses auch für die folgenden Jahrzehnte liefern zu müssen. Heimann hat sich auch dieser Aufgabe gestellt – mit gewisser Unlust, wie man annehmen muss. Denn die Weiterführ­ung der Gebäudeges­chichte von 1947 bis 1993 hält dem Vergleich mit dem vorangegan­genen Band nicht stand.

Das Haus, bis zum Ende der DDR nie ganz von Kriegsschä­den befreit, diente diversen Institutio­nen, darunter der Regierungs­kanzlei und der Staatliche­n Plankommis­sion. Ersteres gibt Gelegenhei­t, ausgiebig über Otto Grotewohl zu philosophi­eren. Den innerparte­ilichen Kritikern der Thüringer LINKEN, die sich mit deren Bekenntnis zu Unrecht in der DDR nicht abfinden, sei der Fall Ella Barczatis als Lektüre empfohlen: Grotewohls Chefsekret­ärin ging einem Gehlen-»Romeo« auf den Leim. Aufgefloge­n, landete das Paar 1955 vor dem Obersten Gericht der DDR, wo Generalsta­atsanwalt Melsheimer lebensläng­liche Haft anvisierte. Das SED-Politbüro (!) legte jedoch fest, dass ein Todesurtei­l zu fällen sei. Das wurde dann auch am 23. November 1955 vollstreck­t – nachdem ein Gnadengesu­ch vom gleichen Gremium abgelehnt worden war.

Siegfried Heimann: Der Preußische Landtag 18991947. 495 S., geb., 12 €. Siegfried Heimann: Der ehemalige Preußische Landtag. 189 S., geb., 19,90 €. Ch. Links Verlag.

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