Der Mut der Freibeuterinnen
Angela Krechel beschreibt, wie Frauen Selbsttreue leben: »Stark und leise«
Pionier. Seine Arbeit ist – die Wegbereitung. Das klingt in jedem Falle männlich, weil es Kraft, Energie assoziiert. Dies Buch aber ist weiblich, es bindet schon im Titel alle Stärke an den leisen Ton. Pionierinnen. Geht es da wirklich um Wegbereitung? Vielleicht hilft der Begriff der »Pionierpflanze« weiter – das ist eine Lebensform, die weitgehend unbelebtes Gebiet besiedelt und sich von extremen Bedingungen nicht schrecken lässt. Das weitgehend unbelebte Gebiet? Jener Ort nirgends, der den Träumen gehört. Die extremen Bedingungen? Jener Ort überall, wo Menschen Träume ruinieren.
Angela Krechel hat Frauen aus Kunst und Wissenschaft porträtiert. Die über sich hinaus wollen, ja, aber zuerst sich selbst wollen. Und immer wieder erfahren müssen, wie Weiblichkeit gepeinigt wird, weil sich die Welt so verflucht langsam ins Gütige, Gerechte dreht. Christine de Pizan, die Venezianerin: emanzipatorische Essays im Frühhumanismus, 14. Jahrhundert. Karoline von Günderrode: »Der Völker Schicksal ruht in meinem Busen,/ Ich werde sie, ich werde mich befreien.« Krechels Befund: »So spricht bis heute keine weibliche Figur auf dem Theater.« Annette von Droste-Hülshoff: Dichtung gegen »biedermeierliche Sittlichkeitsideale«. Krechel schreibt auch über Ingeborg Bachmann, Elke Erb, Friederike Mayröcker, bei diesen Namen freilich gilt: »sie ist die erste nicht« (Goethe).
Aber weiter: Sie ist vor allem – Entdeckerin. Da ist Hannah Höch, die Dadaistin; oder Ruth Landshoff-Yorck, Filmmädchen bei Murnau, Modell für Kokoschka, dann Schriftstellerin; oder die exzentrische, »freibeuterische« Kolumnistin Irene Brin, 1914 geboren: »Die Welt ist ihre Oberfläche ... Die Abgründe sind so überdeutlich, ein falscher Schritt, ein Konkurs, ein Kurssturz. Die Kosten werden später in Rechnung gestellt, doch davon wird nicht gesprochen.« Das sind Sätze zum Knieen. Da packt Neugier ganz rabiat zu. Da begreifst du schlagartig, dass Essay nur ein anderes Wort für Dichtung ist – und dieses Genre, ein »Fragespiel«, von einer Schrift- stellerin ehrengerettet wird vor uns Journalisten, die wir unsere Arbeit, wenn sie aus dem üblichen Zeilenmaß springt, auch gern Essay nennen, mit der Hoffnung, etwas näher an Künstler zu rücken. Eine oftmals so eitle wie schiefe Hoffnung.
Am stärksten faszinierte mich das Porträt über Vicki Baum. Jüdin. Trivialautorin mit Charme und Welterfolg (»Menschen im Hotel«). Femme fatal. Eine Männerweltbeherrscherin. Ihre Hollywood-Honorare retten nicht nur Joseph Roth. Nach dem Krieg aber rümpfen Deutsche die Nase über »die Emigrantin, die es sich am Swimming-Pool wohlgehen ließ, während die Trümmerfrauen schippten«. Ihre Solidarität von gestern? Wird verschwiegen – zu reich, diese Gönnerin. Ihr Makel: »Sie hat nur ihre Heimat verloren. Andere verlieren die Sprache, den Mut, das Leben.« Auf wenigen Seiten schreibt Angela Krechel das Drama der Ungerechtigkeit, der ideologischen Verbohrtheit, der Missgunst.
Krechel schreibt spannend, sprachschön, federleicht. Und als Streiterin. Stark, weil leise. Faszinierend, wie sie im Nachwort über ihren eigenen Weg zum Essay schreibt, über den Theaterpublizisten Herbert Ihering, über die Spannungen zwischen Urteil und Öffnung, standpunktfester Kritik und gleichzeitiger Fähigkeit, sich selbst zu befragen. In dem Zusammenhang ist Zurechtrückung nötig: Auch das, was Krechel über die erwähnten Bachmann, Erb, Mayröcker schreibt, ist – Schöpfung, Romanminiatur, Neustart.
Dieses Buch, zunächst zuzuordnen dem literarischen Porträt, gehört zu den besten Essaysammlungen jüngerer deutscher Literatur!
Ursula Krechel: Stark und leise. Pionierinnen. Jung und Jung. 288 S., geb., 22,90 €.