Union pocht weiter auf Änderungen beim Mindestlohn
Keine Einigung beim Koalitionsgipfel
Berlin. Union und SPD streiten weiter über den Mindestlohn. Nach dem weitgehend ergebnislosen Koalitionsgipfel, der in der Nacht zum Montag stattfand, pochen die Christdemokraten auf weitere Gespräche über Änderungen bei der Lohnuntergrenze. Dabei geht es unter anderem um die genaue Dokumentation der Arbeitszeiten. »Den Problemen kann sich auch die SPD nicht verschließen. Wir haben uns darauf verständigt, an der Lösung zügig weiterzuarbeiten«, sagte CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt. Auch aus der CDU verlautete, dass in einzelnen Fragen Änderungen unbedingt nötig seien. Die Große Koalition hatte das Thema bei ihrem Gipfel vertagt. Damit gelten die bisherigen Regeln vorerst weiter. Laut Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) seien die Dokumentationspflichten zur Arbeitszeit angemessen und notwendig. Würden die Arbeitsstunden nicht ordentlich erfasst, könne der Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde nicht eingehalten werden. »Das bedaure ich, aber das ist nicht das Ende vom Lied«, sagte Hasselfeldt. Die Union will die jetzige Grenze für die Dokumentationspflicht von einem Bruttogehalt von 2958 Euro auf 1900 Euro senken. Gerade Handwerkerbetriebe hielten den Bürokratieaufwand für unverhältnismäßig, hieß es.
Die Union dringt auf Änderungen etwa für ehrenamtliche Tätigkeiten in Kirchen oder Sportvereinen, weil mit den üblichen Pauschalen Angebote wie Chor- oder Trainingsstunden mitunter nicht gehalten werden könnten. Auch die Regeln für die Arbeitszeit in der Gastronomie und in der Saisonarbeit in der Landwirtschaft müssten flexibler werden. Auch in der Flüchtlings- und der Energiepolitik wurden keine konkreten Entscheidungen getroffen.
Beim Gipfeltreffen der Großen Koalition wollte die Union Forderungen durchsetzen, die sich gegen Niedriglöhner richten. Die SPD hat dies allerdings vorerst verhindert.
Nach sechs Stunden Beratung waren die Spitzenpolitiker der Großen Koalition nicht viel weiter als vorher. Das schwarz-rote Treffen im Kanzleramt endete in der Nacht zum Montag um zwei Uhr ohne konkrete Ergebnisse. Offenbar herrschte nicht die Atmosphäre, in der man Einigungen erzielen konnte. Das lag auch daran, dass Politiker der Union die SPD mit heftigen Worten dazu aufgefordert hatten, Zugeständnisse zu machen. Bereits vor dem Treffen hatte CSUChef Horst Seehofer in einem Interview den Sozialdemokraten »Regelungswut und Dokumentationswirrwarr beim Mindestlohn« vorgeworfen. Das seien auch Gründe für die schlechten Umfrageergebnisse der SPD. Nach dem Willen der Union sollte beim Mindestlohn die jetzige Grenze für die Dokumentationspflicht von einem Bruttogehalt von 2958 Euro auf 1900 Euro sinken. Die Konservativen hatten behauptet, dass der »Bürokratieaufwand« derzeit zu groß sei.
Arbeitsministerin Andrea Nahles sieht das anders. Die SPD-Politikerin hatte beim Koalitionsgipfel eine erste Bestandsaufnahme des Mindestlohns präsentiert, wonach es keine massiven Probleme gebe. Das Gesetz war zu Jahresbeginn in Kraft getreten. Aus Sicht der SPD sind die Aufzeichnungen wichtig, um die Einhaltung des Mindeststundenlohns von 8,50 Euro zu kontrollieren. Ansonsten haben es Unternehmer leichter, ihre Angestellten zu betrügen. Firmen können den Mindestlohn dann unterlaufen, indem sie Mitarbeiter länger arbeiten lassen. Auch die von neoliberalen Kreisen vor der Einführung des Mindestlohns verbreitete Behauptung, dass durch die Lohnuntergrenze Arbeitsplätze vernichtet werden, wies Nahles zurück. »Wir haben keine negativen Wirkungen auf den Arbeitsmarkt«, sagte sie.
Weil Nahles nicht auf die Forderungen der Union eingehen wollte, wird sicht vorerst nichts an den Mindestlohnregelungen ändern. Der Ärger darüber war besonders in der CSU und im Wirtschaftsflügel der Union groß. Der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsbundestagsfraktion, Christian von Stetten, sagte, Nahles sei »uneinsichtig wie ein kleines Kind«.
Die Generalsekretärin der SPD, Yasmin Fahimi, betonte hingegen, dass es mit ihrer Partei keinen Mindestlohn light geben werde. Sie warf der CSU »trotzige Stammtischparolen« vor. Allerdings werden die Ver- handlungen zum Mindestlohn demnächst auf Fachebene fortgesetzt. Weiter geredet werden dürfte vor allem über die Regelungen für das Ehrenamt. Die Union fürchtet etwa Probleme bei Chören und Jugendsport, weil die Grenze zwischen der Entschädigung für Ehrenämter und mindestlohnpflichtiger Beschäftigung nicht klar ist. Auch die Regeln für die Arbeitszeit in der Gastronomie und in der Saisonarbeit in der Landwirtschaft wollen CDU und CSU flexibler machen.
Neben diesen Angriffen auf Niedriglöhner setzen die Konservativen auf Steuersenkungen. Beim Gipfel im Kanzleramt wurde auch über die Reform der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern debattiert. Fraglich ist, was aus dem Solidaritätszuschlag werden soll, wenn der Solidarpakt im Jahr 2019 auslaufen wird. Auch hier gibt es Konflikte zwischen Union und SPD. Die Sozialdemokraten wollen den Soli in die Einkommensteuer integrieren. Dagegen plant die Union, die Abgabe bis 2029 schrittweise abzuschaffen. Seehofer jubelte bereits, dass die Soli-Abschaffung die größte Steuersenkung aller Zeiten mit 20 Milliarden Euro Volumen sei. Das wäre hauptsächlich ein Geschenk für Besserverdiener, von denen viele die Union wählen. Aber die Koalitionsparteien konnten auch hierzu keine Einigung erzielen. Nun ist als mögliche Kompromisslösung geplant, die Abschaffung des Solidaritätszuschlages über 2029 hinaus zu strecken.
Die Flüchtlingspolitik war ebenfalls Thema des Treffens. Die Finanzierung der Asylbewerberunterbringung soll bei einem Bund-LänderGipfel am 8. Mai in Berlin beraten werden. Aus der Runde der Koalitionspolitiker hieß es, man wolle sich bis dahin einen Überblick über die in diesem Jahr zu erwartenden Flüchtlingszahlen verschaffen.