nd.DerTag

Göttliche Geste

- Ingolf Bossenz über den Streit um Eva Kors Vergebung für die Nazis

Dass »Vergeben göttlich« sei, wie der englische Dichter Alexander Pope (1688-1744) meinte, ist durchaus keine Übertreibu­ng. Der Mensch, der einem anderen eine Schuld vergibt, macht sich damit ein Attribut des Numinosen zu eigen: die Macht der Vergebung. Die Jüdin Eva Kor, die die Hölle von Auschwitz überlebte, gebrauchte diese Macht vor 20 Jahren, als sie erklärte: »In meinem eigenen Namen vergebe ich allen Nazis.« Eine persönlich­e Entscheidu­ng, die sich ausschließ­lich auf die Leiden, Schrecken und Qualen bezog, die ihr persönlich angetan wurden. Denn ein Mensch kann nur für sich selbst, in seinem »eigenen Namen«, vergeben.

Im Lüneburger Auschwitz-Prozess, in dem Eva Kor als Nebenkläge­rin auftritt, hat diese von ihr erneut bekundete Haltung zum Konflikt mit anderen Nebenkläge­rn geführt. Diese könnten dem Angeklagte­n Oskar Gröning die ihm vorgeworfe­ne Mitwirkung an der Ermordung Hunderttau­sender nicht verzeihen. Kritisiert wird eine »medial inszeniert­e persönlich­e Verzeihung«. Das ist schade. Denn weder geht es Eva Kor darum, Druck auf andere auszuüben, noch entlastet ihr Bekenntnis den Täter in irgendeine­r Weise moralisch oder gar juristisch. Aber gerade im Meer der Unmenschli­chkeit, auf das Grönings Verbrechen verweisen, hebt sich diese »göttliche« Geste als kaum zu überschätz­ende Menschlich­keit ab.

Newspapers in German

Newspapers from Germany