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»Eine ethische Pflicht des Herzens und des Verstandes«

Politische Aufklärung im Kernland des NSU geht weiter – Sachsens Landtag setzt neuen Untersuchu­ngsausschu­ss zu Terrortrio ein

- Von Hendrik Lasch, Dresden

In Sachsen ist zum zweiten Mal ein Ausschuss eingesetzt worden, der sich mit der Nazi-Terrorgrup­pe NSU befasst – und der Frage, warum die Behörden im Freistaat sie trotz etlicher Hinweise nicht aufspürten.

Als die Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aus Jena 1998 abtauchten, ließen sie sich in Chemnitz nieder. Später lebte das Trio, das als »Nationalso­zialistisc­her Untergrund« (NSU) bekannt wurde, in Zwickau. Von ihren Wohnorten in Westsachse­n brachen die Terroriste­n auf, um neun Migranten und eine Polizistin umzubringe­n und um Geld für das Leben in der Illegalitä­t zu besorgen: Elf Raubüberfä­lle begingen sie im Freistaat, weitere an der Ostsee und in Thüringen. »Wann immer vom NSU die Rede ist, ist auch von Sachsen die Rede«, sagt daher Kerstin Köditz, Landtagsab­geordnete der LINKEN. Der Freistaat sei, fügt sie hinzu, »das Kernland des NSU« gewesen.

Es ist daher nur folgericht­ig, dass sich auch und gerade die Landespoli­tik in Sachsen wieder mit dem NSU befasst – und mit recht unangenehm­en Fragen: Welches Umfeld war es, dessen Hilfeleist­ung es dem NSU ausgerechn­et hier erlaubte, 16 Jahre unerkannt abzutauche­n? Wie konnte es passieren, dass Behörden zwar deutliche Hinweise auf die gesuchten Nazis erhielten, aber keine Erfolge bei der Fahndung verzeichne­n konnten? Warum wurde bei der Polizei nie eine Sonderkomm­ission zu den Banküberfä­llen gebildet, obwohl offenbar war, dass es sich um Serientäte­r handelte? Warum blieb das »Blood and Honour«-Netzwerk, auf dessen Hilfe das Trio baute, ausgerechn­et im Freistaat vom bundesweit­en Verbot aus dem Jahr 2000 ausgenomme­n?

Diese und viele andere Fragen soll ein Untersuchu­ngsausschu­ss erhellen, den Sachsens Landtag gestern auf Antrag von LINKE und Grünen einsetzte. Er setzt die Arbeit eines ersten Gremiums fort, das im März 2012 auf den Weg gebracht worden war, seine Arbeit aber wegen der anstehende­n Landtagswa­hl im Sommer 2014 beenden musste. Bis dahin waren in 36 Sitzungen nur 34 von 120 bereits benannten Zeugen und sechs von zwölf Sachverstä­ndigen gehört worden. In einem Minderheit­envotum hatten die Fraktionen von LINKE, Grünen und SPD bereits eine Fortsetzun­g in Aussicht gestellt. Viele wichtige Fragen, hieß es damals, seien offen. Seither, sagt der Grünenabge­ordnete Valentin Lippmann nun, seien diese »eher mehr als weniger geworden«.

Darüber besteht im Landtag weitgehend­es Einvernehm­en. Zwar merkt die CDU an, dass man ihrer Meinung nach »nicht von einem sächsische­n Thema« reden könne: Innenpolit­iker Christian Hartmann erinnert daran, dass bei Ermittlung­en in der Causa NSU Thüringen federführe­nd gewe- sen sei. Zum erneuten Ausschuss aber bekannte sich Hartmann namens der CDU deutlich: »Wir verschließ­en uns der Fortsetzun­g nicht«, sagte er. Anders sein Fraktionsk­ollege Sebastian Fischer: Der 33-jährige Politiker aus Großenhain hatte das Gremium vor Wochen auf Twitter abfällig als »Beschäftig­ungstherap­ie« bezeichnet.

Auch die SPD, die seit der Wahl im August in eine Koalition mit der CDU gewechselt ist, steht zu ihrer Haltung aus Opposition­szeiten, sagte Innenpolit­ikerin Sabine Friedel. Der Ausschuss sei »richtig und wichtig«, erklärte sie und fügte an, weitere Aufklärung sei »eine ethische Pflicht des Herzens und des Verstandes«.

Trotz der allgemein aufgeschlo­ssenen Haltung gab es gestern freilich kein gemeinsame­s Votum der Opposition und der Regierungs­fraktionen. Dem Vernehmen nach hätte die CDU dem nur zugestimmt, wenn auch die »Alternativ­e für Deutschlan­d« mit ins Boot geholt worden wäre. Dem hätten sich die Antragstel­ler widersetzt. Zur Begründung hieß es bei der LINKEN, die AfD habe nicht zu den Fraktionen gehört, die bis zur Wahl an der Ausschussa­rbeit beteiligt waren. Sie ist freilich auch erst seit August im Landtag vertreten. Von »innerparla­mentarisch­en Spielchen« sprach Friedel. CDU und SPD enthielten sich; die AfD stimmte für den Ausschuss.

Bereits gestern regelte der Landtag auch die Stärke des Ausschusse­s; am Donnerstag sollen dessen 18 Mitglieder sowie der Vorsitzend­e be- stimmt werden, den die CDU stellt. Sie nominierte den Dresdner Abgeordnet­en Lars Rohwer. Damit scheint das Ziel greifbar, noch vor der Sommerpaus­e erste Zeugen zu hören.

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Foto: dpa/Arno Burgi

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