De Maizière vorm NSA-Ausschuss?
LINKE will Bundesinnenminister vorladen – Union spielt auf Zeit
Im Skandal um die BND-Beihilfe zur Wirtschaftsspionage der NSA verdichten sich die Hinweise, der damalige Kanzleramtschef de Maizière könnte davon gewusst haben. Die LINKE will ihn dazu befragen.
Muss Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bald vor dem NSAUntersuchungsausschuss erscheinen? Zeitungsberichte vom Wochenende hatten den Minister in Erklärungsnot gebracht. Demnach war der damalige Kanzleramtschef bereits 2008 über die Wirtschaftsspionage des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA informiert worden, die der Bundesnachrichtendienst (BND) dann durchführen sollte. Der BND hatte das Kanzleramt darüber in Kenntnis gesetzt, dass die NSA die Daten der Deutschen nach Informationen über europäische Rüstungskonzerne und Politiker durchsuchen lassen wollte. Zu den Zielen gehörten der Rüstungskonzern EADS und der Hubschrauberproduzent Eurocopter. Bislang hatte man angenommen, der Geheimdienst hätte seine Fachaufsicht schlichtweg hintergangen. Diese Sichtweise ist nun offenbar nicht mehr haltbar. Nach Recherchen der »Welt am Sonntag« fand der BND unerlaubte Selektoren – also Suchanfragen – der NSA bereits 2005.
Bei diesen Selektoren handelte es sich um Handynummern oder Internet-IP-Adressen, die dann vom BND zur Überwachung in des Internetverkehrs eingespeist worden sein sollen. Seitdem habe der deutsche Auslandsgeheimdienst versucht, die unzulässigen Selektoren aus den Überwachungsprogrammen herauszufiltern, damit die betreffenden Ziele nicht ausgespäht würden. Weil die Amerikaner aber immer wieder unlautere Suchanfragen übermittelten, habe der BND 2008 sogar eine Schwarze Liste mit inakzeptablen NSA-Selektoren erstellt und das Kanzleramt darüber informiert, so die »Welt am Sonntag«.
Der Minister selbst hüllte sich am Montag in Schweigen. Ganz im Gegensatz zum Koalitionspartner. »Die jüngsten Enthüllungen in der NSAAffäre legen nahe, dass das Kanzleramt bei der Aufsicht des Bundesnachrichtendienstes kläglich versagt hat«, sagte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi »Spiegel Online«. Die Sozialdemokratin ergänzte: »Wir sollten dringend prüfen, ob der Untersuchungsauftrag des NSA-Ausschusses ausgedehnt werden muss«.
Während die SPD noch prüft, will die LINKE Nägel mit Köpfen machen. Die Obfrau der Linksfraktion im Gremium, Martina Renner, bestätigte dem »nd«, dass man den Bundesinnenminister im NSA-Ausschuss vorladen wolle. »Thomas de Maizière ist eine zentrale Figur. Wir wollen klären, was er wann gewusst hat.« Auf der nächsten Beratung des Gremiums werde das zur Sprache kommen. Grüne und LINKE haben im Ausschuss das Recht, gemeinsam Zeugen vorzuladen. Somit wäre ein Erscheinen des Bundesinnenministers durchaus möglich. Das weiß auch der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU), der sich am Montag prompt dagegen aussprach, den früheren Kanzleramtschef sofort als Zeugen zu laden. »Das wäre zu früh«, sagte Sensburg der Nachrichtenagentur dpa. Es sei wichtig, dass der Ausschuss die Listen über mögliche Spähziele der USA einsehen könne. Erst danach sei über weitere Schritte zu beraten. »Alles andere geht mir zu schnell«, betonte er.
Auch die LINKE wolle die fragliche Selektorenliste mit den von der NSA übermittelten Suchbegriffen einsehen, unterstrich Renner im »nd«Gespräch. Hinsichtlich dieser Liste laufen derzeit Gespräche zwischen Berlin und den zuständigen Stellen in den USA. Die Bundesregierung beruft sich darauf, dass sie ohne Zustimmung der Amerikaner dem Ausschuss die Liste nicht überlassen könne. Martina Renner lässt das Argument nicht gelten: »Wir wollen die Liste einsehen, schließlich handelt es sich hier um BND-Unterlagen«.
Derweil gerät auch jener Mann in den Fokus, der im Jahre 2013 die NSA-Affäre für »beendet« erklärt hatte. De Maizières Nachfolger als Kanzleramtschef, Ronald Pofalla (CDU), soll im Jahre 2010 vom BND über die rechtswidrige Praxis der NSA ins Bild gesetzt worden sein. Zumindest geht das aus Unterlagen hervor, die dem NSA-Ausschuss vorliegen sollen, berichtete die »Bild am Sonntag«.
Pofalla ist mittlerweile Lobbyist bei der Deutschen Bahn und hat nichts mehr zu befürchten. Anders als der Bundesinnenminister. Vizeregierungssprecherin Christiane Wirtz betonte am Montag, man schließe personelle Konsequenzen derzeit aus. Im Vordergrund stehe die Klärung des Sachverhalts, nicht die von Personalfragen, sagte Wirtz.
Allerdings bestätigte sie die Existenz von BND-Dokumenten aus den Jahren 2008 und 2010, die sich »im weiteren Umfang« um den nun bekannt gewordenen Sachverhalt drehten. Diese Unterlagen hätten dem Kanzleramt vorgelegen, bestätigte sie, ohne Angaben zum Inhalt der als »geheim« eingestuften Dokumente zu machen. Somit scheint zumindest klar, dass der BND seine Aufseher gewarnt hatte. Ob auch die Kanzleramtschefs persönlich informiert wurden, muss noch ermittelt werden.
Die »Bild-Zeitung« drehte die Geschichte am Montag weiter und berichtete, das Bundeskanzleramt habe spätestens seit 2008 gewusst, dass die NSA den EADS-Konzern und dessen Tochterfirma Eurocopter ausspähen wollte. »Man hat damals gesagt: ›Wir brauchen die Informationen der Amerikaner, so läuft es nun mal, wir wollen die Zusammenarbeit nicht gefährden‹«, zitierte die »Bild« einen Zeugen. Es sei unwahrscheinlich und »höchst unüblich, wenn der Chef des Kanzleramts über so einen Vorgang nicht informiert worden wäre«, so ein Untersuchungsausschuss-Insider gegenüber »Bild«.