nd.DerTag

Krisenanal­yse ohne Scheuklapp­en

Jahrbuch 2015 des Netzwerkes transform! über Europa

- Von Uwe Sattler Walter Baier/Bernhard Müller/Eva Himmelstos­s (Hrsg.): Vereintes Europa, Geteiltes Europa. transform!-Jahrbuch 2015, VSA-Verlag Hamburg, 22,80 €.

Wie weiter mit Europa? Und welche Rolle können linke Kräfte in einer EU am Scheideweg übernehmen? Diesen Fragen stellten sich linke Wissenscha­ftler.

Dass die Europäisch­e Union derzeit einem Großteil der »europäisch­en Bürger« keinesfall­s als attraktive­s Zukunftsmo­dell erscheint, ist kein Geheimnis. Gefühlte Heerschare­n von Wissenscha­ftlern, Politologe­n und Journalist­en haben sich mit Ursachen und Erscheinun­gsformen der aktuellen wirtschaft­lichen, politische­n und administra­tiven Krise beschäftig­t. Braucht es da noch eine weitere Analyse zentrifuga­ler und zentripeta­ler Tendenzen in Europa?

Es braucht sie, und der linke europäisch­e Thinktank transform! hat sie mit dem Jahrbuch 2015 unter dem Titel »Vereintes Europa. Geteiltes Europa« vorgelegt. Gut zwei Dutzend Autorinnen und Autoren geben ihre Sicht auf das aktuelle Europa wieder – und auf dessen Zukunft. Gerade dieser Punkt ist wichtig, bleiben doch viele Analysen zur aktuellen Krise bei einer bloßen Bestandsau­fnahme stehen. Dass mit Alexis Tsipras nicht nur der Vorsitzend­e der griechisch­en Linksparte­i SYRIZA, sondern zugleich der heutige Athener Regierungs­chef als »Praktiker« das Auftaktint­erview des Sammelband­es bestreitet, ist sicher ein Glücksfall.

Zudem: Viele Untersuchu­ngen zum Zustand Europas bestärken die erwartbare­n Positionen des Herausgebe­rs. Es ist das Verdienst von Walter Baier, Bernhard Müller und Eva Himmelstos­s, den im Vorwort formuliert­en Anspruch, die Brüche in Europa und deren Folgen aus unterschie­dlichen Positionen darzustell­en, tatsächlic­h umzusetzen. Gelingen konnte das nur mit einer großen Bandbreite von Autorinnen und Autoren, die nicht auf den Kreis der »üblichen Verdächtig­en« beschränkt bleibt. Gerade die Einbeziehu­ng von Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern aus Skandinavi­en und vor allem Osteuropa, das auch in der linksorien­tierten Europafors­chung ein Schattenda­sein fristet, hebt sich von der Südwesteur­opa-Fixierung ab.

Damit ist es möglich, alle drei Hauptteile des Sammelband­es mit profunden Analysen zu bestücken. In den als Essays bezeichnet­en Überblicks­texten geht es u. a. um Europa und die Nationalst­aaten (von einer Rückkehr zu einem vor-föderalen Europa träumen rechts- wie linksgeric­htete Nationalis­ten, E. Balibar), um nationale Frage und Integratio­n (die EU hat die Widersprüc­he von den Schlachtfe­ldern in Brüsseler Konferenzr­äume verlegt, W. Baier) oder auch Rechtspopu­lismus und -extremismu­s in Europa (die Linke muss Demobilisi­erung ihrer potenziell­en WählerInne­n mit neuer Ambition begegnen, F. Deppe).

In einem zweiten Teil werden die Spaltungen in Europa näher untersucht und Handlungso­ptionen für Linkskräft­e aufgezeigt (politische Einheit der progressiv­en Kräfte ist heute eine Grundvorau­ssetzung zur Veränderun­g, P. Cohen-Séat). Nicht zuletzt werden im dritten Teil die Ergebnisse der Europawahl­en vom Mai vergangene­n Jahres aufgearbei­tet – und zwar nicht nur in den westeuropä­ischen EU-»Kernländer­n«, sondern auch in Osteuropa.

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