Rassismus hat in Frankreich zugenommen
Ein neuer Maßnahmenplan der Regierung geht am Problem vorbei
Seit 25 Jahren legt die Nationale Beratende Kommission für Menschenrechte CNCDH einen Bericht über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus vor – selten fiel er so negativ aus.
Mehr als sieben von zehn Franzosen (72,1 Prozent) sind überzeugt, dass es zu viele Ausländer gibt, 45 Prozent haben eine negative Meinung über den Islam, und auch die Vorbehalte gegen die Juden nehmen wieder zu, so der jüngste CNCDH-Report. Wohl auch als Reaktion auf die islamistischen Attentate vom Januar wurden in den ersten Monaten dieses Jahres schon mehr antimuslimische Äußerungen oder Handlungen registriert als im ganzen Jahr 2014. Zugleich hat sich 2014 die Zahl der registrierten antisemitischen Akte gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.
Bei der Einstellung zu Ausländern oder Andersgläubigen gibt es aber auch Unterschiede je nach Bildungsstand und Alter. So wurde bei der Umfrage die Aussage »Für die französischen Juden zählt Israel mehr als Frankreich« von 73 Prozent der Befragten ohne höhere Bildung angekreuzt, jedoch nur von 46 Prozent derer mit Hochschulabschluss. Dass es zu viele Ausländer gibt, meinen 75 Prozent der Franzosen, die älter als 50 sind, während es bei den jünger als 30-Jährigen 65 Prozent sind.
Im Schnitt meinen zwei Drittel der Befragten, dass die Ausländer vor allem nach Frankreich kommen, um von dem großzügigen »sozialen Netz« zu profitieren, und 59 Prozent sind überzeugt, dass Ausländer größere Chancen als Franzosen haben, soziale Beihilfen zu bekommen. Trotz solcher Vorurteile denken 73 Prozent aber auch, dass die »ausländischen Arbeiter Frankreich als ihr Zuhause betrachten können, da sie zur französischen Wirtschaft beitragen«; 63 Prozent bewerten sie als »kulturelle Bereicherung« des Landes. Am stärksten abgelehnt werden die ausländischen Roma. Die »leben vorwiegend von Diebstahl und Schwarzhandel«, meinen 76,9 Prozent der Befragten, und 77 Prozent sind überzeugt, dass sich »die Roma in Frankreich nicht integrieren wollen«.
Zufällig fast zeitgleich, aber inhaltlich durchaus passend, hat die Regierung dieser Tage einen Maßnahmenplan zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus vor- gelegt. Er geht auf die Entscheidung von Präsident François Hollande zurück, der dieses Anliegen vor Monaten zur »Großen Nationalen Aufgabe« erklärt hatte. Hauptanliegen sei es, »hetzerische Äußerungen schneller und effizienter zu bestrafen«, erklärte Premier Manuel Valls bei der Vorstellung des Maßnahmenplans. So soll Hetze nicht mehr wie bisher als Meinungsäußerung eingestuft und gegebenenfalls nach dem Pressegesetz von 1881 bestraft werden, sondern sie soll ein Kriminaltatbestand werden und entsprechend vor einem Strafgericht verhandelt werden.
Heute gelten rassistische Äußerungen und Beleidigungen oder Anstiftung zum Rassenhass als Missbrauch der Meinungsfreiheit und werden entsprechend geahndet. Diese juristische Neubewertung wird nur von einer einzigen Organisation, der zur jüdischen Gemeinschaft in Frankreich zuzurechnenden Internationalen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (LICRA), begrüßt. Dagegen lehnen alle anderen Antirassismusorganisationen das Projekt ab. Sie wenden sich vor allem gegen die neu eingeräumte Möglichkeit für Schnellverfahren, weil dies »der willkürlichen und tagespolitischen Beurteilung Tür und Tor öffnet«, wie Henri Leclerc, Anwalt und Ehrenpräsident der Liga für Menschenrechte erklärt. »Die Behandlung der Fälle von Rassenhetze durch die Gerichtskammern für Pressedelikte hat sich bewährt, und es wäre grundfalsch, sie kriminalisieren zu wollen. Was wir brauchen, ist mehr Aufklärung und Erziehung zur Toleranz, von den ersten Klassen der Schule an.«