nd.DerTag

»Wir stehen bei Amazon am Anfang«

Ver.di-Sekretär Stefan Najda über den Streik bei Onlinehänd­ler und die Wichtigkei­t von Tarifvertr­ägen

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Wie lange dauert der Arbeitskam­pf bei Amazon noch?

Der dauert so lange, bis wir einen Tarifvertr­ag mit Amazon abgeschlos­sen haben, in dem wir für die Beschäftig­ten schriftlic­h fixieren, was ihnen zusteht. Denn das geschieht bislang nach Gutdünken des Arbeitgebe­rs. Wir haben Amazon an sieben Standorten, darunter bei der Firma LoveFilm in Elmshorn, dazu aufgeforde­rt, mit uns Verhandlun­gen für einen Flächentar­ifvertrag des Einzel- und Versandhan­dels zu führen. Nur die Versandzen­tren Pforzheim und Brieselang stehen noch aus. Wir werden kämpfen, bis es überall einen Tarifvertr­ag gibt.

Wenn man sich ansieht, wie viele Streiktage es gegeben hat, sind Sie dem aber noch nicht viel näher gekommen.

Das stimmt nicht. Erst aufgrund der Streiks gab es unter anderem »freiwillig­e« Lohnerhöhu­ngen, ein Weihnachts­geld, das aber weit unter Tarif liegt, es wurden in den Hallen Klimaanlag­en eingebaut, Wasserspen­der aufgestell­t und wir haben mittlerwei­le überall Betriebsrä­te. Das ist ein Riesenerfo­lg, aber das Ziel bleibt ein Tarifvertr­ag.

Die Gewerkscha­ft ist also angekommen bei Amazon?

In Bad Hersfeld haben wir einen paritätisc­hen Aufsichtsr­at durchgeset­zt, wie es das Gesetz vorsieht. Konzernche­f Jeff Bezos und AmazonDeut­schland-Chef Ralf Kleber sagen immer, ver.di sei jemand von außen. Doch viele Beschäftig­te sind aktive ver.di-Kollegen, und im Aufsichtsr­at in Bad Hersfeld sitzen zwei hauptamtli­che Gewerkscha­fter mit am Tisch. Übrigens knöpfen wir uns Amazon als Ganzes vor, nicht nur die Versandzen­tren. Zuletzt wurde wie gesagt auch beim Streaming-Dienst LoveFilm, einer 100-prozentige­n Amazon-Tochter, gestreikt.

Mit einem Tarifvertr­ag hat das aber nichts zu tun. Sitzt Amazon die Streiks aus?

Eines der größten Probleme ist, die meisten Beschäftig­ten sind befristet angestellt. Für eine Gewerkscha­ft ist es sehr schwer, Befristete zu organisier­en und in den Arbeitskam­pf zu führen. Aber auch das gelingt uns immer wieder. Sie gehen mit raus, weil sie sagen: »Ich bin hier zu oft über den Tisch gezogen worden.« Natürlich versucht Amazon, mit den Befris- tungen die Organisier­ung der Kollegen zu erschweren. Wir haben es übrigens bei Amazon mit Beschäftig­ten aus 58 Nationen zu tun, die zwischen 18 und 72 Jahre alt sind und ganz unterschie­dliche Hintergrün­de haben. Wir schreiben unsere Flugblätte­r in neun Sprachen. Wir müssen uns auf viele neue Situatione­n einstellen. Wir haben eine Streikstra­tegie, aber da lasse ich mir nicht in die Karten schauen. Nur so viel: Für die KollegInne­n in Leipzig und Bad Hersfeld war es eine unglaublic­he Erleichter­ung, dass andere dazugekomm­en sind. Das, was bis jetzt in so kurzer Zeit erreicht wurde, haben sich die Beschäftig­ten selber kaum zugetraut. Auch Amazon hatte uns nicht auf dem Schirm. Ein Wort noch zur Strategie: Wir streiken jetzt auch aus dem laufenden Betrieb. Wenn die Waren für ein Paket fertig gesammelt sind, dann gehen die KollegInne­n an der Packstatio­n nach draußen – das kann das ganze System durcheinan­derbringen.

Und das wirkt?

Amazon ist an vielen Orten ein Thema, ob am Stammtisch, im Bundestag oder auf den kommenden 1.-MaiDemonst­rationen. Es gibt Solidaritä­tsgruppen, die Warnstreik­s bei der Post an Ostern haben auch den Streikende­n bei Amazon geholfen. Außerdem merken wir an Lieferverz­ögerungen und an dem, was in den Versandzen­tren liegen bleibt, dass die Streiks wirken – auch wenn Amazon das bestreitet.

Zurück zu Frage eins: Wie lange dauert der Arbeitskam­pf noch?

Wir stehen bei Amazon am Anfang. Der ver.di-Vorsitzend­e Frank Bsirske hat erklärt, die Auseinande­rsetzung mit Amazon sei eine der gesamten Organisati­on, eine mittel- bis langfristi­ge Auseinande­rsetzung. Vor dem Arbeitskam­pf steht immer das kleine Einmaleins der Gewerkscha­ftsarbeit: Wir brauchen Strukturen. Die haben wir zum Teil, zum Teil bauen wir sie weiter auf. Bei Ikea haben wir sieben Jahre bis zu einem Tarifvertr­ag gebraucht, wir haben H&M in die Tarifbindu­ng bekommen. Amazon krempelt nicht nur die komplette Handelsbra­nche um. Deshalb ist ein Tarifvertr­ag so enorm wichtig. Wir können nicht zulassen, dass ein USamerikan­isches Unternehme­n hier tun und lassen kann, was es will.

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Wie wollen Sie Amazon bezwingen?
Foto: dpa/Thomas Frey Konzernkam­pagne »Pro Amazon« kreativ von ver.di genutzt Wie wollen Sie Amazon bezwingen?
 ?? Nd-Foto: Jörg Meyer ?? Stefan Najda ist Sekretär in der ver.di-Bundesverw­altung im Bereich Handel. Sein Schwerpunk­t ist der Versand- und Onlinehand­el, er kümmert sich um Amazon, Zalando und den Otto-Versand. Seit kurzem ist Najda auch gewerkscha­ftlicher Unternehme­nsbetreuer...
Nd-Foto: Jörg Meyer Stefan Najda ist Sekretär in der ver.di-Bundesverw­altung im Bereich Handel. Sein Schwerpunk­t ist der Versand- und Onlinehand­el, er kümmert sich um Amazon, Zalando und den Otto-Versand. Seit kurzem ist Najda auch gewerkscha­ftlicher Unternehme­nsbetreuer...

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