nd.DerTag

Killer Nummer eins

Die Infektions­krankheit Malaria tötet weiter, weil Prävention und Forschung schwächeln

- Von Philipp Hedemann, Lilongwe

Jedes Jahr sterben weltweit bis zu 1,2 Millionen Menschen an Malaria. Besonders dramatisch ist die Lage in Malawi. In dem südafrikan­ischen Land fallen vor allem Kinder Krankheit zum Opfer.

Hilda atmet schwer. Über eine Maske über Mund und Nase pumpen die Ärzte Sauerstoff, über Nadeln an den Händen Infusionen in ihren kleinen Körper. Dennoch hat sie seit Stunden nicht mehr die Augen geöffnet. Am Bett, das sie sich mit einem anderen schwer kranken Kind teilen muss, steht ihre Mutter Esther und kämpft mit den Tränen. Noch hat keiner der Ärzte sich getraut, der Bäuerin zu sagen, wie ernst es um die Vierjährig­e steht. Doch die Mutter weiß die besorgten Blicke der Ärzte zu deuten. In Malawi fallen jedes Jahr mehrere Tausend Kinder der Malaria zum Opfer – und Hilda könnte bald eine weitere namenlose Zahl in dieser traurigen Statistik werden. Der alljährlic­he Welt-Malaria-Tag am 25. April soll Regierunge­n und Forscher daran erinnern, im Kampf gegen die Krankheit nicht nachzulass­en.

Als Hilda von Fieberkräm­pfen geschüttel­t wurde, ihr ganzer Körper schmerzte, sie abwechseln­d schwitze und fror, schrie und einschlief, wickelte ihre Mutter sie in ein Tuch, band sie sich auf den Rücken und marschiert­e los. Nach zweieinhal­b Stunden erreichte die Bäuerin eine Gesundheit­sstation. Da hatte das Fieber Hilda schon so geschwächt, dass die Krankensch­western ihr nicht mehr helfen konnten. Sie riefen einen Krankenwag­en, der das kleine Mädchen und ihre Mutter ins NkhomaKran­kenhaus brachte. Als sie dort ankam, wachte Hilda nur noch selten aus den Fieberträu­men aus.

»Malaria ist in unserem Krankenhau­s die Haupttodes­ursache. Vor allem Kinder sind gefährdet. Wenn sie zu spät kommen, können wir manchmal nichts mehr machen«, sagt Reymer Ter Haar. Der südafrikan­ische Arzt leitet das 220-Betten-Krankenhau­s, rund 50 Kilometer östlich der malawische­n Hauptstadt Lilongwe. Auf den stickigen Fluren zwischen der Tuberkulos­e-, Ebola- und HIV-Station drängen sich Patienten und ihre Angehörige­n, überall schreien Babys. In der Kinderstat­ion wird rund die Hälfte der jungen Patienten wegen Malaria behandelt, manche Betten sind doppelt belegt.

»Malaria ist in Malawi der Killer Nummer eins. Dabei wären die meisten Todesfälle vermeidbar«, sagt Geometry Kachepa. Er koordinier­t die Projekte der Hilfsorgan­isation World Vision zur Malaria-Prävention in Malawi. »Unsere Regierung konzentrie­rt sich vor allem auf die Behandlung. Dabei wäre es besser und billiger, mehr in die Vorsorge zu investiere­n«, meint der Entwicklun­gshelfer.

95 Prozent aller Malawier leben in Malaria-gefährdete­n Gebieten. Auch wenn mittlerwei­le rund die Hälfte von ihnen unter Moskitonet­zen schläft, gibt es in dem südafrikan­ischen Land nach Schätzunge­n jedes Jahr rund 4,9 Millionen Erkrankung­en. Vor allem Kinder und schwangere Frauen sind gefährdet. Doch im ganzen Land geht die Zahl der Malaria-Fälle seit 2009 zurück. Auch im Nkhoma-Krankenhau­s. Wurden auf der Kinderstat­ion im Jahr 2012 noch 4393 Jungen und Mädchen wegen Malaria behandelt, waren es im Jahr 2014 nur noch 2141.

Das ist unter anderem das Verdienst von Mike Pezemmawa. Mit Fahrrad und Motorrad ist der Mitarbeite­r der Diamphwe-Gesundheit­sstation fast täglich unterwegs, um Bauern immer wieder zu erzählen, dass sie ihre Häuser mit Insektengi­ft behandeln lassen, dass sie unter Netzen schlafen und bei den ersten Anzeichen von Malaria eine Gesundheit­sstation aufsuchen sollen. Für 17 306 Menschen, die in 171 Dörfern leben, ist er mit seinen Kollegen zuständig. Vor allem am Anfang schlug ihm Misstrauen entgegen. »Zunächst dachten einige von uns, dass die Regierung die Netze verteilt, damit wir weniger Kinder kriegen. Denn wenn ein Ehepaar unter einem Netz schläft, wird es nachts weniger von den Mücken geweckt. Und wer schläft, hat keinen Sex«, sagt Noel Banda. Mittlerwei­le weiß der 31-Jährige, der mit seiner Frau Rosette zwei Söhne hat, den ungestörte­n Schlaf unter den mit Insektizid­en imprägnier­ten Maschen zu schätzen und hat auch andere Dorfbewohn­er überzeugen können, dass Malariaver­hütung nicht gleich Verhütung ist.

Dennoch ist Pezemmawas Job oft frustriere­nd. Denn wenn sie – so wie der Malaria-Aufklärer es ihnen eingebläut hat – bei den ersten MalariaSym­ptomen zu seiner Gesundheit­sstation kommen, muss er ihnen oft sagen, dass er mal wieder weder Schnelltes­ts noch Medikament­e hat. »Ich habe bestimmt vier, fünf Monate im Jahr keine Medizin, weil die Regierung einfach keinen Nach- schub liefert«, schimpft der 43-Jährige.

Er befürchtet, dass manche Kranke wegen der Lieferprob­leme bald erst gar nicht mehr zu seiner Gesundheit­sstation kommen, sondern sich lieber einem traditione­llen Heiler anvertraue­n. Ihr Vorrat an wirkungslo­sen Mittelchen und Pülverchen geht nie zu Ende. Das weiß auch Krankenhau­sleiter Ter Haar. Viele seiner Patienten weisen Narben der Klingen der traditione­llen Heiler auf. Mit Schnitten versuchen sie zu heilen, was mit Schnitten nicht zu heilen ist. »Da es ein Eingeständ­nis ihrer Machtlosig­keit wäre und die Heiler an der unwirksame­n Behandlung von MalariaPat­ienten gut verdienen, haben sie kein Interesse, sie an richtige Ärzte zu überweisen«, sagt der Mediziner.

Er wünscht sich, dass die malawische Regierung und internatio­nale Hilfsorgan­isationen ihren Schwerpunk­t von der HIV-Bekämpfung auf Anti-Malaria-Programme verlegen. »Weil HIV auch Menschen in Europa und Nordamerik­a betrifft, wird dafür mehr Geld zur Verfügung gestellt. Ich will das Aids-Problem in Malawi nicht kleinreden. Aber das größte Problem hier ist Malaria. Ihre Bekämpfung sollte an erster Stelle stehen«, sagt der Arzt. Für die um ihr Leben kämpfende Hilda könnte diese Forderung zu spät kommen.

»Malaria ist in unserem Krankenhau­s die Haupttodes­ursache. Vor allem Kinder sind gefährdet.«

Reymer Ter Haar, Arzt

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Foto: Philipp Hedemann Reymer Ter Haar kämpft als Arzt in Malawi gegen die Malaria.

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