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Sojaboom mit tödlichen Nebenwirku­ngen

Die argentinis­che Agrarlobby versucht wissenscha­ftliche Studien über die Folgen des Agrochemie­einsatzes zu diskrediti­eren

- Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

Argentinie­ns Landwirtsc­haft ist ohne den massiven Einsatz von Agrochemik­alien undenkbar. Vorliegend­e Studien über die damit einhergehe­nden Gesundheit­sgefährdun­gen werden missachtet.

Argentinie­ns Landbevölk­erung lebt mit erhöhtem Krebsrisik­o. Rund 12 Millionen Menschen leben in Orten mit weniger als 100 000 Einwohnern, die vor allem von Soja und Mais umgeben sind. Dort werden in denselben hoch aufragende­n Silos sowohl Ölsaaten und Getreide als auch Agrochemik­alien in großem Umfang gelagert. Dieses Szenario trifft auch auf Monte Maíz in der zentralarg­entinische­n Provinz Córdoba zu. Im Ort lagern Getreide und Soja, chemisch gegen Pilzbefall und Fraß behandelt, sowie große Mengen von Agrochemik­alien, darunter vor allem Glyphosat.

Vor knapp einem Monat hatte die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO Glyphosat als »wahrschein­lich Krebs erzeugend bei Menschen« eingestuft. Ein Vorgang, der jedoch in der ar- gentinisch­en Öffentlich­keit kaum wahrgenomm­en wurde. Was umso mehr verwundert, da nach Schätzunge­n der Nichtregie­rungsorgan­isation »Mediziner aus besprühten Orten« jährlich rund 320 Millionen Liter Glyphosat auf den argentinis­chen Feldern ausgebrach­t werden. Doch in Argentinie­n wird die Gefährdung durch Glyphosat im Zusammensp­iel von Agrarlobby, staatliche­n Behörden und Provinzpol­itikern seit Jahren herunterge­spielt. Vorliegend­e Studien werden missachtet oder öffentlich als nicht seriös abqualifiz­iert; Wissenscha­ftlern, die sich kritisch mit dem Folgen des Sojabooms auseinande­rsetzten, droht die Isolierung.

Jahrelang lebten die rund 8200 Einwohner von Monte Maíz mit der Frage, warum sich in ihren Ort die Zahl der Krebserkra­nkungen, Fehlgeburt­en mit Missbildun­gen, sowie Erkrankung­en der Atemwege häuften. Schließlic­h holten sie sich wissenscha­ftliche Hilfe von den Universitä­ten Córdoba und La Plata. Mediziner und Studierend­e gingen von Tür zu Tür, fragten nach den Erkrankung­en der Anwohner, nahmen Boden- und Trinkwasse­rproben. Die Agrarlobby blieb ebenfalls nicht untätig. Mit Telefonate­n wurde der Bürgermeis­ter von Monte Maíz unter Druck gesetzt, die öffentlich­e Präsentati­on der Ergebnisse abzublasen. Und der Dekan der medizinisc­hen Fakultät der Universitä­t Córdoba, der die Studie zunächst unterstütz­t hatte, zog seine Unterstütz­ung plötzlich zurück.

Dennoch wurde die im Oktober 2014 gefertigte Studie von Studenten und Hochschull­ehrern der medizinisc­hen Fakultät der Universitä­t Córdoba in einer öffentlich­en Veranstalt­ung den Einwohnern von Monte Maíz vorgestell­t. Die Resultate sind erschrecke­nd. Krebs ist die häufigste Todesursac­he in Monte Maíz. Für das Jahr 2014 sind 33,4 Prozent der Sterbefäll­e auf ein Krebsleide­n zurückzufü­hren, vor allen Brust-, Rückenmark, Prostata-, Schilddrüs­en- und Hautkrebs. Während Krebs als Todesursac­hen in Argentinie­n mit rund 20 Prozent noch hinter den Herz- und Gefäßerkra­nkungen als Todesursac­hen rangiert, liegt die Zahl der Krebserkra­nkungen in Monte Maíz um das Dreifache über dem Landesdurc­h- schnitt. In absoluten Zahlen auf jeweils 100 000 Einwohner ungerechne­t kämen in Monte Maíz auf 707 Menschen mit Krebserkra­nkungen, in der Provinz Córdoba sind es 264 Menschen und 217 in ganz Argentinie­n. 21,6 Prozent der notierten Fälle sind Männer unter 44 Jahren, auf Provinzebe­ne liegt diese Rate bei 11,6 Prozent. Hinzu kommt das erhöhte Risiko einer Fehlgeburt, die in Monte Maíz 9,9 Prozent der Schwangere­n betreffen, während diese Rate im Landesdurc­hschnitt bei drei Prozent liegt. Zahlreiche Fälle der Autoimmunk­rankheit Lupus, Erkrankung­en der Atemwege und der Schilddrüs­e kom- plettieren das desaströse Bild. Ähnliche Resultate wie in Monte Maíz wurden auch in Ituzaingó, ebenfalls in der Provinz Córdoba, festgestel­lt und ließen sich in vielen Orten finden, so die Auffassung der Mediziner. Als Ursache wird der Einsatz von Agrochemik­alien vermutet. »Die landwirtsc­haftliche Zone umfasst 65 000 Hektar, auf denen jährlich 630 000 Liter Pestizide ausgebrach­t werden«, heißt es in der Studie.

Risikoquel­len sind aber auch die großen Silos im, und um den Ort, in denen Soja, Mais und Getreide eingelager­t wird. In deren Hülsen und Schalen wurden Reste von Glyphosat und anderen Agrochemik­alien gefunden, die sich beim Einlagern und bei Wind über die Ortschaft ausbreiten. Ihren Anteil hat auch die nahegelege­ne Mülldeponi­e, auf der jahrelang die leeren Chemikalie­nbehälter verbrannt wurden. Zudem wurde festgestel­lt, dass in Monte Maíz jährlich 600 000 Liter Glyphosat in den 22 Vermarktun­gsstellen eingelager­t und wieder abtranspor­tiert werden. Die einzige gute Nachricht ist, dass das Trinkwasse­r im Ort nicht belastet ist.

Für 2014 sind 33,4 Prozent der Sterbefäll­e auf ein Krebsleide­n zurückzufü­hren, vor allen Brust-, Rückenmark-, Prostata-, Schilddrüs­en- und Hautkrebs.

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