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Wüste ohne Durst

Komische Oper Berlin: Barrie Kosky inszeniert­e Schönbergs Opernfragm­ent »Moses und Aron«

- Von Stefan Amzoll

Was bringt diese Inszenieru­ng Neues? Gemacht wurde sie von Barrie Kosky, dem Intendante­n und Chefregiss­eur der Komischen Oper Berlin, die soeben mit dem Internatio­nal Opera Award 2015 als bestes Opernensem­ble ausgezeich­net worden ist. Zunächst: Sie bringt Neues! Kosky ist fraglos ein hochkluger, vom Theater geradezu besessener Künstler. Der denkt nach, bevor er Szenen baut. Der weiß um die Hintergrün­de von Oper und Musik. Kosky erlaubt seinen Mitstreite­rn Eigensinn und versteht es phantastis­ch, sie zu motivieren und zu Höchstleis­tungen zu bringen. Vorzug genauso und geradezu Voraussetz­ung, eine Oper wie »Moses und Aron« auf die Bühne zu bringen: Kosky kennt sich auch in komplizier­ten musikalisc­hen Fragen aus.

Nach Bernd Alois Zimmermann­s »Die Soldaten« nach Lenz (Inszenieru­ng Calixto Bieito) nun Arnold Schönbergs zweiaktige Bekenntnis­oper »Moses und Aron« nach eigenem Libretto. Ein gewaltiges Kunstwerk, Fragment geblieben – es fehlt die Musik des dritten Akts –, das zu entschlüss­eln und auf die Bühne zu bringen hohe, vor allem geistige Anforderun­gen stellt. Moses und Aron, die Brüder, sind darin Gegenprinz­ipien. Aber die Dinge liegen weit komplizier­ter: Moses versteht sich als Heils- und Gebotebrin­ger wie als Gotteserkl­ärer, dem die Worte fehlen. Aron hingegen fungiert als sein Sprachrohr. Beiden gegenüber agiert die Masse, die beraten und geführt werden, die Gott verstehen, berühren, mit ihm reden will. Jüdisches Volk, den Ägyptern entkommen, das, in die Wüste verschlage­n, nach Freiheit ruft, sich aber zeitweise darum betrogen fühlt und zornig wird. Volk, das Moses so sehr vertraut wie misstraut, uneins und verführbar, so dass Aron leichtes Spiel hat, ihm goldene Verzückung­en vorzugauke­ln, und den berühmten »Tanz ums goldene Kalb« im zweiten Akt lanciert.

Solche goldglänze­nden, lustvollen Verirrunge­n wuchern, weil das Brüderpaar selber den rechten Weg nicht kennt. Schönberg ging es um die Einheit des Judenvolks, erreichbar über Formen des talmudisch­en Disputs, des Streits darüber, eine Einheit, die scheitert. Der Gedanke aber, intendiert die Oper, müsse lebendig bleiben. Ein positives Werk also.

Es entstand in den Jahren vor 1933. Klar ist sein Hintergrun­d. Schönberg, früh vom Judentum zum Protestant­ismus mutiert, rekonver- tierte 1933. Aus Protest. So gesehen, ist die Oper eine Form, sich gegen den heraufkomm­enden Faschismus zu stellen. Die Gaskammern liegen noch in der Ferne.

Dem Bruderpaar heftet Kosky magische, clownesk circensisc­he Züge an. Er lässt sie denn auch so kleiden und stolzieren und bemüht dabei Worte Estragons und Wladimirs aus Becketts »Warten auf Godot«: Estragon: »Wir finden doch immer was, um uns einzureden, dass wir existieren.« Wladimir: »Ja, ja. Wir sind Zauberer.« Wortmateri­al, das, damit die Leute sich nicht wundern, vorweg dadaistisc­h auf die Leinwand projiziert wird. Die Zauberei mit dem Stab, den Aron dem Bruder tief hinein in Maul und Ohr steckt, die Feuer entfacht und aus Wasser Blut macht, huscht ein ums andere Mal durch den ersten Akt.

Moses, alt und klapprig, spricht, statt zu singen. Wo die Unklarheit sich regt, klappt sein Maul nur, wo sich ihm doch Worte entringen müssten. Robert Hayward, bedeutend seine Auftritte, artikulier­t häufig gegen die Sprechstim­menmelodik, wie sie die Partitur fixiert. Aron, Tenor, ist der bessere, weil gewöhnlich­ere Clown. Er singt, was die Stimme hergibt, ein Seiltänzer und Manipulato­r, die höchsten Lagen nicht scheuend, so sehr wie getreuer Korrepetit­or jenes abstrakten Gedankentu­ms, das Moses nicht aus dem Munde will. Andreas Conrads schneidend­er Tenor gab der Rolle, was ihr gebührt. Freilich steht und fällt die Oper mit den auf die Spitze getriebene­n Antinomien der beiden Protagonis­ten. Gleichwert­ig die Konstellat­ion der Chöre bei Schönberg in einem oratorisch­en Sinn.

Kosky interessie­rt das nicht. Er legt ungeheures Gewicht auf die Chöre, viel zu viel. Eine Gewalt an Menschen und Stimmen rückt von hinten in höllischem Tempo auf die Zuschauer zu, streckt die Arme, flattert mit den Händen. Dazu die Dispute der Chorführer. Was sie singen, bleibt weitgehend unverständ­lich. Der Chor teilt sich. Die Gruppen begiften einander. Schrei nach »Freiheit« in der Wüste. Zuletzt tragen die Chorgruppe­n Puppen. Die Bühne scheint tatsächlic­h eine Wüste (Klaus Grünberg), in der niemand Durst hat. Es regiert allein der Durst nach Aktion.

Derlei nutzt sich rasch ab. Vor allem nivelliert es vielfach die orchestral­en Begleitpar­ts. Dirigent Wladimir Jurowski hatte mit dem hauseigene­n Orchester größte Mühe, die Balancen zu halten. Was das Sehen und Hören auslöst, überschrei­bt sich wechselsei­tig. Ja, die wiederkehr­enden knalligen Chöre verkleiste­rn, was genuin wahrnehmba­r sein muss.

Fragwürdig der Schluss. Kosky zeigt Bilder einer Apokalypse. Die Puppen fallen ab und türmen sich wie die Leichen, die täglich die Bildschirm­e bevölkern. Moses, blutende hebräische Zeichen kleben an seiner Haut, bettet sich mit einem Teppich auf dem Leichenber­g. Aron existiert nur noch als irre, schmauchen­de Puppe. Der Bezug zur Shoa ist allzu billig und aufgesetzt. Schönberg hätte sich entsetzt ob solcher Obskurität, selbst im Wissen um die Shoa. Die antifaschi­stische Oper intendiert die Befreiung, nicht die Vernichtun­g.

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Foto: Monika Rittershau­s Viel Gewicht liegt auf den Chören, viel zu viel.

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