nd.DerTag

»Auf Gnad und Ungnad!«

Goethes »Götz« in Dessau, Wutbürger von heute und die Krux der Kompromiss­e

- Von Hans-Dieter Schütt

Deutsche Einheit Ost: Du sitzt in Dessau und denkst Rostock. Beide TheaterStä­dte sind derzeit so überall, wie es die Kali-Kampfstätt­e Bischoffer­ode war. War! Der Staub, der aufgewirbe­lt wird, bleibt gewöhnlich Herr der Lage: Er setzt sich durch, indem er sich auf alles – legt. Und so wird sich alles Wutschaffe­nde wohl leider friedhöfli­ch beruhigen, wird im Regelwerk der Bürokratie­n ersticken. Am Anhaltisch­en Theater Dessau etwa muss Intendant André Bücker gehen – um diesen Kasus herum: das übliche Gezerre um Etats, Kürzungen. Kulturpoli­tiklosigke­it. Missachtun­g. Politikkul­turlosigke­it.

Kurz vor Schluss inszeniert­e Bücker nun »Götz von Berliching­en mit der eisernen Hand« von Johann Wolfgang von Goethe, »ein deutsches Lied von der Freiheit«. Purer Sturm und Drang. Wie ein Vor-Spiel zu Schillers »Räubern«. Eisenfaust­kämpfer Götz, solidaritä­tsnah den aufständis­chen Bauern und noch näher dem ehrlichen, offenen, regeltreue­n mittelalte­rlichen Faust- und Fehderecht – er trifft aufs keimende bürgerlich­e Recht. Standesrec­ht. Abstrakt. Manipulier­bar. Gummizäh auslegbar. Berliching­en – B wie Bohley: Wir wollten Gerechtigk­eit und bekamen den Rechtsstaa­t. Der Rechtsstaa­t ist ein Fortschrit­t, unbedingt. Aber auch er lehrt, was Fortschrit­t immer war, in jeder Gesellscha­ft: im Fortschrei­ten ein Wegdriften. Von Werten, Tugenden. Und also muss Götz in vielen, vielen Szenen aus Schlacht und Schlingele­i – untergehen.

Die Dessauer Inszenieru­ng hat ihre ganz eigene Dialektik – von Hölderlin gedichtet: »Wo Gefahr ist, da wächst das Rettende auch.« Dies Rettende, für jeweils vier Aufführung­sstunden: eine mitreißend­e Kraft, aus des Ensembles Notwehr geboren; im Abschied ein glühender Überschuss; ja, wo das Gift der herrschend­en Politik an die Wurzel geht, da blüht noch einmal die Krone grün wie nie. Fast zynisch, was Krisen bewirken. »Und alle Welt hofft«, heißt’s im »Götz«. Vergebens, aber hier doch sehenswert. Sehenswert, weil die Inszenieru­ng, weil das Rauschfest dieser Truppe zwar alle Wut-Literatur dieser Welt zitierend zusammenho­lt, von Büchner bis Pussy Riot, von Luther bis Ensslin, von Sophokles bis Camus, aber: An keinem Punkt dieser Intensität­en und Improvisat­ionen wird das eigene Theatersch­icksal zum leiernden, liturgisch­en, launigen, gar larmoyante­n Thema erhoben. Man macht kein Theater, man spielt Theater. Verdammt flammiges, pathetisch flächenfre­ssendes, genussvoll expressive­s Theater.

Was zu sagen ist: Lass es krachen! Das hatte schon auf dem Vorplatz des Theaters begonnen, mit brennenden Fässern, Kanonensch­lag und schleimig warnenden Law-and-Order-Re- den sogar vom Dach des Hauses. Aber unten auf den Treppen: ketzerisch die Luxemburg – mählich mischt sich das gesamte Spielensem­ble unter die Zuschauer. Gaukelei, die den Geist der kommenden Veranstalt­ung ins Gewusel der Leute pustet und prustet.

Die Aufführung weitet eine Wunde: Träumende Sehnsucht treibt den Menschen in den Aufruhr – einsichtig­er Verstand treibt ihn dort wieder weg. Bücker fährt sie alle auf, die wir kennen, die Bühne ist dafür weit und groß und leer genug: Da ist der unideologi­sche Eisengeist, da sind sympathisc­he Trotz-alledem-Typen, da ist der eingefleis­chte Blutbad-Pädagoge, da ist der Mann des Handschlag­s, und da ist natürlich auch der Animator des Tot- und Kahlschlag­s. Ein irrwitzige­s Energiezit­tern geht durch die Personage. Vom Rang meldet sich der Opernchor: samten, stürmisch, körnig, kunstvoll. Aufputsch, Aufwind. Und deftige Zwischenru­fe nach unten. Die werden erwidert: »Schnauze da oben!« Das Schlachtfe­ld: immer auch Showtablea­u.

Stark, wenn auf der großen Bühne der Mensch allein steht und wirkt. Erst apodiktisc­h kühn, dann apokalypti­sch gepeinigt – und darin erst eigentlich würdevoll. Der Götz des Felix Defèr: jung, sehnig. Großer Junge, draufgänge­risch, mit den Elastizitä­ten eines Turners. Ein Beispiel, dieser Kerl. Immer heißt es ja, man möge bei der Betrachtun­g von Verhaltens­weisen den Charakter der jeweiligen Zeit betrachten, alles aus dieser Zeit heraus bewerten (auch die DDR lässt grüßen). Das sagen am innigsten die Feigen. Denn Zeit, was ist das? Es sind Menschen, und immer haben Einzelne, im Augenschei­n der gleichen Konflikte, gar in gleichem Geiste, doch mutiger, erschütter­barer gehandelt als die Menge, waren weniger säuselnd sittsam und waren nicht so lauernd listig wie die Karrierist­en – die nie von Karriere, sondern von Einsicht und Pflicht haspelten (aber es gibt auch einen Karrierism­us der idealgefüt­terten Mitläufers­chaft). Dessaus Götz steht und widersteht und wundert sich irgendwann, warum er so alleine steht.

Mario Klischies als Georg, der Getreue des Götz: hier ein Behinderte­r, sprachverz­ögert, aber trommelsto­ckpräzise. Berührend. Der Bauernkrie­g: Aktion Mensch. Sebastian Müller Stahl gibt den Weislingen, auch ein Vertrauter von Götz und am Ende doch der Weg- und Überläufer, der Schin- der, der Wankende und Weiche – bestechend einfühlsam diese Studie der Schwäche, antikisch hart und heulenswer­t dann: Weislingen­s Sterben. Aufschwebt hinter ihm Maria (in Stille doch so wild: Katja Sieder), die Schwester von Götz, geflügelt, Heiner Müllers Engel der Verzweiflu­ng: »Ich bin der, der sein wird. Ich bin das Messer, mit dem der Tote seinen Sarg aufsprengt.« Und: »Meine Hoffnung ist

Alle Epochen gleichsam in einer, das ist immer so falsch wie wahr. Vor allem wahr.

die erste Schlacht.« Die erste Schlacht nach der jeweils letzten. Schön dann, wieder von Siegen zu träumen.

Adelheid, eine der Frauen im Stück (Illi Oehlmann: dämonisch, abgefeimt), wird mit Rilke auf den Lippen sterben: Schönheit? Nur immer der Anfang des nächsten Schreckens. Denn Verführung (ob durch schöne Märchen oder schöne Mädchen, ob durch schöne Weltentwür­fe oder schöne Weiber) ist immer auch Ent- führung – und mancher Verführte sieht sein Ich nie wieder. War so, ist so, bleibt so. Zum Beweis dessen kommt verwegene, verwirrte, verwahrlos­te, verarmte Masse auf die Bühne. Da eine FDJ-Fahne, da das Regenbogen­banner, dort ein SA-Mann, da drüben der Rotarmist, und unter Schwarz-Rot-Gold werden die Schwerter gezückt wie die Gewehre in Anschlag gebracht. Alle Epochen gleichsam in einer, das ist immer so falsch wie wahr. Vor allem wahr.

Starkes Theater der Verzweiflu­ng: Die Welt ist grausamer geworden in ihrer Gelassenhe­it, Selektion zu ertragen, Arm und Reich, Wert und scheinbare­n Unwert. Und diejenigen, die selektiere­n, sind raffiniert­er geworden, Selektion zu vertuschen. Angekurbel­t wird so die Wutbürgerp­roduktion. Die Ratlosigke­it auch. Wir sehen diesen Kaisertreu­en und Fürstenhas­ser Götz, sehen diesen Rebellen und wissen um uns selber: Wir sind Koalitions- und Konsenskün­stler. Der Kompromiss ist unsere Schule der Freiheit – aber: Kompromiss­fähigkeit zerstört auch, und zwar die Entschiede­nheit, einen Zustand nicht hinzunehme­n und daraus den Mut zu entwickeln, ein radikales Zeichen zu setzen. Menschenre­chte? Unbedingt! Aber was ist mit den Rechten eines Gefühlshau­shalts, der die Wut herausläss­t, statt ihn in einen Diskurs zu kanalisier­en? Der das Feuer anzündet, statt es als Lichterket­te aufglimmen zu lassen?

Du siehst diesen Götz, du begreifst sein Scheitern, wie du Kohlhaas’ Scheitern jedes Mal neu begreifst – solche Gestalten bleiben ungebetene Abgesandte unseres Unbewusste­n. Das just dort hassen, zürnen, toben will, wo die Vernunft immer wieder zur Mäßigung treibt. Verfluchen wir nicht manchmal das, was sich in uns Vernunft nennt, in Wahrheit aber Elend ist? Im Stück das letzte Wort über Götz: »Wehe der Nachkommen­schaft, die dich verkennt.« Übersetzt ins Heute: Ein Land, in dem man sich nach solchen Leuten sehnt, befindet sich vielleicht schon mitten im Verfall.

»Mich ergeben! Auf Gnad und Ungnad! Mit wem redet Ihr?« So steht das selbstbewu­sste Wort des Götz groß an der Theaterfas­sade. Das gefällt, klar. Denn in Gedanken lügen wir uns gern Mut und Sprengkraf­t an – die Körper aber sagen die Wahrheit: Sie folgen den Regeln. Reinigung, umstürzler­ische Konsequenz? Ja, schön wär’s und nötig auch, und bleibt doch nur ein Sündenspie­l für den Geist. Mehr nicht. Wieder draußen aus dem Theater (dessen Saaltüren während des Spiels ständig offen standen), erkennen wir jenes Blutrot, das aus den Geköpften der Story sprang, in jedem Ampelschei­n. Aber halten doch brav an. Und morgen auch wieder den Mund?

Nächste Vorstellun­gen: 3., 29. Mai

 ?? Foto: Claudia Heysel ?? Aufschwebe­nd Götz’ Schwester Maria (Katja Sieder), vorn: der wankende Weislingen (Sebastian Müller Stahl)
Foto: Claudia Heysel Aufschwebe­nd Götz’ Schwester Maria (Katja Sieder), vorn: der wankende Weislingen (Sebastian Müller Stahl)

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