Mieses Spiel mit den Flüchtlingen
Die EU beschließt militärisches Vorgehen gegen Fluchthelfer / Bundespolizist quält Asylbewerber
Die Europäische Union hat sich am Montag darauf geeinigt, die Flüchtlingsabwehr an der EU-Grenze Mittelmeer künftig auch mit militärischen Mitteln zu betreiben. Ziel der Maßnahmen sollen sogenannte Schlepper sein.
Berlin. Bei den Anstrengungen, Flüchtlinge von ihrem Territorium fernzuhalten, konzentriert sich die Europäische Union derzeit auf die sogenannten Schleuser/Schlepper. Diese bieten ob der großen Anzahl an Menschen, die im Mittelmeer bei der gefährlichen Überfahrt zu horrenden Preisen auf überfüllten, oft seeuntauglichen Booten sterben, ein gutes Ziel – das nun auch militärisch bekämpft werden soll. Dabei sind die Flüchtlinge nur auf die teuren Fluchthelfer angewiesen, weil es für sie keine legalen Wege in die EU gibt.
Und so beschäftigte sich Brüssel am Montag wieder einmal nicht mit Flüchtlingshilfe, sondern -abwehr: Die EU-Außen- und Verteidigungsminister befassten sich mit dem Konzept für eine Militärmission im Mittelmeer und beschlossen sie. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verwies vor den Beratungen darauf, dass für Teile der Mission ein UN-Mandat nötig sei. EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini zeigte sich zuversichtlich, dieses zu bekommen. Im April hatten die EU-Staats- und Regierungschefs auf einem Sondergipfel auch Vorbereitungen für eine Militärmission beschlossen, die Boote der Schleuser identifizieren und zerstören soll. Mogherini arbeitete darauf das Konzept für die Militärmission »EU Navfor Med« aus.
Steinmeier ging davon aus, dass die erste Phase »sofort begonnen werden kann«. Dabei geht es um ein genaueres Lagebild im Mittelmeer und Informationen über die Schleusernetze. Dazu soll auch militärische Aufklärung etwa über Radar und Satellitenbilder eingesetzt werden. Auch bei der zweiten Phase, die das Anhalten und Überprüfen von Schiffen in internationalen Gewässern vorsieht, gibt es Steinmeier zufolge nur »überschaubare rechtliche Fragestellungen«.
Einsätze in libyschen Hoheitsgewässern oder in Libyen selbst benötigten aber ein UNMandat oder entsprechende Genehmigungen von libyscher Seite, sagte der Bundesaußenminister. Letzteres sei angesichts von zwei konkurrierenden Regierungen in dem Land schwierig. EU-Diplomaten zufolge wollen die europäischen Mächte im Sicherheitsrat an diesem Dienstag in New York einen Entwurf für eine UN-Resolution vorlegen, um den Einsatz zu ermöglichen. Mogherini selbst hat Einsätze von Soldaten an Land ausgeschlossen, möglich wäre laut Diplomaten der Beschuss von Schleusereinrichtungen von See oder aus der Luft. Pro Asyl sprach von »unkontrollierbarer Gefahr« für die Flüchtlinge. Der richtige Weg, Schleppern die Geschäftsgrundlage zu entziehen, sei es, legale Wege nach Europa zu öffnen, erklärte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt.
Dass Flüchtlinge, auch wenn sie in die EU gelangt sind, nicht in Sicherheit sind, zeigt ein drastischer Fall in Hannover. Dort ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen Bundespolizisten wegen Misshandlung von Flüchtlingen im Polizeigewahrsam. Der 39Jährige soll in mindestens zwei Fällen inhaftierte Männer aus Afghanistan und Marokko gequält und gedemütigt haben, wie Oberstaatsanwalt Thomas Klinge am Montag sagte. Ob es noch weitere Fälle oder weitere Täter gebe, sei offen. »Wir prüfen natürlich, ob auch andere Beamte was davon gewusst oder gar mitgewirkt haben«, betonte Klinge. Agenturen/nd
Flüchtlinge sollen auf derWache der Bundespolizei im Hauptbahnhof Hannover gequält und gedemütigt worden sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, die politische Ebene verlangt rasche Aufklärung.
Das Gesicht des Mannes, der in einem weiß gekachelten Raum am Boden liegt, ist von Schmerz verzerrt, der Körper gekrümmt, die Hände stecken in Stahlfesseln. Dieses erschütternde Bild, das dem NDR zugeleitet wurde, soll ein Beamter der Bundespolizei im September 2014 in einer Zelle der hannoverschen Bahnhofswache aufgenommen haben.
Gequält und erniedrigt worden sei der 19-jährige Marokkaner, das ergaben die Recherchen der Fernsehleute. Ein Polizist habe den mutmaßlichen Schwarzfahrer dazu gezwungen, am Boden zu essen, und zwar verdorbenes Schweinemett. Wegen dieses Vorwurfs und wegen eines weiteren Verdachts auf Misshandlungen in der Bahnhofsdienststelle ermittelt nun die Staatsanwaltschaft.
Das Hackfleisch sei »schon grün« gewesen, als es ihm der Bundespolizist »verabreichte«: Das berichtet einer seiner Kollegen, unkenntlich gemacht, im NDR-Beitrag. Doch nicht genug, dass dem Flüchtling – vermutlich Moslem – das von seiner Religion verbotene Schweinefleisch aufgenötigt wurde. Der Beamte, der das Foto schoss, soll dieses an Kollegen weitergeschickt haben, verbunden mit einem Kommentar, in dem es heißt: »Dann hat der Bastard erst mal den Rest gammeliges Schweinefleisch aus dem Kühlschrank gefressen. Vom Boden.«
Sechs Monate zuvor soll derselbe Polizist einen Flüchtling aus Afgha- nistan auf der Wache gepeinigt haben. Dorthin war der 19-Jährige gebracht worden, weil er bei einer Kontrolle keinen Ausweis vorzeigen konnte. Auch mit seinen Übergriffen auf diesen Mann habe sich der Beamte per Handy-Nachricht gebrüstet, heißt es. Der NDR zitiert, wie er die Misshandlungen schildert: »Hab den weggeschlagen. Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig. Und an den Fußfesseln durch die Wache geschliffen. Das war so schön. Gequiekt wie ein Schwein. Das war ein Geschenk von Allah.«
Der Bundespolizist ist zurzeit nicht im Dienst. Seine Wohnung und auch sein Spind auf der Wache sind am Freitag durchsucht worden. Die Ereignisse aus dem vergangenen Jahr wurden erst jetzt von zwei Zeugen angezeigt, erfuhr »nd« von Oberstaatsanwalt Thomas Klinge, und: Ermittelt werde momentan gegen den einen Beamten, aber es werde auch untersucht, »ob noch andere dabei gewesen sind oder nicht«.
Dass weitere Polizisten bei den Quälereien zugegen waren, liegt nahe. Auf dem Bild des geschundenen Marokkaners sind Stiefel zu sehen, die nicht dem fotografierenden Beamten gehören können. Womöglich wird sich die Staatsanwaltschaft auch dafür interessieren, wie generell auf der Bahnhofswache mit Menschen umgegangen wird. Kommt doch im NDR-Beitrag ein ebenfalls anonymisierter Bundespolizist zu Wort, der von »lautem Geschrei« aus den Gewahrsamszellen berichtet und von der Reaktion seiner Kollegen: »Es wurde einfach die Tür zugemacht.« Damit man das Gebrüll nicht hört. Auch der Dienstgruppenleiter habe so verfahren.
Vielleicht interessiert die Ermittlungsbehörden auch, nach welchen Kriterien die Bundespolizei im Hauptbahnhof Personenkontrollen vornimmt. Sucht sie sich »Verdächtige« aufgrund ihres Aussehens heraus? Der Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen erwähnt in einer aktuellen Erklärung – aus anderem Anlass – die Bundespolizei als Beispiel für rassistische Diskriminierung in staatlichen Behörden. Nach Erkenntnissen des UN-Gremiums wählt sie bei Kontrollen in Zügen »Personen nach äußerlichen Merkmalen wie Hautfarbe« aus. Der Ausschuss empfiehlt Deutschland, die Rechtsgrundlagen für Personenkontrollen aufzuheben oder zu ändern und das Verbot rassistischer Diskriminierung zum festen Bestandteil polizeilicher Ausbildung zu machen.
Beschwerden über den Umgang mit Ausländern in der Bahnhofswache habe es schon mehrmals gegeben, weiß Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Niedersachsen. »Aber es war nichts dokumentiert.« Nun aber gehe es um belegbares Geschehen. »Hier ist auch das Bundesinnenministerium als Fachaufsicht gefordert«, betont Weber.
Die Bundespolizei in Hannover, so deren Sprecherin Sandra Perlebach, könne zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen, denn: »Die Sache liegt ganz in den Händen der Staatsanwaltschaft, und die werden wir bei allen Ermittlungen unterstützen.« Das bekräftigt auch das Bundesinnenministerium. Empört äußert sich die politische Ebene. Die Innenex- pertin der niedersächsischen Landtagsgrünen, Meta Janssen-Kucz, sagte am Montag: Die mutmaßlichen Vorfälle seien schockierend. »Spätestens nach der Entdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) stehen die Behörden, aber auch die Politik in einer besonderen Verantwortung, Rassismus in den eigenen Reihen entschieden entgegenzutreten.«
Von »erschreckender Rohheit und Grausamkeit« spricht die Landesbeauftragte für Migration, Doris Schröder-Köpf (SPD). Es wäre alarmierend, wenn sich herausstelle, dass Kontrollmechanismen versagt und Kollegen des Beschuldigten »die brutalen Übergriffe nicht gestoppt haben«.