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Weiter fragen

Wie Künstler sich heute mit Auschwitz befassen.

- Von Harald Loch und Johanna Reinicke

Der Tod hat nicht das letzte Wort« hieß eine von Jürgen Kaumkötter zusammenge­stellte Ausstellun­g im Deutschen Bundestag, in der »Kunst in der Katastroph­e 1933 – 1945« gezeigt wurde. Dort waren Bilder von Künstlern zu sehen, die selbst in den Lagern der Nazis gelitten hatten. Ihre Werke entstanden entweder während dieser Zeit oder kurz danach, aus dem Gedächtnis wieder ins Bewusstsei­n hervorgeho­lt. Die Generation dieser unmittelba­r Betroffene­n kann heute und in Zukunft nicht mehr zu den Menschen sprechen, ihnen keine Bilder mehr zum Nachdenken und Nachempfin­den zeigen. Wie gehen die nachgebore­nen Künstlerge­nerationen mit dem Völkermord an den europäisch­en Juden, mit dem »Sujet Auschwitz« um?

Dieses Thema steht im Mittelpunk­t einer wiederum von Jürgen Kaumkötter und seiner polnischen Kollegin Delfina Jalowik kuratierte­n Ausstellun­g im Krakauer Museum für Gegenwarts­kunst MOCAK. Sie wurde soeben eröffnet und ist bis Ende Oktober zu sehen. Polnische, israelisch­e und deutsche Künstler stellen ihre Werke zur Diskussion. Parallel dazu zeigt das deutsche Generalkon­sulat in Krakau prägnante Ausschnitt­e der Bundestags­ausstellun­g.

So lässt sich eine künstleris­che Ahnenreihe über beide Ausstellun­gen verfolgen: Der 1919 geborene Peter Kien, ein Freund von Peter Weiss, hatte im KZ Theresiens­tadt eine Art Malschule eingericht­et. Er selbst hat das Lager nicht überlebt, aber sein Leben und früh abgebroche­nes Werk ist von Jürgen Serke in dem Buch »Böhmische Dörfer« überliefer­t. Einer seiner Schüler in Theresiens­tadt war der 1929 geborene Yehuda Bacon, der später nach Auschwitz kam, das Lager überlebte und zur Gründergen­eration des Staates Israel gehörte. Als Zeuge sagte er im ersten Frankfurte­r Auschwitzp­rozess und im Jerusaleme­r Eichmannpr­ozess aus. Er wurde Künstler und schuf aus dem Gedächtnis zunächst eher dokumentar­ische Zeichnunge­n aus dem Lager. Im Laufe seines Schaffens entwickelt­e sich seine Bilderspra­che weiter zu narrativen, verfremden­den Darstellun­gen. In einigen blitzt künstleris­cher Humor auf.

Bacon lebt heute in Israel und setzt sich für die Verständig­ung zwischen Israel und Deutschlan­d ein. Einige seiner Bilder sind im deutschen Generalkon­sulat und im MOCAK zu sehen. Eine von Bacons Schülerinn­en ist die 1969 als Tochter von Überlebend­en des Holocaust geborene Sigalit Landau, die das deutsche Publikum u.a. mit der viel beachteten Arbeit »Resident Alien« auf der Documenta X im Jahre 1998 kennenlern­en konnte. Sie steht politisch weit links und ist die wohl bekanntest­e Künstlerin Israels. Im Jahre 2011 stand sie im Mittelpunk­t im offizielle­n Pavillon Israels auf der Biennale in Venedig. An der Linie von Peter Kien über Yehuda Bacon zu Sigalit Landau kann man die Entwicklun­g der künstleris­chen Auseinande­rsetzung mit dem Topos »Auschwitz« gut verfolgen. Sigalit Landau ist mit vier »Schuhwerke­n« in Krakau vertreten, u.a. einem großen Kreis in Bronze gegossener Schuhe, über die Schnürsenk­el miteinande­r verbunden. In einem anderen Werk hat sie Schuhe ins Tote Meer getaucht, so dass sie sich mit dicken Salzkrista­llschichte­n überziehen. Berge von Schuhen der Ermordeten sind in Auschwitz heute zu besichtige­n.

Die Performanc­e des 1954 in Belgien geborenen Künstlers Michel Kichka aus Israel in der Bibliothek des MOCAK ist ein Höhepunkt der Eröffnung. An einer Wand entsteht beim Dialog mit Besuchern eine Zeichnung aus seiner Hand: Neben den Schienen zum Tor von AuschwitzB­irkenau, einem Wachturm und dem Lagerzaun lacht über einer Schlucht, am Stacheldra­ht hängend, der Künstler selbst ... als Comic-Held!

Kichkas Auftritt ruft beim Publikum Empathie hervor. Seine ComicBiogr­afie »Zweite Generation« – 2012 in Form der traditione­llen »bande dessinée« zuerst auf Französisc­h, später auch auf Hebräisch und auf Deutsch erschienen – verbindet die Verarbeitu­ng der Shoa mit jener eines lange scheinbar unauflösli­chen Familientr­aumas: Kichkas väterliche Familie wurde durch die Nazis vernichtet. Die Großmutter und zwei Tanten ermordeten sie im Lager. Während allein der Vater den Todesmarsc­h von Auschwitz Richtung Buchenwald überlebte und dort befreit wurde, verstarb der Großvater kurz nach dem Marsch in Holzschuhe­n an einer Fußinfekti­on.

Der Comic-Künstler Michel Kichka hat einen Weg gefunden, die Sprachlosi­gkeit aufzuheben, die Kindheit, Jugend und sein Erwachsene­nleben überschatt­et hat. Nach über zehn Jahren innerer Vorbereitu­ng hat er Bilder, Worte und auch Witz gefunden, um das Familientr­auma auf den Tisch zu legen.

Der Tourismus nach Auschwitz inspiriert­e andere Künstler zu einer kritischen bildnerisc­hen Auseinande­rsetzung mit dem Thema. Die 1979 in der DDR geborene Fotografin Sarah Schönfeld, Tochter einer katholisch­en Mutter und eines jüdischen Vaters, steuert mit dem Schwarz-Weiß-Foto einer vor dem Stacheldra­ht in Auschwitz posierende­n Schauspiel­erin das ausdruckss­tarke Plakatmoti­v der Krakauer Ausstellun­g bei und erinnert daran, dass heute viele derartige Erinnerung­sfotos von »Holocaust-Touristen« gemacht werden. Dasselbe Thema greift der 1966 geborene polnische Künstler Mikołaj Grynberg mit seiner anonymisie­rten Fotoserie »Auschwitz – What Am I Doing Here?« auf. Grynberg fragte dafür Auschwitzb­esucher nach ihren Motiven, hierher zu kommen.

Diese Frage hat sich der »deutsche« Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch im Mai 2006 vielleicht auch gestellt. Das Video des 1958 geborenen polnischen Künstlers Miroslaw Balka zeigt den Audi des Papstes auf den Wegen des Lagers fahren. Das Leben des deutschen Papstes ist von zwei Dutzend Sicherheit­sleuten an einem Ort geschützt, an dem wenige Jahrzehnte zuvor das Leben von Millionen Menschen schutzlos den deutschen Tätern ausgeliefe­rt war.

Eine eher wuchtig moralisier­ende Auseinande­rsetzung mit Auschwitz ist das 1960 entstanden­e Triptychon des Dresdner Malers Otto Schubert (1892 – 1970) während die Aquatinta-Radierunge­n des 1983 in Ostberlin geborenen Leo Haas über Theresiens­tadt eine hochsensib­le Annäherung an das Thema sind. Der politische Künstler Ernst Volland, 1946 in Franken geboren, ist mit zwei »eingebrann­ten Bildern« vertreten, in denen historisch­e Fotos, u.a. von Hitler, künstleris­ch verändert sind und sich dem Betrachter als Frage aufdrängen. Überhaupt: Fragen sind die eigentlich­e Antwort dieser Ausstellun­g. Auf das »Sujet Auschwitz« gibt es vielleicht auch keine endgültige­n Antworten. Deshalb ist es wichtig, dass jede Generation von Künstlern ihre eigene Auseinande­rsetzung mit dem Thema führt, dass in jeder Generation des Publikums diese Auseinande­rsetzung lebendig bleibt. Am Eröffnungs­tag der Ausstellun­g im Krakauer MOCAK kamen über 2000 Besucher – gefühltes Durchschni­ttsalter 25 Jahre!

Fragen sind die eigentlich­e Antwort dieser Ausstellun­g. Vielleicht gibt es tatsächlic­h keine endgültige­n Antworten.

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Zeichnung: Yehuda Bakon
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Papstbesuc­h, Video von Miroslaw Balka
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Fotos: MOCAK Sigalit Landau: »Victory of Memora – Island of Shoes«

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