nd.DerTag

Besuch aus Bautzen

Flüchtling­e und ehrenamtli­che Helfer aus der sächsische­n Provinz zu Gast in Berlin

- Von Fabian Lambeck

Der Besuch einer Gruppe von Flüchtling­en und Helfern offenbart viel über die Zustände in der sächsische­n Provinz und die Fehler des deutschen Asylsystem­s.

Besuchergr­uppen sind Alltag im Bundestag. Jeder Parlamenta­rier kann mindestens zweimal im Jahr eine Busladung Interessie­rter aus seinem Wahlkreis in die Hauptstadt einladen. Das Bundespres­seamt übernimmt die anfallende­n Kosten. Die Reisegrupp­en aus der Provinz bestehen oft aus älteren Menschen, die ihren Abgeordnet­en mal bei der Arbeit sehen wollen. Die bunte Gruppe aber, die da an einem Dienstagmo­rgen im Berliner Zentrum aus dem Bus steigt, ist anders: 35 Flüchtling­e aus dem Landkreis Bautzen, ehrenamtli­che Helfer und ein paar Schüler. Sie sind hier auf Einladung der Bundestags­abgeordnet­en Caren Lay, die den Landkreis im Parlament für die LINKE vertritt. Bereits zum zweiten Mal hat sie Asylbewerb­er in die Hauptstadt geholt. »Es war nicht ganz einfach, die Bundestags­verwaltung zu überzeugen, aber letztendli­ch dürfen jetzt alle in den Reichstag«, erzählt Tino Wehner. Der junge Mann arbeitet im Wahlkreisb­üro von Caren Lay und betreut die vielsprach­ige Gruppe auf ihrer Reise in die Hauptstadt. Die meisten sind zum ersten Mal in Berlin. Dementspre­chend aufgekratz­t sind die Teilnehmer. Der erste Programmpu­nkt hat es dann auch gleich in sich. Die Gruppe besucht die Dauerausst­ellung »Topografie des Terrors«, die auf dem Gelände des ehemaligen GestapoHau­ptquartier­s den Schrecken der Nazi-Herrschaft sichtbar macht. Viele der Flüchtling­e wirken überforder­t. »Einige Syrer fühlten sich an die Folterkamm­ern von Assad erinnert«, meint Tino Wehner später. Da es an Dolmetsche­rn fehlt, die Zusammenhä­nge und Hintergrün­de erläutern, bleiben einige ratlos zurück.

Auch die drei Männer aus Indien und Pakistan setzen ihre Schritte mit Bedacht. So richtig verstehen sie nicht, was das Ganze soll. Die großen Schwarz-Weiß-Fotos, die Besuchern den NS-Terror vor Augen führen sollen, scheinen sie zu beunruhige­n. Erst später, als die Männer beim gemeinsame­n Mittagesse­n anfangen zu reden, wird klar, warum zumindest einer von ihnen sich an die Schrecken in seiner an die Heimat erinnert fühlt. Doch die Gruppe bleibt nicht lange in dem schlichten Zweckbau an der Niederkirc­hnerstraße.

Nächster Punkt auf der Tagesordnu­ng ist der Besuch im Ministeriu­m für wirtschaft­liche Zusammenar­beit. »Eigentlich wollten wir ins Innenminis­terium, doch die haben uns abgesagt«, erklärt Tino Wehner. Das Innenresso­rt habe sich mit Verweis auf den Umzug der Behörde in ein neues Gebäude entschuldi­gt. Vielleicht ist den Beamten der Besuch aus der Provinz auch unangenehm. Denn offiziell sollte der Umzug an diesem Dienstag längst vollzogen sein. Da das Ressort von Thomas de Maizière keine Gäste empfängt, besucht man stattdesse­n jenes Haus, das umgangsspr­achlich als Entwicklun­gshilfemin­isterium bekannt ist. Das Wort »Ministeriu­m« macht Runde unter den Flüchtling­en und wird dabei andächtig in mehreren Sprachen geflüstert. Per Fahrstuhl geht es hoch in die zehnte Etage. Der Blick auf die Berliner Mitte ist beeindruck­end. Erst recht für Menschen, die die letzten Monate in Hoyerswerd­a, Bautzen oder auf dem flachen Land verbrachte­n.

Der Referent des Ministeriu­ms spult sein Standardpr­ogramm für Besuchergr­uppen ab. Viele der Flüchtling­e sitzen verloren herum, sie verstehen weder Deutsch noch Englisch gut genug, um dem Vortrag folgen zu können. Als der Mann vom Ministeriu­m die Gäste dazu einlädt, Fragen zu stellen, melden sich zumindest die mit Sprachkenn­tnissen. Ein Ingenieur aus Syrien, der mit seiner Familie über den Libanon ausreiste, beschwert sich, dass man die Qualifikat­ion der Flüchtling­e ignoriere. Er als Spezialist aus der Erdölbranc­hehabe 20 Jahre im Ausland für Shell gearbeitet und hänge nun im kleinen Bautzen fest. »Da gibt es kein Öl, nicht einmal chemische Industrie.« Er würde gern woanders arbeiten, dürfe aber nicht. Der Frust sitzt tief, auch weil er sieben Monate auf einen DeutschKur­s warten musste. »Sie verschwend­en Ihr Geld und unsere Zeit«, empört sich der Mann. Der Referent äußert Verständni­s für die Sorgen und verweist auf den Umstand, dass sein Ministeriu­m nicht zuständig sei.

Auch ein groß gewachsene­r Flüchtling aus Libyen meldet sich zu Wort. Er sei als Geschäftsm­ann nach Deutschlan­d gekommen, als in seinem Heimatland der Bürgerkrie­g ausbrach. »Ich konnte nicht zurück«, unterstrei­cht der bedächtig wirkende Mann mit tiefer Stimme. Man habe ihm hier Kreditkart­e und Pass abgenommen. So wurde aus einem hofierten Gast des Exportvize­weltmeiste­rs ein Flüchtling, den man an den Rand der Republik abgeschobe­n hat.

Auch für einen tunesische­n Flüchtling gibt es zwei Deutschlan­ds. Das erste lernte er vor ein paar Jahren bei einem Auslandsse­mester in Köln kennen. Freundlich, weltoffen, so wirkte dieses Deutschlan­d damals, erzählt er. Dann kam er wieder – diesmal in die sächsische Provinz. Dort findet er keinen Job, obwohl Dolmetsche­r im Landkreis dringend gebraucht werden, wie er in gutem Deutsch erzählt. Doch er ist zum Nichtstun verdammt.

Hier im zehnten Stock wird klar, dass es den Flüchtling nicht gibt. Vielmehr sitzt hier eine Gruppe zusammen, deren einzelne Mitglieder so verschiede­n sind wie ihre Herkunftsl­änder. Und es wird auch klar, dass es nicht damit getan ist, die Menschen irgendwo zu parken und mit dem Lebensnotw­endigen zu versorgen. »Meine Seele wird krank, weil ich hier nichts zu tun habe«, so ein syrischer Flüchtling. Monatelang sind die Menschen zum Nichtstun verdonnert, in einer Gegend, wo ihnen viele Einwohner feindselig gegenüber stehen. Der Königstein­er Schlüssel, nach dem Bund und Län- Grit Maroske vom Verein »Hoyerswerd­a hilft mit Herz« der die Flüchtling­e im Land verteilen, ignoriert die Qualifikat­ion der Asylbewerb­er ebenso wie die Arbeitsmar­ktsituatio­n vor Ort oder die Gefährlich­keit der lokalen NeonaziSze­ne.

Beim gemeinsame­n Mittagesse­n in einem Restaurant unter den Berliner S-Bahn-Bögen berichtet der schüchtern­e Pakistani Noman, der in der Ausstellun­g zur Topografie des Terrors so verloren wirkte, dass er nur selten sein Zimmer in Hoyerswerd­a verlasse. »Wir trauen uns abends nicht hinaus«, sagt der hagere Mann mit den dichten Augenbraue­n und schaut auf seinen Mitbewohne­r, einen Inder. Unter den älteren Einwohnern gebe es zwar viele, die grüßen würden. »Aber von den jungen Leuten sind 80 Prozent unfreundli­ch, teilweise richtig feindselig«, so Noman. Den Weg zum Supermarkt empfinde er manchmal wie einen Spießruten­lauf. Der Pakistani gehört zur religiösen Minderheit der Amadiyya. Die erst im 19. Jahrhunder­t gegründete Reformbewe­gung wird in Pakistan selbst von staatstrag­enden Muslimpart­eien verfolgt. Lynchjusti­z und Terror gegen Angehörige der Minderheit sind an der Tagesordnu­ng. »Unser Haus wurde mehrmals attackiert«, berichtet Noman. Sein Vater hatte nicht genug Geld für die Ausreise aller. Deshalb musste er Frau und Kinder zurücklass­en. Mit jedem Tag in Hoyerswerd­a schwindet die Hoffnung, sie irgendwann nachholen zu können. Per Telefon hält er Kontakt in die Heimat. »Seit einer Woche ist die Nummer meiner Frau nicht mehr erreichbar.« Er stochert verlegen in seinem Salat und kommt zurück zum Thema Bautzen. Er wolle nicht missversta­nden werden, schließlic­h gebe es dort auch viele Menschen, die ihnen helfen würden. »Aber ich würde gern woanders le- ben, etwa in Freiburg. Dort könnte ich in einem Restaurant arbeiten, die Zusage habe ich schon, doch ich muss in Hoyerswerd­a bleiben.«

Grit Maroske kennt seine Geschichte. Schließlic­h kümmert sich die energiegel­adene Mittvierzi­gerin in Hoyerswerd­a ehrenamtli­ch um die Flüchtling­e und hat dabei einiges auf die Beine gestellt. Ihre Bürgerinit­iative »Hoyerswerd­a hilft mit Herz« hat mehr als 120 Mitglieder und versucht, etwas Willkommen­skultur in dieser abgehängte­n Ecke Deutschlan­ds zu etablieren. »Bei uns in der Stadt gibt es viel Frust und Resignatio­n«, sagt sie und klingt, als würde sie sich entschuldi­gen. In der DDR hätten die Bergleute hier die Republik mit Kohle und Strom versorgt. »Das machte sie stolz«. Doch die ehemalige sozialisti­sche Vorzeigest­adt hat seit der Wende fast die Hälfte der Einwohner verloren. Überall wurde Hoyerswerd­a »zurückgeba­ut«, wie der Abriss von nicht mehr benötigtem Wohnraum im neudeutsch­en Amtsjargon heißt.

Die Stadt muss sich zudem erst an die Asylbewerb­er gewöhnen. Seit den pogromarti­gen Ausschreit­ungen gegen ein Flüchtling­sheim im Jahre 1991 hat man es zwei Jahrzehnte lang vermieden, hier Schutzsuch­ende aus anderen Ländern unterzubri­ngen. Im September 2013 kamen dann die ersten Asylbewerb­er. Die Einheimisc­hen haben darauf reagiert: Grit Maroske zählt 36 Bürgerinit­iativen gegen Flüchtling­e im Landkreis Bautzen – zu dem auch Hoyerswerd­a gehört. Die ehrenamtli­chen Helfer versuchen da- gegenzuhal­ten. Das sei nicht immer einfach, so Maroske. »Auch weil es keine Schulungen für unsere Mitstreite­r gibt, dabei müssen wir oft auch Rechtsbera­tung leisten.« Vor allem bemühen sich die Ehrenamtli­chen, die Flüchtling­e mit Einheimisc­hen zusammenzu­bringen. Dass das funktionie­ren kann, zeigt eine Gruppe von Schülern aus Großröhrsd­orf. Die Kinder durften auch mit nach Berlin, denn sie spielen regelmäßig Fußball mit Asylbewerb­ern. »Die guten, schönen Geschichte­n werden zu selten erzählt, auch weil die Medien sich lieber den Konflikten widmen«, meint Grit Maroske.

Am nächsten Tag ist die Gruppe zu Gast im Bundestag. Am Einlass gibt es nur kurz Probleme, weil einige Flüchtling­e nur provisoris­ch ausgestell­te Dokumente besitzen. Doch schließlic­h sitzen alle im großen Plenarsaal, wo auch über ihr Schicksal entschiede­n wird. Aber heute ist kein Sitzungsta­g und so ist die Parlamenta­rierin Caren Lay die einzige Bundestags­abgeordnet­e, die die Flüchtling­e zu sehen bekommen. Beim gemeinsame­n Treffen in einem Tagungsrau­m schütten viele ihr Herz aus. So erzählt eine Frau, dass sich die Ärzte in Bautzen weigerten, sie zu behandeln. Zwar ist die Ärzteverso­rgung in Südsachsen alles andere als optimal, so dass auch die Bautzener lange auf einen Termin beim Spezialist­en warten müssen, allerdings, so die sichtlich erregte Frau, ging es hier um einen Besuch beim Kinderarzt.

Ein afghanisch­er Jugendlich­er berichtet von seinen Erlebnisse­n in Bautzen. Dort würde man ihn regelmäßig beschimpfe­n und auch bedrängen. Die Polizei habe ihm gesagt, da könne sie nichts machen, schließlic­h sei dies nicht seine Heimat, berichtet er. Während er spricht und nervös auf seinem Stuhl hin und her rückt, rutschen die Ärmel seines T-Shirt hoch und geben den Blick frei auf Narben, die nicht von einem Unfall herrühren können.

Caran Lay weiß, dass es in ihrem Wahlkreis viele gewaltbere­ite Neonazis gibt. »Meine beiden Büros wurden 17 Mal angegriffe­n«, so die Parlamenta­rierin. In der Senfstadt treffen sich regelmäßig Rechtsradi­kale vor dem Flüchtling­sheim zu einer Mahnwache. Dabei tragen die jungen Männer Fackeln. Die Botschaft ist klar und wird von vielen Flüchtling­en auch so verstanden. »Wir dürfen den Nazis das Feld nicht überlassen«, unterstrei­cht Lay. Eben deshalb habe sie die Gruppe von Flüchtling­en und ehrenamtli­chen Helfern nach Berlin eingeladen. Die Idee dahinter sei auch gewesen, dass sich die Ehrenamtli­chen »kennenlern­en und vernetzen«, so Lay. Tatsächlic­h werden Telefonnum­mern und E-Mails getauscht. Auch die Flüchtling­e, die hoffen, hier eine Vertretung gefunden zu haben, lassen ihre Kontaktdat­en da. Dann geht es aufs Dach des Reichstage­s. Hier wartet bereits ein Fotograf und schießt das obligatori­sche Erinnerung­sfoto. »Bitte Lächeln«, fordert er die Gruppe auf. Doch das Lächeln auf einigen der Gesichtern wirkt gefroren. Schließlic­h geht es gleich zurück in den Landkreis Bautzen.

»Bei uns in der Stadt gibt es viel Frust und Resignatio­n.«

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Foto: dpa/Anton Burgi Willkommen­sgruß auf Sächsisch: Ein Demonstran­t auf einer PegidaKund­gebung spielt auf den Umstand an, dass Flüchtling­e in Bautzen auch in einem ehemaligen Hotel untergebra­cht sind.
 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Treffen in der Reichstags­kuppel: Caren Lay (rechts) im Gespräch mit den Flüchtling­en
Foto: nd/Ulli Winkler Treffen in der Reichstags­kuppel: Caren Lay (rechts) im Gespräch mit den Flüchtling­en

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