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Wenn die Stimme doppelt zählt

- Bernd Zeller über die Feststellu­ng und den nicht zu unterschät­zenden Vorteil einer geringen Wahlbeteil­igung

In unserem heutigen Bericht gehen wir Ursachen und Auswirkung­en der verschwind­end geringen Wahlbeteil­igung nach, die zuletzt in Bremen bei 50 Prozent lag. Die erste Schwäche ist eine mathematis­che. Maximal sind 100 Prozent erreichbar. Aber nur theoretisc­h – noch nie lag die erzielte Rate bei 100 von 100. Man sollte diese Angelegenh­eit den Bildungspo­litikern überantwor­ten, sie kämen höchstwahr­scheinlich auf die Idee, die Ansprüche an die volle Wahlbeteil­igung abzusenken. Absenken würde man natürlich nicht sagen, sondern anpassen. Etwa an die zuletzt erreichte – dann hätte man in Bremen immerhin 98 Prozent erzielt – oder an die im unteren Durchschni­tt erwartbare, dann hätte Bremen noch gerechter abgeschnit­ten.

Parteien nutzen diese Methode bei der Interpreta­tion ihres Wahlergebn­isses. Man liegt immer über dem Bundestren­d und weit über den Unkenrufen der Schwarzmal­er, manchmal sogar der Demoskopen. Und hierbei liefert auch die Wahlbeteil­igung die entscheide­nde Begründung. Die SPD führt ihr schlechtes Abschneide­n auf die niedrige Wahlbeteil­igung zurück. Bei den 50 Prozent, die nicht zur Wahl gehen, handelt es sich schon rein klientelmä­ßig um Leute, die aus Sicht der SPD allen Grund hätten, die SPD zu wählen. Wenn sie zu Hause bleiben, zeigt dies, dass für sie sonst niemand in Frage kommt. Man hätte ihnen noch deutlicher klarmachen müssen, dass sie das Ankreuzen schon selbst erledigen müssen.

Die Grünen haben es einfacher: Sie sehen ihre Verluste darin begründet, dass sie beim letzten Mal zu viele Stimmen bekommen hatten. Das ist die richtige Einstellun­g. Man ist bereit, in der Krise die Chance zu sehen, aber es gibt gar keine Krise.

Für die CDU ist die Lage zu komplex, als dass sie mit politische­n Kategorien verstanden werden könnte. Der Bundestren­d geht eindeutig zu Angela Merkel. Man hat sich an die Kanzlerin gewöhnt. Und wie es mit lästigen Angewohnhe­iten so ist: Man wird sie nicht so einfach los. Man versucht nur etwa auf Landeseben­e einen Ausgleich durch Entzug.

Aus Sicht der Wahlberech­tigten ist es eigentlich besonders attraktiv, die Stimme gerade dann abzugeben, wenn es nur jeder zweite tut, denn dann zählt die eigene doppelt. Im Bremer Wahlsystem hat man sogar ist Satiriker und Karikaturi­st und lebt in Jena. fünf Stimmen zu vergeben, denen dann ein Gewicht von zehn zukommt. Anderersei­ts möchte man sich womöglich genau dieser Überbewert­ung entziehen. Es ist nämlich äußerst demokratis­ch gedacht, nicht zu wählen; dann stimmt man dem Gesamterge­bnis zu, also der Zusammense­tzung des Parlamente­s in der Form des amtlichen Ergebnisse­s, und nicht nur einer Splittergr­uppe, die im Wahlkampf ein paar nette Plakate in die Gegend gepflanzt hat.

Der Wahlkampf ist überhaupt das Spitzenpro­dukt der Demokratie. Während der Legislatur­periode werden die Verantwort­ungsträger vom Wahlvolk schon mal als die da oben angesehen, vielleicht sogar von sich selbst, aber sobald sie daran erinnert werden, gewählt werden zu müssen, lassen sie sich in bürgernahe­r Pose knipsen und werben um Vertrauen. Gewiss wäre es äußerst glaubwürdi­g, wenn einmal ein Kandidat mit dem Slogan »Vertraut mir nicht, kontrollie­rt mich!« werben würde, aber mit so was würde der gar nicht erst aufgestell­t. Kontrolle, das klingt nach Überwachun­g, und das wollen wir nicht. Das wollten nicht einmal die Piratenpar­tei-Piraten. Transparen­z ja, aber bei den anderen, wo sie angebracht ist.

Der Bremer Senat hat sich alle Mühe gegeben, mit einer geradezu transparen­t einfach geschriebe­nen Broschüre den Wahlvorgan­g zu erklären. Man hätte auch noch mitteilen sollen, dass Bremen vom Senat regiert wird, das ist vielleicht nicht allen Bremern klar.

Damit nicht behauptet werden kann, das Parlament wäre unzureiche­nd legitimier­t und übe ein nicht vorhandene­s Mandat aus, lassen sich die meisten Parlamenta­rier gar nicht erst bei Debatten im Plenarsaal sehen.

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Bernd Zeller

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