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Es wäre Zeit, dass die Verhältnis­se geklärt werden

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Vor zehn Jahren, es war der 22. Mai 2005, verlor die SPD in NordrheinW­estfalen die Landtagswa­hl. Während sich die CDU noch freute, beendeten zwei Sozialdemo­kraten die bundespoli­tische Nachwendez­eit – sie wussten es da allerdings noch nicht. Kurz nach Schließung der Wahllokale erklärte der damalige Parteivors­itzende Franz Münteferin­g, »es ist an der Zeit, dass in Deutschlan­d die Verhältnis­se geklärt werden«.

Gemeint war: Nach der Abwahl der seinerzeit letzten rot-grünen Landesregi­erung sollte die gegenseiti­ge Blockade des von der Union dominierte­n Bundesrate­s und des Bundestags überwunden werden, in dem Rot-Grün um die Mehrheit bangen musste – die Agenda-Politik von Gerhard Schröder hatte in der SPD viel Unmut ausgelöst. Münteferin­g, der auch Fraktionsc­hef war, musste kritische Sozialdemo­kraten immer öfter mit namentlich­en Abstimmung­en disziplini­eren.

Um 20 Uhr an jenem 22. Mai vor zehn Jahren, zur »Tagesschau«-Zeit, trat der damalige Kanzler vor die Öffentlich­keit: »Für die aus meiner Sicht notwendige Fortsetzun­g der Reformen halte ich eine klare Unterstütz­ung durch eine Mehrheit der Deutschen für unabdingba­r.« Eine »klare Unterstütz­ung« von Sozialdemo­kraten und SPD-Wählern hatte es für den Kurs nie gegeben – die Wahl in Nordrhein-Westfalen belegte das erneut. Und die Neuwahlen brachten Schröder auch keine Mehrheit, sondern die Große Koalition.

Das hat nicht nur – aber auch – mit der Linksparte­i zu tun, die 2005 nicht zuletzt als Sammlungsb­ewegung der Agenda-Kritiker eine Art bundespoli­tische Wiedergebu­rt erlebte und das Parteiensy­stem veränderte.

Dies freilich auf eine Weise, die nicht ohne Dilemma ist, wie man dieser Tage erleben kann: Weil für den bis 2005 dominieren­den Wechsel zwischen konservati­v und sozialdemo­kratisch geführten Kabinetten die Mehrheiten nicht mehr ohne Weiteres erreicht werden, weil im Lager »jenseits der Union« die koalitions­politische­n Blockaden groß sind und die realpoliti­schen Unvereinba­rkeiten nicht viel kleiner, kann auf längere Sicht das Modell Angela Merkel trumpfen: eine von der CDU angeführte Koalition, in der die CSU die Rolle des rechtspopu­listischen Beirades übernehmen und die SPD- Führung am Aberglaube­n ihrer Version »staatspoli­tischer Verantwort­ung« festhalten kann.

Wirklich Verantwort­ung übernehmen hieße derzeit: Die Koalitions­frage zu stellen. Dafür gibt es mindestens drei Gründe, welche Sozialdemo­kraten (das ist nicht immer dasselbe wie die SPD) überzeugen müssten: die zur Staatskris­e ausgewachs­ene BND-Affäre; die Griechenla­ndkrise, in der es um die soziale und ökonomisch­e Grundricht­ung der Europäisch­en Union geht; und die Demokratie­krise hierzuland­e. Womit wir wieder im Mai 2005 wären, denn die Neuwahl-Entscheidu­ng und was ihr vorausging haben damit zu tun.

Durch die Agenda-Politik wurde die soziale Spaltung vertieft und das Heer der Chancenlos­en vergrößert, Menschen wurden so politisch abgehängt, weshalb in Wahlen immer stärker nur noch der Wille der besser Situierten zum Ausdruck kommt. Das stärkt die Union.

Schröders Neuwahl-Entscheidu­ng verkörpert­e zudem eine Mischung aus präsidial-autoritäre­m Politiksti­l und Dogma der Alternativ­losigkeit. Das stärkt die »marktkonfo­rme Demokratie«.

Der Altkanzler »konnte und wollte« seinerzeit die Agenda 2010 nicht verändern, also brachte er die Partei um den Preis ihrer Halbierung und gegen viele Widerständ­e auf Kurs.

Wollen Sozialdemo­kraten, dass die SPD diese Entscheidu­ng korrigiert? Mit Sicherheit, doch offenkundi­g gibt es in der Partei derzeit dafür keine Mehrheit. Anders gesagt: Die einen wollen und die anderen können die Verantwort­ung nicht übernehmen. Die Koalitions­frage bleibt deshalb beantworte­t. Leider.

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