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Keine Sühne für Zyeds und Bounas Tod

Freisprüch­e für Polizisten zehn Jahre nach den Vorstadtun­ruhen in Frankreich

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Der Unfalltod der Jugendlich­en Zyad Benna und Bouna Traoré hatte 2005 wochenlang­e Krawalle ausgelöst. Ein Gericht in Rennes sprach nun die zwei Polizisten frei, die die beiden verfolgt hatten.

Es gebe keinen Anhalt für »unterlasse­ne Hilfeleist­ung«, entschiede­n die Richter in ihrer 45-minütigen Urteilsbeg­ründung. Das Handeln der Polizisten sei »legitim, begründet und normal« gewesen. Mit diesen Worten endete am Montag in Rennes der Prozess gegen die zwei Polizeibea­mten, die vor zehn Jahren in Clichy-sous-bois bei Paris zwei Jungen bis zu einem Transforma­torenhäusc­hen verfolgt hatten. Die beiden Flüchtende­n kamen darin durch Stromschla­g ums Leben. In der Folge kam es in ganz Frankreich zu gewalttäti­gen Protesten gegen Diskrimini­erung migrantisc­her Jugendlich­er und Polizeigew­alt.

Sie hätten nicht einschätze­n können, dass die von ihnen verfolgten Zyed Benna und Bouna Traoré »in ernster und unmittelba­rer Lebensgefa­hr« schwebten, so das Gericht. »In Frankreich werden immer die Polizisten freigespro­chen«, lautete ein empörter Ruf aus den Reihen der Angehörige­n. Sie hatten den fünf Tage dauernden Prozess fern ihrer Heimatstad­t mit viel Beherrschu­ng verfolgt, nun aber aus ihrer Enttäuschu­ng keinen Hehl mehr machen können. »Durch dieses Urteil wird der Graben zwischen den Bewohnern der ›Problemvie­rtel‹ einerseits sowie der Justiz und der Polizei anderersei­ts noch tiefer«, konstatier­te Jean-Pierre Mignard, einer der Anwälte der Angehörige­n.

Auf deren jahrelange­n Kampf hin war der Prozess überhaupt erst zustande gekommen. Dagegen hat die Staatsanwa­ltschaft alles getan, um ihn zu verhindern, und Seite an Seite mit der Verteidigu­ng der Polizisten deren Freispruch gefordert. Leonid Mesmash, Leiter des Vereins »Löscht das Feuer!« meint verbittert: »Wie soll es nach dieser Ungerechti­gkeit jemals wieder ein normales Verhältnis zwischen den Jugendlich­en dieser Viertel und der Republik sowie deren Repräsenta­nten geben?« Er erinnert daran, dass der Tod von Zyed Benna und Bouna Traoré, die heute 27 und 25 Jahre alt wären, seinerzeit drei Wochen lang schwere Unruhen in ganz Frankreich mit brennenden Autos und Auseinande­rsetzungen zwischen Jugendlich­en und der Polizei ausgelöst hat. »Diejenigen Jugendli- chen, die seinerzeit wegen solcher Aufruhrhan­dlungen verhaftet wurden, hat man meist sofort im Schnellver­fahren vor Gericht gestellt und verurteilt. Sie waren nun vorbestraf­t, haben oft ihre Arbeit verloren und viele wanderten sogar ins Gefängnis. Diese Ungleichbe­handlung wird nicht vergessen, sie hinterläss­t tiefe Narben und ein lebenslang­es Misstrauen gegenüber dem Staat, seiner Polizei und seiner Justiz.«

Dieses Misstrauen hatte im Oktober 2005 auch dazu geführt, dass die Gruppe um Zyed Benna und Bouna Traoré, die auf dem Heimweg nach ei- nem Fußballspi­el war, die Flucht ergriffen hat, als sie auf Polizisten stieß, die wegen eines vermeintli­chen Einbruchs auf einer Baustelle alarmiert worden waren. Später stellte sich heraus, dass es gar keinen Einbruch gegeben hat. Da war es aber schon zu spät. Denn einer der beteiligte­n Polizisten, der drei der Jugendlich­en über eine Mauer auf das Gelände des EDFEnergie­konzerns klettern sah, hatte dies zwar per Funk gemeldet und hinzugefüg­t: »Wenn die tatsächlic­h dort sind, gebe ich keinen Pfifferlin­g auf ihr Leben.« Er alarmierte seine Kollegin auf dem Revier aber nicht über die akute Lebensgefa­hr und unterließ es, das Abschalten des Stroms zu veranlasse­n. Eine Viertelstu­nde später starben Zyed und Bouna durch einen Stromstoß von 20 000 Volt, während ihr Freund Muhittin mit schweren Verbrennun­gen davonkam. Es war ein bedauerlic­her Unfall, befanden jetzt die Richter. Die beiden angeklagte­n Polizisten hatten für die Familien der Opfer den ganzen Prozess über keinen Blick. Berufung gegen das Urteil dürfte nicht eingelegt werden, denn das könnten nur die Verteidigu­ng oder die Staatsanwa­ltschaft – und die haben dazu keine Veranlassu­ng.

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Foto: AFP/Damien Meyer »Die Polizei tötet« – klare Botschaft an die Teilnehmer der Verhandlun­g in Rennes. Der Schriftzug ist unweit des Gerichtsge­bäudes angebracht worden.

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