Mazedonien zwischen Protest und Gegenprotest
Umstrittener Regierungschef Gruevski ruft nach Großdemonstration der Opposition eigene Anhänger auf die Straße
In Mazedoniens Machtkampf gerät Nikola Gruevski zunehmend unter Druck. Von einem Abtritt will der nationalpopulistische Regierungschef indes nichts wissen und ruft seine Anhänger auf die Straße.
An einen Rückritt verschwendet Mazedoniens mächtigster Mann keinen Gedanken. Er habe keinerlei Absicht, »zurückzutreten oder eine Übergangsregierung zu akzeptieren«, versicherte der in einem sich ausweitenden Abhörskandal zunehmend unter Druck geratene Regierungschef Nikola Gruevski am Sonntag. Zur Un- terstützung seiner Regierung hat er für Montagabend seine Anhänger für eine Großdemonstration in die Hauptstadt Skopje gerufen: »Nur das Volk entscheidet, wer Premier, wer an der Regierung und wer in der Opposition ist.«
Seit neun Jahren teilt der 44-jährige Chef der nationalpopulistischen Regierungspartei VMRO-DPMNE in seinem bitterarmen Land die Karten aus. Als der Sohn einer Krankenschwester 2006 erstmals auf den Premierssessel rutschte, eilte dem Hobbyboxer noch der Ruf eines Wirtschaftstechnokraten voraus. Nach Abschluss seines Wirtschaftsstudiums hatte Gruevski zunächst als einer der ersten Börsenmakler auf dem Parkett in Skopje sein Brot verdient, bevor er 1998 zum Handelsminister und ein Jahr später zum Wirtschaftsminister gekürt wurde.
In den ersten beiden Amtsjahren als Premier konzentrierte er sich tatsächlich auf Wirtschaftsfragen. Eine scharfe nationalistische Kehrtwende schlug er erst nach dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest ein, bei dem Griechenland wegen des ungelösten Namensstreits mit Mazedonien sein Veto gegen den eigentlich erwarteten NATO-Beitritt der Nachbarn einlegte. Gruevski rief dann vorgezogene Neuwahlen aus und sicherte sich auf der Welle der nationalen Empörung reitend zum ersten Mal die Wiederwahl.
Mit dem Bau turmhoher Monumente zu Ehren antiker und auch von den Nachbarn beanspruchter Helden nahm er die Verschlechterung der angespannten Beziehungen zu Athen, aber auch zu Mazedoniens albanischer Minderheit bewusst in Kauf: Die von Griechenland blockierte Annäherung an EU und NATO scheinen weiter weg als je zuvor. Mit dem Feldzug gegen regierungskritische Medien, der Lancierung treuer Gefolgsleute in der Verwaltung, Justiz und in dem Sicherheitsapparat festigte er im Innern seine Position. Doch das großangelegte Abhören von Freund und Feind hat sich für Gruevski nun selbst als Stolperstein entpuppt: Es sind die an die Öffentlichkeit geratenen Mitschnitte von Telefonaten seiner engsten Mitarbeiter, die ihn gehörig ins Schleudern gebracht haben.
Ob Manipulationen von Wahlen, Ausschaltung politischer Gegner mit Hilfe der handzahmen Justiz, korrupte Beschaffungspraktiken, Gängelung der Presse oder düstere Geheimdienstmanöver: Die Aufnahmen bieten Einblicke in Willkürherrschaft und Machtmissbrauch. Mit der Innenministerin und dem mit ihm verwandten Geheimdienstchef hat der Mann, an dem sich in Mazedonien die Geister scheiden, bereits zwei der engsten Mitarbeiter geopfert.
Der sozialdemokratische Oppositionschef Zoran Zaev glaubt indes, dass nur der Rücktritt Gruevskis die Lösung ist. »Deine Zeit ist abgelaufen. Tritt ab«, sagte er am Sonntag vor 20 000 Demonstranten in Skopje.
Dem Protest gingen Feuergefechte in der nördlichen Stadt Kumanovo zwischen der Polizei und einer schwer bewaffneten »Terrorgruppe« aus ethnischen Albanern voraus. Wegen der angespannten Beziehungen unter den verschiedenen Volksgruppen wird eine blutige Eskalation der politischen Krise befürchtet.