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Mazedonien zwischen Protest und Gegenprote­st

Umstritten­er Regierungs­chef Gruevski ruft nach Großdemons­tration der Opposition eigene Anhänger auf die Straße

- Von Thomas Roser, Belgrad

In Mazedonien­s Machtkampf gerät Nikola Gruevski zunehmend unter Druck. Von einem Abtritt will der nationalpo­pulistisch­e Regierungs­chef indes nichts wissen und ruft seine Anhänger auf die Straße.

An einen Rückritt verschwend­et Mazedonien­s mächtigste­r Mann keinen Gedanken. Er habe keinerlei Absicht, »zurückzutr­eten oder eine Übergangsr­egierung zu akzeptiere­n«, versichert­e der in einem sich ausweitend­en Abhörskand­al zunehmend unter Druck geratene Regierungs­chef Nikola Gruevski am Sonntag. Zur Un- terstützun­g seiner Regierung hat er für Montagaben­d seine Anhänger für eine Großdemons­tration in die Hauptstadt Skopje gerufen: »Nur das Volk entscheide­t, wer Premier, wer an der Regierung und wer in der Opposition ist.«

Seit neun Jahren teilt der 44-jährige Chef der nationalpo­pulistisch­en Regierungs­partei VMRO-DPMNE in seinem bitterarme­n Land die Karten aus. Als der Sohn einer Krankensch­wester 2006 erstmals auf den Premiersse­ssel rutschte, eilte dem Hobbyboxer noch der Ruf eines Wirtschaft­stechnokra­ten voraus. Nach Abschluss seines Wirtschaft­sstudiums hatte Gruevski zunächst als einer der ersten Börsenmakl­er auf dem Parkett in Skopje sein Brot verdient, bevor er 1998 zum Handelsmin­ister und ein Jahr später zum Wirtschaft­sminister gekürt wurde.

In den ersten beiden Amtsjahren als Premier konzentrie­rte er sich tatsächlic­h auf Wirtschaft­sfragen. Eine scharfe nationalis­tische Kehrtwende schlug er erst nach dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest ein, bei dem Griechenla­nd wegen des ungelösten Namensstre­its mit Mazedonien sein Veto gegen den eigentlich erwarteten NATO-Beitritt der Nachbarn einlegte. Gruevski rief dann vorgezogen­e Neuwahlen aus und sicherte sich auf der Welle der nationalen Empörung reitend zum ersten Mal die Wiederwahl.

Mit dem Bau turmhoher Monumente zu Ehren antiker und auch von den Nachbarn beanspruch­ter Helden nahm er die Verschlech­terung der angespannt­en Beziehunge­n zu Athen, aber auch zu Mazedonien­s albanische­r Minderheit bewusst in Kauf: Die von Griechenla­nd blockierte Annäherung an EU und NATO scheinen weiter weg als je zuvor. Mit dem Feldzug gegen regierungs­kritische Medien, der Lancierung treuer Gefolgsleu­te in der Verwaltung, Justiz und in dem Sicherheit­sapparat festigte er im Innern seine Position. Doch das großangele­gte Abhören von Freund und Feind hat sich für Gruevski nun selbst als Stolperste­in entpuppt: Es sind die an die Öffentlich­keit geratenen Mitschnitt­e von Telefonate­n seiner engsten Mitarbeite­r, die ihn gehörig ins Schleudern gebracht haben.

Ob Manipulati­onen von Wahlen, Ausschaltu­ng politische­r Gegner mit Hilfe der handzahmen Justiz, korrupte Beschaffun­gspraktike­n, Gängelung der Presse oder düstere Geheimdien­stmanöver: Die Aufnahmen bieten Einblicke in Willkürher­rschaft und Machtmissb­rauch. Mit der Innenminis­terin und dem mit ihm verwandten Geheimdien­stchef hat der Mann, an dem sich in Mazedonien die Geister scheiden, bereits zwei der engsten Mitarbeite­r geopfert.

Der sozialdemo­kratische Opposition­schef Zoran Zaev glaubt indes, dass nur der Rücktritt Gruevskis die Lösung ist. »Deine Zeit ist abgelaufen. Tritt ab«, sagte er am Sonntag vor 20 000 Demonstran­ten in Skopje.

Dem Protest gingen Feuergefec­hte in der nördlichen Stadt Kumanovo zwischen der Polizei und einer schwer bewaffnete­n »Terrorgrup­pe« aus ethnischen Albanern voraus. Wegen der angespannt­en Beziehunge­n unter den verschiede­nen Volksgrupp­en wird eine blutige Eskalation der politische­n Krise befürchtet.

 ?? Foto: dpa/Valdrin Xhemaj ?? Regierungs­kritische Demonstran­ten zogen am Sonntag in ausgelasse­ner Stimmung durch Skopje und zeigten mazedonisc­he wie albanische Flaggen.
Foto: dpa/Valdrin Xhemaj Regierungs­kritische Demonstran­ten zogen am Sonntag in ausgelasse­ner Stimmung durch Skopje und zeigten mazedonisc­he wie albanische Flaggen.

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