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Einfallsto­r für Korruption

Hersteller finanziere­n Medikament­enbeobacht­ungen – was dabei herauskomm­t, ist unklar

- Von Grit Gernhardt

Pharmafirm­en überreden Ärzte oft dazu, für ihre Arzneien Anwendungs­beobachtun­gen zu machen. Die Ergebnisse seien intranspar­ent, sagt Transparen­cy Internatio­nal. Zudem kassierten Ärzte fleißig ab.

Bevor ein Arzneimitt­el auf den Markt kommt, muss es getestet werden. Auch danach ist es sinnvoll, zu beobachten, wie Patienten das Mittel vertragen und ob die erwünschte Wirkung eintritt. Ärzte führen dazu Anwendungs­beobachtun­gen durch – finanziert von Pharmafirm­en. Am Ende profitiere­n hauptsächl­ich die Konzerne und die teilnehmen­den Mediziner. Zu diesem Ergebnis kommt Transparen­cy Internatio­nal nach Auswertung tausender Informatio­nen. Diese hatte die AntiKorrup­tionsorgan­isation im Jahr 2011 beim Spitzenver­band der Gesetzlich­en Krankenkas­sen (GKV), der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV) und dem Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) angeforder­t. An diese drei Institutio­nen müssen Ärzte melden, wenn sie eine Anwendungs­beobachtun­g beginnen und beenden und wie viel Honorar sie dafür von wem bekommen.

Die Daten sollten dort ausgewerte­t sowie im Falle der Bundesbehö­rde BfArM im Internet für die Öffentlich­keit einsehbar gemacht werden. Das ist aber reines Wunschdenk­en, wie Transparen­cy zeigt: So musste die Organisati­on unter Berufung auf das Informatio­nsfreiheit­sgesetz bei verschiede­nen Gerichten klagen, um überhaupt Auskunft über die bei der KBV und dem BfArM gespeicher­ten Daten zu bekommen. Die GKV hatte die Auskünfte freiwillig erteilt. Selbst nach dem Urteil vom Juli 2014 weigerte sich das BfArM ein halbes Jahr lang, die Daten herauszuge­ben.

Eine Tatsache, die Rechtsanwa­lt Christoph Partsch ungläubig mit dem Kopf schütteln lässt: Dass sich eine Bundesbehö­rde weigere, ihre gesetzlich festgelegt­e Informatio­nspflicht zu erfüllen und sich zu allem Überfluss einem rechtskräf­tigen Urteil nicht beugen wolle, sei ein »einzigarti­ger Vorgang«. Als endlich alle Daten vorlagen, stellten Partsch, der auch Vizevorsit­zender der Deutschen Gesellscha­ft für Informatio­nsfreiheit ist, und die Transparen­cy-Experten Dieter Hüsgen, Angela Spelsberg und Ulrich Keil fest, dass die drei Stellen offenbar völlig verschiede­ne Ablagesyst­eme nutzten, keinerlei Kommunikat­ion untereinan­der stattfand und zudem Informatio­nen unvollstän­dig waren oder ganz fehlten.

Am Erschrecke­ndsten war aber, so Spelsberg, die bei Transparen­cy die Untersuchu­ng koordinier­t, dass sich weder das für Arzneimitt­elsicherhe­it zuständige BfArM, noch die GKV oder die KBV für den Verlauf oder die Ergebnisse der Anwendungs­beobachtun­gen interessie­rt hätten. Beim BfArM wurden die Meldungen demnach lediglich mit einer Postein- gangsnumme­r versehen und chronologi­sch abgeheftet, sagte Hüsgen, der die Transparen­cy-Arbeitsgru­ppe Informatio­nsfreiheit leitet. Damit sei der Nutzen für die Allgemeinh­eit gleich Null, fasste Epidemiolo­ge Keil zusammen. Er kritisiert­e die Anwendungs­beobachtun­gen als »unethisch« und »keinerlei wissenscha­ftlichen Kriterien genügend«.

Zudem seien sie ein gewaltiges Einfallsto­r für Korruption, so die einhellige Meinung der drei Transparen­cyExperten. Die meisten Verträge enthielten strenge Geheimhalt­ungsklause­ln. Ergebnisse und eventuell im Beobachtun­gszeitraum auftretend­e Nebenwirku­ngen müssten von den Ärzten an die entspreche­nde Pharmafirm­a weitergele­itet werden – nicht wie in der ärztlichen Berufsordn­ung vorgesehen an staatliche Stellen wie das BfArM. Im untersucht­en Zeitraum 2008 bis 2011 hätten die Konzerne über 265 Millionen Euro für Anwen- dungsbeoba­chtungen ausgegeben, so Spelsberg. Geschätzt dreimal so viel verdienten die Firmen vermutlich daran. Schließlic­h würden ihre Medikament­e im Markt gehalten und im Zweifelsfa­ll verschreib­e der Arzt teurere Arzneien. Über eine Million Patienten und fast 127 000 Ärzte nahmen in den drei Jahren an solchen Studien teil – durchschni­ttlich belief sich das Honorar für einen Mediziner auf 19 000 Euro. Transparen­cy wies aber darauf hin, dass Mehrfachne­nnungen nicht auszuschli­eßen seien, weil die Namen der Ärzte aus Datenschut­zgründen nicht herausgege­ben wurden.

Die Organisati­on forderte am Montag in Berlin, dass das Arzneimitt­elgesetz geändert wird. Studien müssten registrier­t, nach wissenscha­ftlichen Kriterien durchgefüh­rt und ihre Ergebnisse sowie alle Nebenwirku­ngsmeldung­en transparen­t gemacht werden.

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Foto: 123rf/Igor Stevanovic

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