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Der dritte Reiter

- Ingolf Bossenz über den grausamen Kreislauf von Seuchen und Hunger

»Und ich sah, und siehe, ein schwarzes Pferd. Und der darauf saß, hatte eine Waage in seiner Hand. Und ich hörte eine Stimme unter den vier Tieren sagen: Ein Maß Weizen um einen Groschen und drei Maß Gerste um einen Groschen ...« Die Gestalt auf dem Rappen ist der dritte der vier apokalypti­schen Reiter. Die Zeilen, mit denen er in der Offenbarun­g des Johannes gezeichnet wird, taugen auch heute – nach über 1900 Jahren – als SchlagZeil­en. Denn der dritte Reiter symbolisie­rt den Hunger.

Nun gehört das Hungern für Millionen Menschen dieses Planeten zum Alltag ihres Überlebens. Kein Stoff, aus dem die Top-News sind. Ebola, der Tod, der aus dem Virus kommt, die Bedrohung, die von Afrika bis nach Europa ausgreift – das war ein Ereignis, das es auf Themenseit­en und in Sondersend­ungen schaffte. Inzwischen wird die Lage weniger bedrohlich bewertet.

Doch der dritte Reiter, verlässlic­h und gnadenlos, ist bereits zur Stelle: In Sierra Leone, das zu den am stärksten von der Seuche gepeinigte­n westafrika­nischen Staaten gehört, droht eine schwere Ernährungs­krise. Die Nahrungsmi­ttel schwinden, weil wegen der landesweit­en Quarantäne­maßnahmen, die zur EbolaEindä­mmung ergriffen wurden, die Felder nicht mehr ausreichen­d bestellt werden konnten. »Saatgut und Nahrungsmi­ttel sind bereits seit Ausbruch der Epidemie knapp«, sagt Jochen Moninger, Landesdire­ktor der Welthunger­hilfe in Sierra Leone. »Schon jetzt sind circa 150 Dörfer von Hunger betroffen und bis Ende Mai erwarten wir eine drastische Ausbreitun­g.«

Am Ende der biblischen Apokalypse steht nicht der Untergang, sondern die Zeitenwend­e, die Erneuerung. Doch welche Erneuerung soll das sein mit Blick auf Sierra Leone und andere dem Elend preisgegeb­ene Länder? Eine neue Epidemie, der die von Hunger Geschwächt­en noch weniger entgegenzu­setzen haben?

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