Wo das Radio vom Schulklo sendet
Im Saalekreis sagen Schüler ins Mikrofon, was sie stört
»Hört in den nächsten Minuten mal lieber zu«, sagt eine Kinderstimme. Die Ansage ist deutlich. Die Stimme kommt aus dem Radio, die Sendung heißt »Lümmel-Welle«. Dann singt Pink »Just Give Me A Reason« und – Schwupp! – geht's ab aufs Örtchen. Denn die »Lümmel-Welle«-Sendung aus der Sekundarschule »Am Petersberg« in Wallwitz im Saalekreis beschäftigt sich diesmal mit dem Zustand der Schultoiletten. Jungen und Mädchen sagen ins Mikrofon, was sie stört: Dreck, kaputte Türen und Gestank. Muss sich ändern, finden alle – und es gut, das mal laut sagen zu dürfen.
Beim Schulradio »LümmelWelle« setzen sich die Jungen und Mädchen mit ihrem Alltag auseinander. Kaugummireste auf der Toilette, Brötchenhälften auf dem Flur – was Schüler so umtreibt. Die Sendung ist Teil des Projekts »Hier bin ich!« von Radio Corax in Halle (Sachsen-Anhalt). Es geht dabei um Kinder vom Land und Medienpädagogik. Die Robert Bosch Stiftung fand den Ansatz unterstützenswert und kürte das »Hier bin ich!«-Projekt zum »Neulandgewinner«. Das gleichnamige Förderprogramm steht unter dem Motto »Zukunft erfinden vor Ort«.
»Man muss wenigstens versuchen, allen eine mediale Stimme zu heben«, sagt Markus Wollschläger von Radio Corax. Das Equipment für »Hier bin ich!« passt in einen Rucksack. »Die Lust am Radio machen ist bei Kindern groß. Und die Ideen erst!« Nach der Anschubfinanzierung von 30 000 Euro durch die Stiftung läuft das Projekt weiter, denn mit der Medienanstalt Sachsen-Anhalt konnte eine zweite Institution vom CoraxKinderradio überzeugt werden.
Mit einfach zu handhabender und dauerhafter, mobiler Radiotechnik machen Kinder Live-Sendungen auf der UKW-Frequenz 95,9 und im Internet. Sie halten sich gegenseitig Mikrofone oder Smartphones unter die Nase und interviewen Lehrer oder Lokalpolitiker. »Es sind oft Themen, die zwar vor Ort diskutiert werden, aber kein breites Forum finden«, sagt Wollschläger. Der neue Sportplatz, die neue Band, der neue Ortsbürgermeister – alles plötzlich radio- und damit auch irgendwie massentauglich.
Radio Corax stellt nicht nur die Technik, sondern auch das Knowhow. Bei »Hier bin ich!«, das es an mehreren Schulen rund um Halle gibt, sei alles klein, einfach, schnell und intuitiv. »So, wie Kinder eben sind«, sagt der Pädagoge Wollschläger. »Es ist wichtig, dass man guckt, was funktioniert.«
Aber gilt Radio bei Kindern von heute nicht als uncool? Wollschläger verneint. »Kinder hören viel Radio, aber eher unbewusst, beispielsweise im Auto. Sie bringen Radio mit Werbung, Musik und den Verkehrsnachrichten in Verbindung.« Dass es für sie zum Sprachrohr werden kann, motiviert ungemein.
Für Martin Heine hat die Fortführung des »Hier bin ich!«-Projekts unter dem Namen »Stadt und Land auf einer Wellenlänge« den Aspekt der teilnehmenden Medienarbeit. »Das ist Medienkompetenzvermittlung und zugleich ein praktischer Haltefaktor im ländlichen Bereich«, sagt der Direktor der Medienanstalt Sachsen-Anhalt. Heine zufolge hat die Anstalt im laufenden Haushaltsjahr 10 000 Euro dafür eingestellt. Über eine Fortsetzung wird noch zu entscheiden sein, hieß es. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft wünscht sich viele Nachahmer. »Es macht Kommunikation über Massenmedien als wechselseitigen Prozess erlebbar«, so Sprecher Alexander Pistorius. »Hier wird die Fähigkeit, lebensnahe Probleme zu analysieren und zu beschreiben, geschult.«