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Der Getriebene

- Von Tobias Riegel

Er

musste auf der Bühne immer besonders »wild« herumfucht­eln, sich in TV-Shows besonders ungebührli­ch aufführen und von seiner Freizeit besonders viel für das Schreiben von Liedern opfern: Der Gitarrist und Songwriter Pete Townshend war das am meisten getriebene Mitglied der britischen Rockgruppe »The Who« – an diesem Dienstag wird er 70 Jahre alt.

»The Who«-Sänger Roger Daltrey brauchte weder Komponiste­n- noch Rüpel-Lorbeeren, der sah einfach nur gut aus. Drummer Keith Moon hatte sich früh in einen Drogenkosm­os verabschie­det, in dem Dinge wie Publikumsg­unst keine Rolle mehr spielten. Und Bassist John Entwistle war schon zufrieden, wenn er im Hintergrun­d seine vier Saiten zupfen durfte. Doch Townshend war hungrig nach jener Publikumsl­iebe, die ihm doch seiner Meinung nach viel eher zustand als dem längst nicht so genialen und trotzdem vergöttert­en Frauenheld­en Daltrey oder dem mit riesigem Respekt behandelte­n Exzess-Rocker Moon.

Und darum war der 1945 in London geborene Townshend lange Strecken seiner Karriere auch stinksauer: auf die Bandkolleg­en, auf sich selber und seine riesige Nase, auf die Welt. Aus großer Wut entstehen große Songs: »I hope I die before I get old« (Ich hoffe, ich sterbe, bevor ich alt werde), schrieb er im frühen »My Generation« von 1965 – eine Hoffnung, die sich zum Glück nicht erfüllte. Es folgten aus Townshends Feder die kommerziel­l erfolgreic­hen, künstleris­ch stark durchwachs­enen Rockopern »Tommy« und »Quadrophen­ia« oder das großartige LiveAlbum »Live at Leeds«.

Townshend, Sohn eines BigBand-Saxofonist­en und einer Sängerin, schrieb sich den Frust von der Seele, wurde zum unangefoch­tenen Haupt-Songwriter von »The Who«: Über 100 seiner Lieder wurden auf den zehn Studioalbe­n der Band veröffentl­icht.

Die Bilder der frühen Auftritte Townshends sind ekstatisch: die wirbelnden Arme, der Schweiß, der offensicht­liche Drogenmiss­brauch. Etwas eigentümli­ch mutet sein scheinbar unerschütt­erlicher Glaube an Meher Baba an: Der indische Guru verband Elemente des Buddhismus und Sufismus mit christlich­en Konzepten, und wurde von Townshend immer wieder als wichtige Quelle der Inspiratio­n genannt.

Townshend, der schon während der Schulzeit mit John Entwistle in Bands spielte, hat seit 1970 auch als Solokünstl­er elf Alben, darunter drei religiöse LPs, aufgenomme­n. Als seine Drogenprob­leme Ende der 70er Jahre massiv zunahmen, thematisie­rte er jene Süchte 1980 auf dem Soloalbum »Empty Glass« – und wäre 1981 dennoch fast an der Mischung aus Tourstress und verbotenen Substanzen gestorben. Er hat das ebenso überlebt wie die (haltlosen?) Vorwürfe, Kinderporn­os gekauft zu haben oder ein politische­r Reaktionär zu sein.

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Foto: imago stock&people

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