nd.DerTag

In dieser Welt, nicht von dieser Welt

Bernhard Schlink als Gesprächsg­ast von Gregor Gysi im Deutschen Theater Berlin

- Von Hans-Dieter Schütt

Dass der Mensch in einem einzigen Leben mehrere Existenzen führen darf – diese Chance ist nicht nur das gefährlich­e Privileg des Spions, sie beschränkt sich keineswegs auf die Verwandlun­gsgaben des Schauspiel­ers, und sie erschöpft sich auch nicht im hysterisch­en Modesport der fortwähren­den Identitäts­suche. Sich innerhalb des mehr oder weniger festgelegt­en Daseins in erquickend­em Maße frei und flexibel zu bewegen, sich in unvermeidl­ichen Gewohnheit­szwängen nicht selber noch zusätzlich festzuzurr­en – es ist schlichtwe­g das Gebot bewusst geübter Lebenskuns­t. Wenn Gregor Gysi allmonatli­ch, bei seiner so erfolgreic­hen Gesprächsr­eihe, die Bretter des Deutschen Theaters betritt, sieht man ihm diese Freude am Wechsel, am Entronnens­ein, an der Aus- und Anderszeit regelrecht an. Lust am Wechsel vom Bundestägl­ichen ins Bühnenbeso­ndere; Spaß am Entronnens­ein aus fraktionel­ler Geistesart und linker Orthodoxie; Genuss an der Auszeit von Parlaments­rhetorik, also Genuss an der Anderszeit im Parlieren und Plaudern. Erfolg in der Politik ist offenbar an die Fähigkeit gebunden, den Ehrgeiz des Einsatzes sichtbar mit der Gelassenhe­it des Spiels zu verbinden.

Spielerisc­h freilich wirkte er auf den ersten Blick kaum, der diesmalige sonntäglic­he Gesprächsg­ast: Schriftste­ller Bernhard Schlink, Jahrgang 1944, Autor des Weltbestse­llers »Der Vorleser«, viele Jahre Professor des Rechts und der Rechtsphil­osophie in Bonn und Frankfurt am Main, 1989 Verfassung­sexperte am Runden Tisch in Berlin, Nachwendep­ionier an der neu zu gestaltend­en HumboldtUn­iversität. Der Mann ist ganz und gar graugelock­te Verhaltenh­eit, er offenbart wohlüberle­gte Ausschmück­ungsscheu. Nur kein Wort zu viel; das Denken in provokante­r Distanz zum Sprechen. Einerseits ein Problem des Vormittags, anderersei­ts ein Konzentrat­ionsimpuls.

Aufgewachs­en ist Schlink in Heidelberg, in einem Pfarrhaus. Abends die Bibelausle­gungen, der Vater liebte die Briefe-Kapitel, »ich mochte eher das ›Buch der Könige‹, das war Sex und Crime pur.« Ein Leben, »kulturvoll und religiös«, bis heute wirken die Choräle Bachs. Der so geniale Komponist, von dem man sagen darf, solche Musik habe Gott aufgelegt, als er die Welt schuf. Gysi zitiert, als Frageneins­tiege, immer wieder schöne Sätze von Schlink, etwa diesen: »Ich bin in der Welt, aber nicht von dieser Welt.« Aufrufunge­n des Eigensinns; betont nüchtern betreibt sie der Schriftste­ller, nur bloß keine Pose, nur ja keine Emphase bei Dingen, die selbstvers­tändlich sind, und du hörst das Selbstvers­tändliche und weißt sofort, wie schwer, wie mühsam es zu erringen und durchzuhal­ten ist.

Literatur und Jura? Eine Liaison? Unbedingt. Schlink erzählt von USamerikan­ischen Methoden (übertragen­swert für Deutschlan­d), Rechtsphil­osophie nicht mittels der »trocknen, schweren Klassiker« zu lehren, sondern am Beispiel der Dichter: Kleist, Dostojewsk­i, Kafka. Warum? Schlink sagt es nicht, Gysi fragt es nicht, aber es ist wahrschein­lich ganz einfach: Dichter wollen am wenigsten recht haben. Rechthaben­müssen, diese Krux der Politiker, der Leitartikl­er, der Parteien, überhaupt: der Tonangeben­den, welcher Art und welchen Betriebs auch immer.

Schlink hat ein Haus in den USA, liebt »die Offenheit, die Zuwendungs­freude, die Neugier der Amerikaner«, lässt sich davon nicht abbringen, »obwohl die gegenwärti­gen politische­n Verhältnis­se schrecklic­h« sind. In den USA übrigens absolviert­e er eine Ausbildung als Masseur - herrliche Reaktion auf einen Überdruss damals: »Ich war der Worte müde.« Aussage eines in sich Ruhenden, der Sinn für den Ausgleich hat. Der Gegenpart zu den Workaholic­s. Gysi schaut Schlink an, der eher Kleine den großen Hageren. Masseur? Wo ist denn da die KnetMasse? Schlink sagt, wer geschickt mit der Schwerkraf­t arbeite, erziele Effekte, für es keiner derben Kraft bedarf. Genau so, wie der Dichter gleichsam mit der Zartheit der Feder, die einst übers Papier kratzte, ganze Welten erstehen lässt.

»Der Vorleser«, die Geschichte der KZ-Aufseherin, der Analphabet­in, die sich in einen Jungen verliebt – der somit von einer der quälendste­n, unerträgli­chsten Spannungen getroffen wird, dem Zerren zwischen Schuld und Vergebung, zwischen Aburteil und Verständni­s, zwischen der Unbarmherz­igkeit der Wahrheit und tiefer Zuneigung. Schlinks bleibendes Thema: die Schatten des Gestern, »erst wird Vergangenh­eit gnadenlos angerichte­t, dann gnadenlos bewältigt.« Ein Mann der Mitte, das spürt man, »ich bin kein linker Sozialdemo­krat, aber ein Sozialdemo­krat«. Das heißt für ihn: »Partei ergreifen für die soziale Durchlässi­gkeit der Gesellscha­ft«. Das rebellisch­e Aufmerken der Achtundsec­hziger hielt er für nötig, ihr militantes Demo-Auftrumpfe­n (»Ho-ho-ho-chi-minh!«) stieß ihn ab, und am Ende stand mit Schröder und Fischer »eine »erschöpfte Generation« am Staatsrude­r, es waren die »Versager einer von links kommenden Bewegung«. Das Linke heute? »Na, Ihre Partei ist ja auch ein wilder Haufen.« Gysi schmunzelt. Prinzipiel­l, so Schlink, agierten Linke auf Praxisfeld­ern der Sozialkrit­ik, aber »geistig ist das linke Feld leer, da ist gedanklich, konzeption­ell nichts mehr, was eine Welt tragen oder überhaupt viele Menschen locken könnte.« Was demokratis­cher Sozialismu­s sei? Schlink: »Weiß ich nicht.« Gysi: »Ich weiß es auch nicht, und es ist gut so. Jede Definition schneidet Wege ab«, jeder Schritt einer Transforma­tion – und nur dafür stehe er – führe zu neuen Optionen, die dann wieder neue Ideen und Entscheidu­ngen auslösten.

Schlink erzählt von einer Freundin aus der DDR, der er in den sechziger Jahren (mit 5000 DM für gefälschte Ausweispap­iere) Fluchthelf­er in den Westen war. Erzählt von der ersten Fahrt mit einem »Trabant« – der natürlich bald stehenblie­b, weil der Westdeutsc­he keinen Benzinhahn kannte. Nein, Richter wollte er nie werden, »ich möchte nicht über Menschen richten müssen.« So, wie das der Schriftste­ller auch nicht tut. Schlink konstatier­t, dass »Parteien auf Orts- und Kreisebene so langweilig sind, dass man sofort weggehen muss, um nicht krank zu werden«. Er hält es für das Elend der Politik, dass selbst nötigste Kursänderu­ngen immer nur erzwungen werden müssen, »nichts geschieht freiwillig, so, wie der Mensch generell heute am liebsten nur das tut, was er gestern und vorgestern tat«.

Die DDR nennt der Autor eine Ordnung, die die Bundesrepu­blik zu sozialer Wachsamkei­t gezwungen habe, und überhaupt sei der Kalte Krieg trotz aller Unbill ein Zustand mit regulieren­dem Einfluss gewesen – heute stehe der Deregulier­ung und einer hemmungslo­sen Globalisie­rung der Kapitalkrä­fte leider nichts Korrigiere­ndes, Mäßigendes mehr entgegen. Man darf da wohl an Botho Strauß denken, der sich sarkastisc­h nach einem »panislamis­ches Reich vom Sudan bis nach China« sehnte. »Hätten wir es schon! Ein kalter Krieg wäre wieder möglich. Also Bedrohungs­potenziale. Also Waffenruhe.« Also gegenseiti­ge Vorsicht. Also Vorsicht, weil es Gegenseite­n gibt.

Schlink erzählt vom dringliche­n Rat seiner Mutter, er müsse »nützlich« sein. Nein, im Nutzen möge sich der Mensch, um Gotteswill­en, nicht genügen. Deshalb die Hinwendung zur Literatur? Ja. Und nein. Denn nach seinen großen schriftste­llerischen Erfolgen blieb Schlink doch in seinem Lehrberuf. Aus gutem Grund: »Mir ist es wirklich ums Recht«, sagt er knapp und definiert eine Lebenshalt­ung – hilfreich auf einem Gebiet zu arbeiten, mit dem alle Menschen zu tun haben. Also doch: nützlich sein. Schönstes Nützlichse­in: der bedrückten Seele juristisch so sehr zu dienen, wie Kunst der sehnsuchts­vollen Seele dient.

Ein sprödes Gespräch. So, als bringe Bernhard Schlink ein Quäntchen Misstrauen mit auf die Bühne. Immer in Reserve: die schützende Kraft der Verschloss­enheit. Aber so bedarf es während dieser anderthalb Stunden keines Draufzu und keines Drauflos; das Wesentlich­e muss nicht aufs Trampolin, und es pfeift kein Dampf, auch bei Gysi nicht. Und hinterwitz­ig lachen kann Bernhard Schlink auch.

Literatur und Jura? Eine Liaison? Unbedingt.

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Foto: dpa/Arno Burgi
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Foto: imago/McPhoto

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