Unter Freunden
Gemeinsam spioniert’s sich besser – dachten BND und NSA. Das Modell inspirierte Betroffene, die sich nun zur gemeinsamen Aufklärung verbünden
Berlin. Peter Pilz, Nationalrat aus Wien, und Christian Kmiotek, Co-Präsident der Grünen in Luxemburg, waren am Dienstag in Berlin, um schwerwiegende Vorwürfe gegen den deutschen Auslandsgeheimdienst zu erheben. Der BND habe im Auftrag der US-amerikanischen NSA und unterstützt von der deutschen Telekom AG gegen 25 EU-Nachbarn, die Schweiz, die Türkei und weitere Länder spioniert. Mindestens zwischen 2005 und 2008 wurden am Telekom-Knoten Frankfurt am Main unter anderem die Datenleitungen Amsterdam–Salzburg, Amsterdam–Linz, Jakarta–Wien, Manila–Wien, Sydney–Wien, Tokio–Wien, Stock- holm–Wien, Dublin–Wien, Moskau–Wien und Rotterdam–Wien dupliziert. Doch auf der Prioritätenliste der NSA, die Pilz mitgebracht hat, standen fast 300 Leitungen, die vermutlich komplett »abgegriffen« worden sind.
Berliner »Sicherheitskreise« behaupten, die Vorwürfe ließen sich aus veröffentlichten Dokumententeilen nicht ableiten. Eine womöglich kurzsichtige Verteidigungsstrategie, denn in den kommenden Wochen, so Pilz gegenüber »nd«, werde er mit Parlamentskollegen in betroffenen Ländern beraten, wie man dem Netz der gemeinsamen Spionage ein gemeinsames Netz der Aufklärung entgegensetzen kann.
Unterdessen geht in Berlin der Streit über die Herausgabe der von der NSA an den BND übergebenen Selektorenliste weiter. Es soll sich um acht bis neun Millionen Suchkriterien handeln. Während Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Vize Sigmar Gabriel (SPD) angeblich nur einem Ermittlungsbeauftragten des Bundestages im Kanzleramt Einblick gewähren wollen, verlangt Martina Renner, Obfrau der LINKEN, dass die Regierung die Rechte des BND-NSA-Untersuchungsausschusses nicht weiter aushebelt. Das Gremium wird in dieser Woche vermutlich zu einer regulären und zwei Sondersitzungen zusammentreten.
Strafanzeigen in Wien und Luxemburg, dazu die Forderung nach einer Kanzlerentschuldigung – für den deutschen BND wird es eng. Vorerst im Ausland.
Der österreichische Nationalrat Peter Pilz war am Dienstag »in friedlicher Absicht« von der Donau an die Spree gekommen. Achtung, Kanzleramt, Vorsicht ist geboten, denn der Grünen-Politiker hat in Wien bereits in acht Untersuchungsausschüssen gearbeitet. Zumeist erfolgreich. So hat er die Millionenschiebungen beim Verkauf gebrauchter deutscher »Eurofighter« ans Bundesheer so gut wie aufgeklärt. Nun wird sich das gesamte österreichische Parlament – daran hat Pilz keinen Zweifel – mit dem größten Spionageskandal aller Zeiten befassen. Doch anders als in Berlin wird nicht NSA im Titel des Untersuchungsausschusses stehen. Ans Brett genagelt wird ausdrücklich der deutsche Auslandsgeheimdienst BND. Und die Telekom. Was der österreichische Grüne und sein gleichfalls GrünenKollege Christian Kmiotek aus Luxemburg vor der Presse in Berlin auffächerten, ist nur der Anfang dessen, was noch in Sachen BND-NSA herauskommen wird.
Pilz hat mit dem Datum 19. Mai eine Strafanzeige gegen drei namentlich genannte Mitarbeiter der deutschen Telekom AG, einen BND-Mitarbeiter sowie weitere noch unbekannte Täter gestellt. Damit ist er konkreter als seine Innenministerin, die gegen »unbekannt« ermitteln lässt. Es geht um Spionage »zum Nachteil Österreichs«. Pilz' Beweise für strafwürdige Verfehlungen gründen sich auf eine E-Mail von 2005. Sie betrifft die Operation »Transit«. Der siebenseitige geheime Geschäftsbesorgungsvertrag liegt »nd« vor und trat »rückwirkend zum 1. Februar 2004 in Kraft«. In besagter Mail teilt ein TelekomMann einem BND-Mann mit, dass es eine »große Umschaltaktion« gegeben habe, weil in einer offenbar bisher schon ausgeforschten Leitung »nationaler Verkehr« (also mit deutschen Teilnehmern, die den BND nichts angehen) gewesen sei. Nun aber würde wieder alles, was auf den Leitungen Luxemburg-Wien sowie Luxemburg-Moskau, LuxemburgPrag ... am Telekom-Knoten Frankfurt am Main auflaufe, an den BND weitergeleitet.
Man sei nicht generell gegen nachrichtendienstliche Arbeit, doch derartige Lauschaktionen »haben nicht die Bohne« mit Terrorabwehr oder ähnlichem zu tun, stellte Pilz sachlich fest. Er erinnert an den Merkel-Satz: Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht! »Doch genau das geschah.« Pilz wie Kmiotek beklagen Vertrauensbruch. Das Gefühl sei über alle Parteigrenzen hinweg die einhellige Meinung in ihren Parlamenten. Aus dem Abhöropfer Merkel sei längst »die Chefin von Tatverdächtigen geworden«, sagt Pilz. Er fordert von der deutschen Kanzlerin nicht nur die vollständige Aufklärung des Skandals, sondern eine Entschuldigung in Richtung Österreich. Kmiotek hält das auch in Richtung Luxemburg für angezeigt. Und wenn Merkel schon dabei sei, könne sie ihre demütigen Worte an weitere 23 EU-Staaten und die Schweiz richten.
Gegen all diese verbündeten Länder hat der BND im Auftrag der NSA und mit Unterstützung der Telekom spioniert. Nachweisbar. Das Unternehmen, so geht aus Nachforschungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums in Berlin – und wohl auch denen des Untersuchungsausschusses – hervor, hat dem BND eine Liste ihrer am Knoten Frankfurt verlaufenden Leitungen gegeben. Dann hat jemand rund 270 dieser Leitungen gelb markiert. Es gibt kaum Zweifel, dass der priorisierende Stift von der NSA geführt wurde. Entsprechend duplizierte die Telekom den Verkehr auf den Leitungen, leitete die Kopie nach Pullach zum BND. Die Geheim- dienstzentrale schickte alles zur Außenstelle Bad Aibling. Dort befand sich der Filter, der – so Stand August 2013 – mit acht bis neun Millionen von der NSA an den BND gelieferten Selektoren funktionierte.
Nimmt man allein die Leitungen, die den Endpunkt Wien haben, so griff man damit auch Verkehre Richtung Rotterdam, Sidney, Tokio, Manila, Moskau, Amsterdam, Dublin, Jakarta, Stockholm und andere ab.
Priorität Wien – was ist dort so interessant für die NSA? Und für den BND? Denn es ist ja keineswegs sicher, dass die deutschen Geheimdienstler nicht auch genutzt haben, was sie für die US-Kollegen weggefischt haben.
Wien ist Sitz verschiedenster UNOOrganisationen, hier beraten die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO), die UN-Organisation für Industrielle Entwicklung (UNIDO), Wien ist Zentrum der Erdölexportierenden Staaten (OPEC). Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen sind an der Donau daheim. In Wien sammelt die NSA jede Menge ihrer Selektoren, die mit BND-Hilfe offenbar zur Ausforschung der halben Welt genutzt wurden. Oder werden?
Vergangenheit oder noch Gegenwart? Darauf erwartet Pilz eine Antwort von der deutschen Regierung. Kmiotek schließt sich an, denn es liege an Deutschland, die Interessen der EU und ihrer obersten Repräsentanten zu schützen. Die als Beweisstück vorgelegte E-Mail stammt aus dem Jahr 2005, damals stellte Luxemburg mit ihren Ministerpräsidenten JeanClaude Juncker (heute EU-Kommissionsvorsitzender) die EU-Ratspräsidentschaft. Das Amt kommt auf Luxemburg im zweiten Halbjahr 2015 erneut zu. »Da will man schon wissen ob mit oder ohne BND«, so Kmiotek.