Die Züge stehen noch länger still
GDL startete ihren neunten Streik in laufender Tarifrunde mit der Deutschen Bahn
Die Gespräche scheiterten am Wochenende erneut, am Dienstag begann der nächste Streik bei der Deutschen Bahn. Er könnte zehn Tage dauern.
Nachdem am Wochenende die Tarifgespräche zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und der Deutschen Bahn erneut gescheitert waren, reagierte die Gewerkschaft schnell. Am Montag die Ankündigung, am Dienstag begann der neue Streik bei der Deutschen Bahn.
Wie beim letzten Ausstand standen ab Dienstag zunächst die Züge im Güterverkehr, in der Nacht zu Mittwoch sollten auch die Beschäftigten im Personenverkehr die Arbeit niederlegen. Dem Vernehmen nach könnte der Streik, zu dem die GDL erstmals ohne angekündigtes Ende aufgerufen hatte, bis zu zehn Tage dauern. Es handele sich aber nicht um einen unbefristeten Streik, betonte GDLChef Claus Weselsky am Dienstag.
Der Konflikt dreht sich neben Forderungen nach einer Arbeitszeitverkürzung und Entgelterhöhungen darum, dass die GDL Tarifverträge nicht nur für die Lokführer abschließen will, was die Bahn aber anscheinend um jeden Preis vermeiden will. Bahn und Gewerkschaft machen die jeweils andere Seite für die erneute Eskalation im Tarifkonflikt verantwortlich. Die Bahn warf der GDL nach Gewerkschaftsangaben vor, nicht an »freien Verhandlungen« interessiert zu sein. Man wolle nur noch in einer Schlichtung an den Tisch zurückkehren. Die GDL kritisiert ihrerseits, die Bahn wolle nicht die grundgesetzlich garantierten Rechte der Gewerkschaft anerkennen, für alle Berufsgruppen bei der Bahn Tarifverträge aushandeln und abschließen zu dürfen. Kein Ende in Sicht.
Die Bahn schaltete unterdessen wieder auf Notfahrplan um. Beim letzten Streik vor eineinhalb Wochen war ein großer Teil der Regional- und Fernverkehrszüge sowie der S-Bahnen in Großstädten ausgefallen.
Der neue Ausstand sorgte unterdessen wieder für harsche Kritik aus der Politik und in der veröffentlichten Meinung. So forderte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer ein Gesetz zur Zwangsschlichtung. »In besonders sensiblen Bereichen der Daseinsvorsorge und der Infrastruktur muss es in Zukunft ein verpflichtendes Schlichtungsver- fahren geben«, erklärte er in München. Der Chef der Verbraucherzentrale sagte dem Tagespiegel, die GDL zwinge die Politik geradezu, eine »verpflichtende Schlichtung vorzuschreiben«. In der gleichen Zeitung erneuerte DGB-Chef Reiner Hoffmann seine Kritik an Weselsky und warf diesem vor, anscheinend keinen Kompromiss zu wollen.
Die Streiks der GDL erfahren nicht die Solidarität wie die Streiks der Beschäftigten in den Sozialund Erziehungsdiensten und besonders den Kitas, die sich mittlerweile übers ganze Land ausgedehnt haben. In mehreren Städten fanden sich Streikende erneut zu Kundgebungen zusammen. Nach Gewerkschaftsangaben beteiligen sich rund 150 000 von insgesamt 240 000 der in der Branche Beschäftigten am Arbeitskampf. Es geht um eine Aufwertung der sozialen Berufe und eine Entgelterhöhung von zehn Prozent.
Die Lokführer erfahren nicht die Solidarität wie die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsdiensten.
In der neuen Streikrunde geht es der Lokführergewerkschaft GDL auch um eigene Tarifabschlüsse für Lokrangierführer. Die Konkurrenzgewerkschaft EVG will den Einfluss bei dieser Gruppe aber nicht verlieren.
Die meisten der rund 3100 im Deutsche-Bahn-Konzern (DB) aktiven Lokrangierführer sind in der Güterverkehrssparte DB Schenker Rail tätig, eine Minderheit auch bei den Personenverkehrstöchtern DB Regio und DB Fernverkehr. Sie sind gelernte Lokführer, müssen jedoch viele zusätzliche Aufgaben bewältigen, die eine besondere Qualifikation voraussetzen.
Der Berufsalltag der Lokrangierführer hat sich seit der Einführung von Funkfernsteuerungen im Rangierbereich der alten Deutschen Bundesbahn (West) in den späten 1980er Jahren ständig verändert. Einhergehend mit dieser Neuerung wurden viele Rangierbegleiterstellen abgebaut und den Rangierführern übertragen. Zu ihrem Job gehören die eigenständige Zusammenstellung von Güterzügen aus den einzelnen Waggons an Bahnhöfen und Zugbildungsanlagen sowie die Überführung fertiger Züge zu Güterbahnhöfen oder Schnittstellen auf dem Firmengelände der Kunden. Die Tätigkeit umfasst auch die eigenverantwortliche Disposition der Betriebsabläufe, Wagenprüfungen, Dokumentationen, Kundenkontakt samt Einsatz von Frachtbriefen, den Umgang mit Gefahrguttransporten sowie die Erfassung und Behandlung von Verladeschäden. Da Lokrangierführer rund um die Uhr auch bei Wind und Wetter von den Loks auf das holprige Schotterbett hinabsteigen müssen sowie teils zu unnatürlichen Körperhaltungen gezwungen sind, leiden sie oft unter überdurchschnittlichem körperlichem Verschleiß.
Anders als in der Streikbewegung von 2007/2008 wirbt die GDL diesmal gezielt um die Gunst der Lokrangierführer wie auch anderer Angehöriger des fahrenden Personals – bislang allerdings mit mäßigem Erfolg. Denn anders als bei den Lok- beziehungsweise Triebfahrzeugführern ist nur eine Minderheit der Lokrangierführer in der GDL organisiert – die Mehrheit gehört der DGB-Gewerkschaft EVG an.
Von den 3100 Lokrangierführern bei der DB hätten bei der letzten GDLStreikrunde Anfang Mai nur 115 mitgestreikt, behauptet ein Insider unter Berufung auf ein internes Papier der DB. »Ein erkennbares Interesse der betroffenen Zugbegleiter, Bordgastronomen, Lokrangierführer, Disponenten und Instrukteure kann, von ei- nigen regionalen Ausnahmen abgesehen, kaum nachgewiesen werden«, heißt es auch auf der Internetseite www.indemore-gdl.de, die von einer GDL-internen Oppositionsgruppe um den früheren Gewerkschaftschef Manfred Schell getragen wird.
Zu den regionalen Ausnahmen dürfte vor allem der Großraum Leip- zig/Halle zählen, der als GDL-Bastion gilt. Im Rhein-Main-Gebiet hingegen dürfte die Streikbeteiligung der Lokrangierführer auch in diesen Tagen gering sein, vermutete ein Frankfurter Betriebsrat aus der Güterverkehrssparte am Dienstag auf nd-Anfrage. Bislang hätten die in seinem Zuständigkeitsbereich in der EVG or- ganisierten Lokrangierführer auch keinen Sinn oder Anreiz darin gesehen, die Gewerkschaft zu wechseln.
Sie würden zunehmend als »billiger Jakob« auch für Streckenfahrten eingesetzt und gleichzeitig den Triebfahrzeugführern gegenüber benachteiligt, kritisiert hingegen die GDL. Faktisch seien Lokrangierführer in der Entlohnung den Triebfahrzeugführern bereits gleichgestellt, wobei die Vergütungsstruktur und damit die Zusammensetzung der Löhne anders aufgebaut sei, kontert die EVG. Anders als von der GDL behauptet, erhielten die Lokrangierführer bereits heute eine Leistungszulage nicht pro Schicht, sondern quartalsweise ausgezahlt. Dieser Anspruch gelte damit auch im Krankheitsfalle, zähle sozialversicherungsrechtlich für die Rente und beuge auch der Altersarmut vor. Die EVG will nach eigenen Angaben in ihren aktuellen Tarifverhandlungen mit der DB für eine bessere tarifliche Eingruppierung und Aufstiegsmöglichkeiten der Lokrangierführer sorgen.