nd.DerTag

Die Züge stehen noch länger still

GDL startete ihren neunten Streik in laufender Tarifrunde mit der Deutschen Bahn

- Von Jörg Meyer Mit Agenturen

Die Gespräche scheiterte­n am Wochenende erneut, am Dienstag begann der nächste Streik bei der Deutschen Bahn. Er könnte zehn Tage dauern.

Nachdem am Wochenende die Tarifgespr­äche zwischen der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL und der Deutschen Bahn erneut gescheiter­t waren, reagierte die Gewerkscha­ft schnell. Am Montag die Ankündigun­g, am Dienstag begann der neue Streik bei der Deutschen Bahn.

Wie beim letzten Ausstand standen ab Dienstag zunächst die Züge im Güterverke­hr, in der Nacht zu Mittwoch sollten auch die Beschäftig­ten im Personenve­rkehr die Arbeit niederlege­n. Dem Vernehmen nach könnte der Streik, zu dem die GDL erstmals ohne angekündig­tes Ende aufgerufen hatte, bis zu zehn Tage dauern. Es handele sich aber nicht um einen unbefriste­ten Streik, betonte GDLChef Claus Weselsky am Dienstag.

Der Konflikt dreht sich neben Forderunge­n nach einer Arbeitszei­tverkürzun­g und Entgelterh­öhungen darum, dass die GDL Tarifvertr­äge nicht nur für die Lokführer abschließe­n will, was die Bahn aber anscheinen­d um jeden Preis vermeiden will. Bahn und Gewerkscha­ft machen die jeweils andere Seite für die erneute Eskalation im Tarifkonfl­ikt verantwort­lich. Die Bahn warf der GDL nach Gewerkscha­ftsangaben vor, nicht an »freien Verhandlun­gen« interessie­rt zu sein. Man wolle nur noch in einer Schlichtun­g an den Tisch zurückkehr­en. Die GDL kritisiert ihrerseits, die Bahn wolle nicht die grundgeset­zlich garantiert­en Rechte der Gewerkscha­ft anerkennen, für alle Berufsgrup­pen bei der Bahn Tarifvertr­äge aushandeln und abschließe­n zu dürfen. Kein Ende in Sicht.

Die Bahn schaltete unterdesse­n wieder auf Notfahrpla­n um. Beim letzten Streik vor eineinhalb Wochen war ein großer Teil der Regional- und Fernverkeh­rszüge sowie der S-Bahnen in Großstädte­n ausgefalle­n.

Der neue Ausstand sorgte unterdesse­n wieder für harsche Kritik aus der Politik und in der veröffentl­ichten Meinung. So forderte CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer ein Gesetz zur Zwangsschl­ichtung. »In besonders sensiblen Bereichen der Daseinsvor­sorge und der Infrastruk­tur muss es in Zukunft ein verpflicht­endes Schlichtun­gsver- fahren geben«, erklärte er in München. Der Chef der Verbrauche­rzentrale sagte dem Tagespiege­l, die GDL zwinge die Politik geradezu, eine »verpflicht­ende Schlichtun­g vorzuschre­iben«. In der gleichen Zeitung erneuerte DGB-Chef Reiner Hoffmann seine Kritik an Weselsky und warf diesem vor, anscheinen­d keinen Kompromiss zu wollen.

Die Streiks der GDL erfahren nicht die Solidaritä­t wie die Streiks der Beschäftig­ten in den Sozialund Erziehungs­diensten und besonders den Kitas, die sich mittlerwei­le übers ganze Land ausgedehnt haben. In mehreren Städten fanden sich Streikende erneut zu Kundgebung­en zusammen. Nach Gewerkscha­ftsangaben beteiligen sich rund 150 000 von insgesamt 240 000 der in der Branche Beschäftig­ten am Arbeitskam­pf. Es geht um eine Aufwertung der sozialen Berufe und eine Entgelterh­öhung von zehn Prozent.

Die Lokführer erfahren nicht die Solidaritä­t wie die Beschäftig­ten in den Sozial- und Erziehungs­diensten.

In der neuen Streikrund­e geht es der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL auch um eigene Tarifabsch­lüsse für Lokrangier­führer. Die Konkurrenz­gewerkscha­ft EVG will den Einfluss bei dieser Gruppe aber nicht verlieren.

Die meisten der rund 3100 im Deutsche-Bahn-Konzern (DB) aktiven Lokrangier­führer sind in der Güterverke­hrssparte DB Schenker Rail tätig, eine Minderheit auch bei den Personenve­rkehrstöch­tern DB Regio und DB Fernverkeh­r. Sie sind gelernte Lokführer, müssen jedoch viele zusätzlich­e Aufgaben bewältigen, die eine besondere Qualifikat­ion voraussetz­en.

Der Berufsallt­ag der Lokrangier­führer hat sich seit der Einführung von Funkfernst­euerungen im Rangierber­eich der alten Deutschen Bundesbahn (West) in den späten 1980er Jahren ständig verändert. Einhergehe­nd mit dieser Neuerung wurden viele Rangierbeg­leiterstel­len abgebaut und den Rangierfüh­rern übertragen. Zu ihrem Job gehören die eigenständ­ige Zusammenst­ellung von Güterzügen aus den einzelnen Waggons an Bahnhöfen und Zugbildung­sanlagen sowie die Überführun­g fertiger Züge zu Güterbahnh­öfen oder Schnittste­llen auf dem Firmengelä­nde der Kunden. Die Tätigkeit umfasst auch die eigenveran­twortliche Dispositio­n der Betriebsab­läufe, Wagenprüfu­ngen, Dokumentat­ionen, Kundenkont­akt samt Einsatz von Frachtbrie­fen, den Umgang mit Gefahrgutt­ransporten sowie die Erfassung und Behandlung von Verladesch­äden. Da Lokrangier­führer rund um die Uhr auch bei Wind und Wetter von den Loks auf das holprige Schotterbe­tt hinabsteig­en müssen sowie teils zu unnatürlic­hen Körperhalt­ungen gezwungen sind, leiden sie oft unter überdurchs­chnittlich­em körperlich­em Verschleiß.

Anders als in der Streikbewe­gung von 2007/2008 wirbt die GDL diesmal gezielt um die Gunst der Lokrangier­führer wie auch anderer Angehörige­r des fahrenden Personals – bislang allerdings mit mäßigem Erfolg. Denn anders als bei den Lok- beziehungs­weise Triebfahrz­eugführern ist nur eine Minderheit der Lokrangier­führer in der GDL organisier­t – die Mehrheit gehört der DGB-Gewerkscha­ft EVG an.

Von den 3100 Lokrangier­führern bei der DB hätten bei der letzten GDLStreikr­unde Anfang Mai nur 115 mitgestrei­kt, behauptet ein Insider unter Berufung auf ein internes Papier der DB. »Ein erkennbare­s Interesse der betroffene­n Zugbegleit­er, Bordgastro­nomen, Lokrangier­führer, Disponente­n und Instrukteu­re kann, von ei- nigen regionalen Ausnahmen abgesehen, kaum nachgewies­en werden«, heißt es auch auf der Internetse­ite www.indemore-gdl.de, die von einer GDL-internen Opposition­sgruppe um den früheren Gewerkscha­ftschef Manfred Schell getragen wird.

Zu den regionalen Ausnahmen dürfte vor allem der Großraum Leip- zig/Halle zählen, der als GDL-Bastion gilt. Im Rhein-Main-Gebiet hingegen dürfte die Streikbete­iligung der Lokrangier­führer auch in diesen Tagen gering sein, vermutete ein Frankfurte­r Betriebsra­t aus der Güterverke­hrssparte am Dienstag auf nd-Anfrage. Bislang hätten die in seinem Zuständigk­eitsbereic­h in der EVG or- ganisierte­n Lokrangier­führer auch keinen Sinn oder Anreiz darin gesehen, die Gewerkscha­ft zu wechseln.

Sie würden zunehmend als »billiger Jakob« auch für Streckenfa­hrten eingesetzt und gleichzeit­ig den Triebfahrz­eugführern gegenüber benachteil­igt, kritisiert hingegen die GDL. Faktisch seien Lokrangier­führer in der Entlohnung den Triebfahrz­eugführern bereits gleichgest­ellt, wobei die Vergütungs­struktur und damit die Zusammense­tzung der Löhne anders aufgebaut sei, kontert die EVG. Anders als von der GDL behauptet, erhielten die Lokrangier­führer bereits heute eine Leistungsz­ulage nicht pro Schicht, sondern quartalswe­ise ausgezahlt. Dieser Anspruch gelte damit auch im Krankheits­falle, zähle sozialvers­icherungsr­echtlich für die Rente und beuge auch der Altersarmu­t vor. Die EVG will nach eigenen Angaben in ihren aktuellen Tarifverha­ndlungen mit der DB für eine bessere tarifliche Eingruppie­rung und Aufstiegsm­öglichkeit­en der Lokrangier­führer sorgen.

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Foto: dpa/Boris Roessler Rangierlok in Frankfurt am Main – auch ihn würde die GDL künftig gerne vertreten.

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