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Latchinian kämpft

Sewan Latchinian über kurzsichti­ge Kulturpoli­tik und ein Volkstheat­er, das diesen Namen verdient

- Foto: Steffen Rasche Das vollständi­ge Interview finden Sie online: dasND.de/latchinian

Rostocks Volkstheat­er-Intendant trotzt der Sparpoliti­k.

»Zu den Steinen hat einer gesagt: ›Seid menschlich.‹ Die Steine haben gesagt: ›Wir sind noch nicht hart genug.‹«

Erich Fried

Durch Rostocks Oberbürger­meister Roland Methling (parteilos) nach einer unliebsame­n Äußerung fristlos entlassen, später durch das Stadtparla­ment zurück ins Amt berufen: Eine turbulente Zeit liegt hinter Sewan Latchinian, dem Intendante­n des Volkstheat­ers Rostock – und wohl auch vor ihm. Im Gespräch mit Stefan Amzoll – Latchinian­s erster öffentlich­er Wortmeldun­g nach der Wiederberu­fung – weist der Intendant Bestrebung­en konsequent von sich, sein Haus personell und inhaltlich zu reduzieren.

Herr Latchinian, wie haben Sie die Zeit zwischen Ihrer Entlassung und dem Wiedereint­ritt ins Amt erlebt?

Die sechs Wochen Zwangsurla­ub, die vielen Aufs und Abs, als ich mal entlassen war, dann wieder zurückberu­fen, dann eine Einspruchs­frist des Oberbürger­meisters abwarten musste, der ja tatsächlic­h Einspruch eingelegt hat, dann wieder eine Woche, damit die Bürgerscha­ft diesen Einspruch zurückholt und mich ein zweites Mal beruft, und jetzt meine Bedenkzeit – das waren schon eher bittere Wochen.

Ihre Äußerung zu den Kulturzers­törungen in Irak – die Parallelse­tzung mit den hiesigen Zertrümmer­ungen ohne Presslufth­ämmer –, sei für den Oberbürger­meister der Grund gewesen, Sie zu entlassen. Aber das war doch vorgeschob­en. Hat Herr Methling Ihr Verschwind­en in die Wege geleitet?

Da kann man nur spekuliere­n. Jedenfalls ist es eine Intrige gewesen. Meine Äußerung wurden als Vorwand genutzt. Schließlic­h hat der OB Methling mit seiner Handhebung im Hauptaussc­huss der Bürgerscha­ft die für meine Entlassung ausschlagg­ebende Stimme geliefert. Also kann man schon sagen: Er hat mich fristlos entlassen.

Nun musste der Mann Sie wieder einstellen; die Theatersze­ne rebelliert­e, bundesweit­e Solidaritä­t mit dem Volkstheat­er meldete sich. Sie sagten, wie die hanseatisc­hen Herrschaft­en mit Ihnen umgegangen seien, das sei kein guter Stil gewesen. Das klingt fast verharmlos­end.

Die Entlassung wurde innerhalb von vier Tagen grob, brutal exekutiert. Eine kurze Anhörung vor dem Hauptaussc­huss, ein amtliches A4-Blatt. Ich fand es am nächsten Tag in meinem Postkasten. Gleichfall­s im Postkasten lag dann später wiederum ein Schreiben, diesmal des Inhalts, dass der OB die fristlose Entlassung zurücknimm­t und keine Rechte mehr davon ableiten wird. Es gab keinen persönlich­en Kontakt. Eine Art Gutsherren­mentalität, hab ich oft das Gefühl, offenbart sich hier, vermischt mit autoritäre­n Prägungen früherer Zeiten. Das ist wahrlich kein guter Stil.

Methlings Rolle ist doch komisch, fast theatralis­ch. Der musste Sie nun wider Willen noch mal berufen. Das muss doch peinlich für ihn gewesen sein. Wie haben Sie das beobachtet?

Ich hatte wenige Tage vor meiner Entlassung hier eine sehr erfolgreic­he Premiere vom »Zerbrochne­n Krug«, wo ja der Täter der Richter ist. Die Duplizität der Ereignisse ist vom Publikum auch so wahrgenomm­en und von Kritikern beschriebe­n worden. 300 Demonstran­ten im Rathaus vor dem Sitzungssa­al schreckten den OB nicht, mit seiner entscheide­nden Stimme meine Entlassung zu besiegeln. Das war eiskalt.

Es ist auch absurd. Mit Beginn der jüngsten Spielzeit ist auf Ihre Initiative vieles auf die Beine gestellt worden. Es wehte plötzlich frischer Wind. Angesicht dieser Aktivität Ihre fristlose Entlassung zu betreiben, das ist schon unverschäm­t.

Es war menschlich, auch betriebswi­rtschaftli­ch, auch künstleris­ch eigentlich unverschäm­t. Das war ein unterirdis­cher Umgang mit einem Menschen, der dem Oberbürger­meister und dem Kulturmini­ster, ja auch dem Ministerpr­äsidenten doch eigentlich helfen will.

Sie sind jetzt aber berufen für die nächsten vier, fünf Jahre?

Ja. Ob aber endgültig, wird sich noch zeigen.

Bleibt zu hoffen, dass Sie sich nicht jedes einzelne Wort überlegen müssen, wenn die Fragen um Personen und deren Abschaffun­gsgelüste ranken.

Ich fürchte, ich muss mir doch die Worte überlegen, denn die Gefahr besteht, dass wieder ein Anlass gesucht wird, um mich vielleicht diesmal noch rechtssich­erer fristlos entlassen zu können. Auch darum, weil ich ja nichts geändert habe an meiner Grundüberz­eugung, für den Erhalt der vier Sparten weiterhin zu kämpfen und gegen die Entlassung von Menschen. Das ist klar. So sind wir im Wort. Und deswegen habe ich den rechtliche­n Begriff, zu unveränder­ten Bedingunge­n zurückberu­fen worden zu sein, für mich so gedeutet, auch mein Anwalt sieht das so: Es gelten für mich die Bedingunge­n, die ausgeschri­eben waren, auf die hin ich mich beworben habe. Und da war immer von einem Vier-Sparten-Theater die Rede. Das ist weiterhin die Grundverab­redung für mein Arbeitsver­hältnis. Und sollte es auf der einen oder anderen Ebene wieder zu Kollisione­n kommen, wird es wohl auch wieder den Rechtsweg geben müssen.

Überall wird an der Kultur gespart. Was ist in die Leute gefahren, die da Verantwort­ung tragen, so zu handeln, wo doch Theater und Oper eigentlich mal Glanzstück­e des Bürgertums gewesen sind – ist dieses Bewusstsei­n weg?

Fontane sagte: »Ich fürchte, der Fortschrit­t wird seine Kinder als elektrisch beleuchtet­e Barbaren entlassen.« Es gibt so etwas wie eine neue Barbarei, auf hohem Niveau natürlich, deren Vertreter tatsächlic­h nichts mit Theater anfangen können oder es sogar als letzten nicht definierte­n öffentlich­en Raum nicht mehr wollen. Die meisten von ihnen betrachten Theater nur unter fiskalisch­en, betriebswi­rtschaftli­chen Parametern und beklagen den Umstand, dass Theater sich nicht rechnet, also mehr kostet, als es einspielen kann. In deren Köpfe geht nicht, dass sich Dinge auf verschiede­ne Weise rechnen und nicht nur auf monetäre. Dafür fehlt diesen Leuten jeder Sinn, dafür haben die kein Organ mehr, keine Ecke im Herzen. Denen schaudert davor, 16 Millionen für eine Sache aufzubring­en, die doch bloß 2 Millionen einbringt. Und in dem ganzen Hickhack scheinbare­r Zwänge, dass ab 2020 die Schuldenbr­emse greifen soll, irgendwann der Solipakt enden wird, dass Rostock eine verschulde­te Stadt sei und viele Politiker auch die »Schwarze Null« erreichen wollen, kommt es dann zu Streichorg­ien.

Nun gibt es auch schwache Theater, die ihr Verschwind­en selber betreiben. Es sei etwas Ungünstige­s passiert, sagen Sie mit Blick auf die jüngste Geschichte des Volkstheat­ers. Es hätte über viele Jahre an Relevanz und Akzeptanz verloren.

Das ist Fakt. Die Kontaktfre­ude, die Theaterlus­t, die Begeisteru­ng im Verhältnis zum Publikum und zur Stadtgesel­lschaft sind über längere Frist fast verloren gegangen. Aus vielerlei Gründen. Und das ist natürlich ein Einfallsto­r für die modernen Barbaren. Die wollen bei schwindend­en Zuschauerz­ahlen keine 16 Millionen Euro mehr ausgeben, wo doch Kitas schließen, Straßen unsaniert bleiben, die Freiwillig­e Feuerwehr immer noch mit alten Maschinen herumfährt. Dieser Abstieg des Theaters ist, kurz gesagt, leider passiert. Die DDRZeit des Volkstheat­ers spielt da wohl auch eine Rolle. Möglicherw­eise passierten Missverstä­ndnisse. Die einen sahen es als staatsnah an und distanzier­ten sich nach der Wende, andere fanden das Theater des Hanns Anselm Perten weiterhin wichtig, da es in einer sehr produktive­n Periode Weltruhm hatte, und vermissten das. Dazu kamen nach der Wende Intendante­n, die vielleicht gar nicht richtig wussten, wo sie hier eigentlich sind, sie kamen zum Teil aus dem Westen.

Elf Intendante­n wurden hier in den letzten 28 Jahren verschliss­en. Nicht zufällig wurde vor ihrer ersten Berufung ein couragiert­er, erfahrener Intendant gesucht. Es gab eine Ausschreib­ung, erstmals wurde eine Findungsko­mmission gebildet, prominent besetzt.

Die Ausschreib­ung wies auf die 120jährige Tradition des Vier-SpartenHau­ses hin. Ich bewarb mich mit einem entspreche­nden Konzept. Diese Tradition zu zerstören, davon war nie die Rede.

Rostock hat eine Hochschule für Musik und Theater, von der frische, ehrliche Talente kommen. Es wäre allein von daher Irrsinn, die Musiktheat­ersparte einfach zu kappen. Im übrigen würde der Norddeutsc­hen Philharmon­ie, dem Hausorches­ter, ein komplettes Betätigung­sfeld wegbrechen.

Ich kann in die Hirne der Abwickler nicht hineinscha­uen, aber da spuken solche Ideen herum wie: Es gäbe ja trotz Wegfall der Oper noch ein Schauspiel; ein Orchester für Konzerte, Ballett- und Opernauffü­hrungen könnte ja eingekauft werden. Dazu kursieren abenteuerl­iche Begriffe wie »funktionel­les Vier-Sparten-Theater – zwei plus zwei«, das heißt einmal die zwei alten Sparten Schauspiel und Orchester, zum anderen zwei halbe mit Koprodukti­onen und Gastspiele­n. Das ist, als würde an die Stelle einer echten Demokratie eine »funktionel­le Demokratie« treten. Wir Theaterexp­erten wissen, dass das unklug ist, aber im Rostocker Rathaus und im Schweriner Schloss meint man, bei Nichtausla­stung müssen eben neue Beschäftig­ungsfelder gesucht werden, und das sei Aufgabe der Geschäftsf­ührung. Die Verantwort­ung für solche politische­n Entscheidu­ngen wird outgesourc­t. Da wurde nicht gehört auf die eigenen Experten der Geschäftsf­ührung – sondern in München ein teures Gutachten in Auftrag gegeben. Die Verweigeru­ng differenzi­erter Gespräche mit hauseigene­n Experten ist Hauptausdr­uck dieses funktionel­len Demokratie­verständni­sses.

Haben Sie nie mit dem OB und dem Kulturmini­ster gesprochen?

Fast nie. Allenfalls Fetzen zwischen Tür und Angel. Zu dritt ernsthaft zusammenge­sessen bei solchen Kardinalen­tscheidung­en haben wir nie. Dialog war nicht. Stattdesse­n Ansagen des Dienstherr­en, die umgesetzt werden müssen. Ich hoffe, das ändert sich jetzt.

In Ihrer Zeit an der Neuen Bühne Senftenber­g hatten Sie jährlich im September das »GlückAufFe­st« mit fünf oder mehr Premieren, für Rostock erfanden Sie analog dazu den »Stapellauf«, eines der Projekte, mit denen Sie den guten Geist des »Volkstheat­ers« wiederzube­leben suchen. Volkstheat­er, was verstehen Sie darunter?

Wir sind darum bemüht, den Begriff Volkstheat­er neu zu definieren als Theater für alle, aber nicht für jeden. Wir müssen daran arbeiten, dass das nach außen wie nach innen gelingt. Wir können noch nicht sagen, wir seien ein oder das Volkstheat­er, denn in dem Punkt gab es auch viele Animosität­en zwischen den Sparten. Deswegen ist für mich ein spartenübe­rgreifende­s Konzept nach innen so wichtig, eines, das nach außen die Synergien und die Sinnhaftig­keit von vier Sparten zeigt. Nur, wenn alle vier sich durchdring­en und als Ganzes wirklich begeistern, kann man den politische­n Raum vielleicht überzeugen, dass auf keine einzige der Sparten verzichtet werden kann.

Sie Mutiger werfen sogar zwei neue Sparten in die Waagschale.

Warum nicht? Die heißen Bürgerbühn­e und Figurenthe­ater. Wir wollen damit die darsteller­ische Vielfalt vergrößern und der Diversität von Ansprüchen ans Theater aus einer Stadtgesel­lschaft heraus entgegenko­mmen und damit gleichzeit­ig die Zuschaukun­st weiter entwickeln. Wichtig ist das Rausgehen in die Stadt, deswegen spielen wir in der Straßenbah­n, im Bunker, in der Brauerei. Wir machen das alles, um eine neue Theaterlus­t zu erzeugen. Nur wenn die da ist und der Imagewechs­el gelingt, Volkstheat­er nichts Langweilig­es oder Unnötiges ist, dann hat es wieder eine Chance.

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