Schrille Töne aus den Geberländern
Schlechtere Lebenschancen allein aufgrund des Wohnsitzes – das ist für viele Bürger hierzulande unvorstellbar. Die verfassungsrechtliche Vorgabe der Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen hat in der Realität zu Recht weiten Raum gegriffen. Finanziell umgesetzt wird dieses Prinzip durch den bundesstaatlichen Finanzausgleich, der die Verteilung der Steuern zwischen Bund, Ländern und Kommunen regelt, aber auch für einen finanziellen Ausgleich zwischen den Ländern sorgt. Mit ihrer Vorgabe waren die Väter und Mütter des Grundgesetzes weiter als manch ein Politiker heutzutage, denn die Idee des Länderfinanzausgleiches gerät aktuell in arge Bedrängnis: Die gesetzlichen Regelungen sind bis zum Jahr 2019 befristet.
Dies nutzen die Geberländer Hessen, Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen, um »grundlegende Reformen« am System einzufordern. Mit dem Argument, die steigende und einseitige Belastung der Geberländer ermögliche den Nehmerländern ein höheres Leistungsangebot und erzeuge keine Anreize zur Erzielung höherer Einnahmen, soll der Länderfinanzausgleich massiv gesenkt und die Länder verstärkt auf ihre eigene Steuerkraft zurückgeworfen werden. Wahlweise werden Höchstgrenzen für die Beiträge der Geberländer, die Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs, ein System zur Annäherung der originären Steuerkraft im Rahmen der Umsatzsteuerverteilung oder die Steuerautonomie der Bundesländer gefordert.
Richtig ist, dass der Beitrag Bayerns – dort ist der Protest besonders schrill – von 2,2 Milliarden Euro in 2005 auf 4,3 Milliarden Euro in 2013 gestiegen ist. Die steuerliche Verteilmasse, das Ausgleichsvolumen zwi- schen Gebern und Nehmern, hat sich im gleichen Zeitraum von 4,2 Prozent des Steueraufkommens der Länder auf 3,8 Prozent verringert. Grund für die steigenden Geberbeiträge ist also, dass sich die Schere zwischen »Reichen« und »Armen« weiter geöffnet hat. Die Finanzkraft Bayerns lag 2013 vor dem Finanzausgleich bei 116 Prozent des Länderdurchschnitts, danach noch im-
Daniela Trochowski mer bei 106 Prozent über dem Durchschnitt. Den Geberländern stehen trotz der Umverteilung der Steuereinnahmen deutlich höhere finanzielle Mittel zur Verfügung. Von einer übermäßigen Belastung kann also keine Rede sein.
Besonders populär ist die These, dass der Finanzausgleich keine »Anreize« zur Erzielung höherer Einnahmen setzt. Abgesehen davon, dass bereits im aktuellen System derartige Anreize existieren – so verbleiben beispielsweise in Bayern bei einer Erhöhung der Einkommensteuereinnahmen um eine Million Euro 51Prozent, in Brandenburg hingegen gerade 21 Prozent – entbehrt die Behauptung, die Regierungen der Nehmer würden aufgrund der Zuweisungen der Geber »eine ruhige Kugel schieben«, jeder Grundlage. Die fiskalischen Auswirkungen von politischen Entscheidungen – zum Beispiel hochwertiger Betreuungs- und Bildungsangebote – können oft nicht quantifiziert werden. Deshalb wird dieses Kalkül mit Blick auf den Länderfinanzausgleich auch nicht angestellt. Hinzu kommt, dass Unternehmen länderübergreifend verflochten sind. Dadurch kann die Änderung eines Gewinnabführungsvertrages in einem Konzern, so wie bei der Allianz geschehen, schnell dazu führen, dass ein Bundesland plötzlich auf Steuern verzichten muss, ein anderes diese erhält.
Bei allen Auseinandersetzungen ist eines jedoch klar: Die Vorgabe der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse wird auch nach 2019 im Grundgesetz zu finden sein. Damit bleibt die Aufgabe des Finanzausgleichs, eine aufgabenadäquate Finanzausstattung in allen Ländern und damit ihre Handlungsfähigkeit zu garantieren, bestehen. Dies ist gerade für die ostdeutschen Länder bedeutend. Die originären Steuereinnahmen betragen hier je Einwohner nur rund die Hälfte des bundesdeutschen Durchschnittsniveaus. Die Ursache liegt im um mehr als 30 Prozent niedrigeren Bruttoinlandprodukt und ebenso geringeren Löhnen. Zahlreichen Wirtschaftsstudien zufolge wird sich dies in den nächsten Jahren nicht maßgeblich ändern. Die Sicherstellung eines funktionierenden Gemeinwesens auch in Ostdeutschland und die Gewährleistung des gesellschaftlichen Zusammenhalts trotz dieser erheblichen Unterschiede in der Steuerkraft sind die Herausforderung. Sie sollten zugleich die Grundlage für den bundesstaatlichen Finanzausgleichs ab 2020 bilden.