Mit offener Hose und scharfer Waffe
Weitere Vorwürfe gegen Bundespolizisten in Hannover: Vom Kollegen sexuelle Handlungen verlangt?
Gegen den Bundespolizisten, der in Hannover Flüchtlinge gequält haben soll, gibt es weitere Vorwürfe. Sexuelle Nötigung und unverantwortlicher Umgang mit der Schusswaffe stehen im Raum.
Ist der mutmaßliche Flüchtlingspeiniger in Uniform völlig durchgeknallt? Diese Frage drängt sich auf angesichts eines NDR-Beitrags, in dem ein Kollege des Bundespolizisten nahezu unglaubliche Vorgänge schildert. Vor zwei Jahren, so der Zeuge, habe derselbe Beamte im Aufenthaltsraum der Bahnhofswache die Hose geöffnet und sein Geschlechtsteil herausgeholt. Sodann habe er einem Kollegen die Dienstpistole an die Schläfe gehalten und diesen zu sexuellen Handlungen aufgefordert. Fünf weitere Bundespolizisten seien mit im Raum gewesen.
Auch dieser Vorfall sei, wie die Misshandlung der Flüchtlinge aus Marokko und Afghanistan, von keinem der Beamten einer höheren Dienststelle gemeldet worden. Und der Mantel des Schweigens, so berichtet der anonymisierte Polizist weiter, sei auch über das unverantwortliche Handeln mit der Dienstpistole gebreitet worden, mit dem der beschuldigte Beamte aufgefallen sei. Dadurch, dass er auf Kollegen die Waffe richtete oder sie ohne Grund aus dem Holster zog und in den Lauf blies, so wie ein Pistolenheld im Westernfilm.
Staatsanwalt Thomas Klinge bestätigte am Dienstag, dass auch die Sache mit der geöffneten Hose und der Dienstwaffe angezeigt worden ist. »Wir werden das alles im Rahmen der Ermittlungen untersuchen«, sagt der Ankläger.
Der Skandal in der Bahnhofswache hat deutschlandweit Empörung ausgelöst. So auch bei der Flüchtlingsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD). Sofern sich die Vorwürfe gegen den Beamten als zu- treffend erweisen, müsse die Bundespolizei über diesen Fall hinaus Konsequenzen ziehen, fordert die Abgeordnete. Die Polizei müsse deutlich machen, dass sie in ihren Reihen menschenverachtendes Verhalten nicht duldet.
Das verlangt auch Alexander Bosch, Polizeiexperte bei Amnesty International. Übergriffe, wie sie dem Polizisten in Hannover angelastet werden, seien als »rassistische Folter« zu werten. Wer Menschen so brutal quält, müsse angemessen bestraft und aus dem Polizeidienst entfernt werden. Es scheine an Menschenrechtsschulung und Antirassismus-Training bei der Bundespolizei zu fehlen, so Bosch im Gespräch mit »nd«. Unabhängige Stellen müssten alle Fälle von Polizeigewalt gründlich untersuchen. Leider sei bei der Politik in Deutschland noch nicht der Wille festzustellen, solche Kontrollinstanzen einzuführen.
Niedersachsens rot-grüne Regierungskoalition und auch die schwarz-gelbe Opposition fordern einmütig eine zügige und lückenlose Aufklärung der Affäre Bahnhofswache. Vermutlich wird sich auch der Innenausschuss des Landtages mit der Sache beschäftigen. Immerhin seien »mitten in Niedersachsen ganz offensichtlich Menschen gefoltert worden«, gab FDP-Innenexperte Gero Hocke in einem Fernseh-Statement zu bedenken.
Für das Schweigen von Kollegen zu den Taten, die dem Bundespolizisten vorgeworfen werden, hat Martin Schilff, Vorstandsmitglied der Polizeigewerkschaft GdP, kein Verständnis. Generell gebe es bei der Polizei keinen Kodex, der dazu veranlasse, das Fehlverhalten von Kollegen zu ignorieren.
Inwieweit das in Hannover doch geschehen ist, und wenn ja, wie viele und welche Kollegen sich schützend vor einen mutmaßlichen Straftäter in ihren Reihen stellten, muss nun die Staatsanwaltschaft ergründen. Am Montagabend stellten sich die Bundespolizisten im Einsatzanzug vor ihre hannoversche Wache, den etwa 300 Menschen entgegen, die dort spontan demonstrierten – gegen Rassismus und Polizeigewalt.
Übergriffe, wie sie dem Polizisten in Hannover angelastet werden, seien als »rassistische Folter« zu werten. Wer Menschen so brutal quält, müsse angemessen bestraft und aus dem Polizeidienst entfernt werden.