Mittelmaß für alle statt Deutsch für die Elite
Schulreform der französischen Regierung untergräbt laut Kritikern Fundament der bilateralen Beziehungen
Mit einem Streik haben am Dienstag Lehrer in Frankreich gegen eine Reform der Mittelschulstufe protestiert. Sie würde vieles von dem zerschlagen, was in der oft kritisierten Schule noch funktioniert.
Eine Bildungsreform ist in Frankreich dringend nötig. Das Land ist im europäischen Vergleich in den letzten Jahren vom 21. auf den 25. Platz zurückgefallen. Man geht davon aus, dass einer der Gründe, warum heute Jahr für Jahr rund 150 000 Kinder die Schule ohne Abschluss abbrechen, in dem starken Niveaugefälle und der daraus resultierenden Chancenungleichheit liegt. Dagegen will die Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem nun vorgehen. Ihre Vorlage für eine Reform des Collège, eine vierjährige Gesamtschule zwischen Grundschule und Gymnasium, führte jedoch dazu, dass tausende Lehrer am Dienstag in ganz Frankreich in den Streik traten.
Die Reform sieht vor, dass die Collèges mehr Autonomie erhalten, die Einzelbetreuung von Schülern verstärkt und das interdisziplinäre Angebot ausgebaut werden. Doch auch einzelne Fächer sind betroffen. Der Geschichtsunterricht, dessen Fülle an Fakten und Zahlen von vielen Schülern als übergroße Belastung empfunden wird, soll »verschlankt« werden. Das Erlernen von Latein und Altgriechisch soll fast völlig geopfert werden und auch an den Deutsch- unterricht setzt die Reform radikal den Rotstift an.
Tatsächlich dienen die nicht leicht zu erlernenden Sprachen Latein, Griechisch und Deutsch oft guten Schülern – und ihren ehrgeizigen Eltern – dazu, in Klassen mit hohem Niveau und entsprechend guten Aussichten für den weiteren Bildungsweg zu kommen. Damit soll Schluss gemacht werden, so Vallaud-Belkacem von der Sozialistischen Partei. Präsident François Hollande unterstützt sie dabei gegen die Kritiker, die von der Ministerin als »Pseudo-Intellektuelle« geschmäht werden.
Heute beginnen die Schüler in der Grundschule mit der ersten Fremdsprache – meist Englisch – und nehmen in der dritten Klasse des Collège eine zweite hinzu. Diese soll jetzt schon in der zweiten Collège-Klasse dazukommen. Gleichzeitig werden zwei Besonderheiten gestrichen: die Option von Doppel-Fremdsprachenunterricht schon vom Beginn des Collège an, bei dem oft Englisch und Deutsch als Kombination gewählt werden, und die »Europa-Klassen«, für die einige Fächer in einer dieser Sprachen unterrichtet werden. Das sei »zu elitär«, die dafür benötigten Lehrer und Unterrichtsstunden sollen auf alle Schüler verteilt werden.
Englisch wird nun durchweg zur ersten Fremdsprache. Deutsch gehört künftig zu den bis zu zwei Dutzend Sprachen, unter denen die Schüler wählen können – wobei sie sich oft für das für Franzosen relativ leicht zu erlernende Spanisch entscheiden.
Wenn die Ministerin und ihre Reform nicht gebremst werden, dürfte der Anteil der Schüler, die Deutsch lernen, nach Schätzungen des Deutschlehrerverband ADEAF von derzeit 15 auf fünf Prozent sinken. Das steht in eklatantem Widerspruch zum Elysée-Vertrag von 1963, dem zufolge die Sprache des Partnerlandes besonders zu fördern sei. Durch »Sprachlosigkeit« gefährdet sind die zahlreichen Programme zum Austausch von Schulklassen, Studenten, Wissenschaftlern und Bürgern von Partnerstädten, die ganz wesentlich zur Annäherung und Verständigung beider Länder beigetragen haben.
Die Deutsch-Französische Handelskammer betont derweil, dass der Nachbar der jeweils wichtigste Außenhandelspartner ist. Gewarnt wird, dass sich die Chancen für französische Techniker und Hochschulabsolventen, in deutschen Unternehmen einen Arbeitsplatz zu bekommen, extrem verschlechtern könnten.
Gegen eine mögliche Eintrübung der Beziehungen zwischen beiden Völkern haben mehr als 30 000 namhafte Persönlichkeiten und nahezu alle Deutschlehrer des Landes mit ihrer Unterschrift unter eine Petition an Präsident Hollande protestiert, auch dessen erster Premier Jean-Marc Ayrault, der selbst ausgebildeter Deutschlehrer ist. Vallaud-Belkacem bleibt davon unbeeindruckt. »Ich liebe Deutsch, ich liebe Deutschland«, sagte die Ministerin, die selbst Deutsch als erste Fremdsprache hatte, am Dienstag zu deutschen Journalisten.