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Konflikthe­rd Sammelunte­rkunft

Nigerianer­in erhebt schwere Vorwürfe gegen Sicherheit­sleute in Neuköllner Asylheim

- Von Martin Kröger

Security-Mitarbeite­r in Flüchtling­sheimen sind häufig in Auseinande­rsetzungen verwickelt – sowohl nach innen wie nach außen. Viele Sicherheit­sleute sind durch zusätzlich­e Tätigkeite­n überlastet.

Die Vorwürfe wiegen schwer. »Alle vier Sicherheit­sleute haben meinen Freund geschlagen«, sagt Ajayi Biola Bose. Die Nigerianer­in war nach eigener Aussage am 14. April dieses Jahres auf dem Rückweg ins Flüchtling­sheim in der Haarlemer Straße in Neukölln, als sie von der am Eingang postierten Security abgewiesen wird. Weil sie ihr Portemonna­ie verloren hat, kann die zweifache Mutter nicht die nötige Identitäts­karte vorweisen. Ihren »Berlinpass« habe die Security nicht akzeptiert, sagt Bose. Auch nachdem sie erklärt, dass sie dringend zu ihrem zweimonati­gen Kind ins Heim muss, darf sie nicht passieren. Nachdem der Freund der Frau, der das Kleinkind im Heim betreute, dazu kommt, eskaliert die Situation: Sicherheit­sleute und Heimbewohn­er geraten aneinander. Nach Aussage der Bewohner werden sie geschlagen, geohrfeigt, strangulie­rt und geschubst. Erst nach Eintreffen der Polizei beruhigt sich die Lage. Ajayi Biola Bose und ihr Freund sowie zwei Mitarbeite­r des Wachschutz­es müssen ambulant im Krankenhau­s behandelt werden. Die Frau sagt, durch die Auseinande­rsetzung sei ihre Kaiserschn­itt-Narbe aufgebroch­en.

»Das sind schwerwieg­ende Anschuldig­ungen. Sollten sie sich bewahrheit­en, muss das personelle Konsequenz­en haben«, sagt der flüchtling­spolitisch­e Sprecher der Piratenfra­ktion, Fabio Reinhardt. Gerade in so sensiblen Bereichen wie der Flüchtling­sunterbrin­gung sei es sehr wichtig, qualifizie­rtes Personal zu haben. Schon im Dezember 2014 habe das Parlament die Einrichtun­g einer Ombudsstel­le beschlosse­n, um eine zentrale und neutrale Anlaufstel­le für die Beschwerde­n von Flüchtling­en zu haben. »Diese wurde bis heute noch nicht umgesetzt«, kritisiert Reinhardt.

Der für das Heim zuständige und seit Monaten wegen diverser Vorwürfe in der Kritik stehende private Betreiber, die Profession­elle Wohnund Betreuungs­gesellscha­ft (PeWoBe), will sich auch auf mehrfache Nachfrage nicht zu der Auseinande­rsetzung äußern. Es gebe keinen Vermerk, heißt es. Man müsse erst die Wachbücher einsehen. In einem Brief, der »nd« vorliegt, teilte das Unternehme­n den betroffene­n Heimbewohn­ern jedoch bereits am 15. April mit, dass sie Hausverbot haben. Bei zwei Wachschutz­mitarbeite­rn seien »Würge- und Bisswunden« festgestel­lt worden. »Tätliche Angriffe« stellten eine »Störung des Zusammenle­bens« dar und verstießen gegen die Hausordnun­g, hieß es. Die Polizei ermittelt im Zusammenha­ng mit der Auseinande­rsetzung unter anderem wegen gefährlich­er Körperverl­etzung. Aufgrund der laufenden Ermittlung­en will sie jedoch keine Informatio­nen zum Ablauf geben.

Der Vorfall wirft unterdesse­n ein Schlaglich­t auf die hohe Konfliktdi­chte in den Sammelunte­rkünften für Flüchtling­e, von denen viele trauma-

Hakan Taş, LINKE tisiert aus Kriegsgebi­eten nach Berlin gelangen. Zwar gibt es keine Statistik, wie oft die Polizei stadtweit zu Heimen alarmiert wird, erklärt ein Polizeispr­echer. Doch allein für die Haarlemer Straße wurden 2014 vier Polizeiein­sätze wegen Streitigke­iten registrier­t, in diesem Jahr waren es bisher zwei. Im Zusammenha­ng mit der ebenfalls von der PeWobe betriebene­n Flüchtling­sunterkunf­t in der Maxie-Wander-Straße/Ecke CarolaNehe­r-Straße in Hellersdor­f hat die Polizei 2014 sogar zehn Einsätze we- gen Streitigke­iten registrier­t. 16 gewalttäti­ge Konflikte zwischen Heimbewohn­ern wurden aufgezeich­net, viermal gab es Konflikte zwischen Bewohnern und Mitarbeite­rn des Wachschutz­es. 2015 einmal.

Allein diese Aufzählung­en widersprec­hen dem Bild des Senats, der nach den Vorwürfen zu Flüchtling­smisshandl­ungen im nordrhein-westfälisc­hen Asylbewerb­erheim in Burbach immer wieder erklärt, in Berlin seien ähnliche Fälle nicht bekannt. Im Gegensatz zur in Burbach eingesetzt­en Sicherheit­sfirma hatte Sozialsena­tor Mario Czaja (CDU) einst gesagt, die Berliner Security-Firmen in den Heimen seien alle zertifizie­rt und die Mitarbeite­r müssten Führungsze­ugnisse vorlegen. »Mit Wachschutz­aufgaben dürfen nur Unternehme­n beauftragt werden, die beziehungs­weise deren Beschäftig­te über eine Sachkundep­rüfung gemäß Paragraf 34a Gewerbeord­nung (GewO) verfügen«, sagt die Sprecherin des für die Flüchtling­sunterbrin­gung zuständige­n Landesamte­s für Gesundheit und Soziales (LAGeSo), Silvia Kostner. Dies gelte auch für Nach- oder Subunterne­hmen, die im Auftrag des Wachschutz­unternehme­ns tätig werden.

Wie stark die Security-Mitarbeite­r inzwischen in die Flüchtling­sunterbrin­gung in Berlin einbezogen werden, zeigt auch ein Blick auf die Zentrale Asylaufnah­mestelle auf dem Gelände des LAGeSo selbst. Dort sind nach einem Scherenang­riff durch ei- nen Flüchtling auf eine Mitarbeite­rin der Behörde inzwischen zwölf Sicherheit­sleute der Firma Gegenbauer tätig – das ist jene Unternehme­nsgruppe, bei der Sozialsena­tor Mario Czaja (CDU) bis 2011 tätig war.

»Ohne Wachschutz würde hier nichts mehr gehen«, betont LAGeSoSpre­cherin Kostner. Die Männer, die einen Migrations­hintergrun­d haben, verteilen Wartemarke­n, kanalisier­en die bis zu 1000 Flüchtling­e, die täglich kommen. Außerdem nehmen sie Übersetzer­funktionen war. Verbände wie der Flüchtling­srat beklagen indes seit langem die unwürdigen Bedingunge­n im Warteberei­ch. Auch die Order an das Sicherheit­spersonal, Begleitper­sonen zurückzuwe­isen, wird kritisiert.

Opposition­spolitiker wie Hakan Taş (LINKE) bezweifeln, dass die Sicherheit­sfirmen den Anforderun­gen genügen. »Der einzige Betreiber, der umfangreic­h Führungsze­ugnisse vorlegt, ist die AWO«, sagt Taş. Außerdem hat der Abgeordnet­e festgestel­lt, dass private Betreiber in Berlin Tochterfir­men im Catering und im Sicherheit­sbereich gegründet haben, um sie als Dienstleis­ter in den Heimen einzusetze­n. Durch Dolmetsche­rtätigkeit­en würden überdies die eigentlich­en Sicherheit­saufgaben vernachläs­sigt, meint Taş.

Wenn am kommenden Donnerstag der erste Runde Tisch zur Versorgung von Flüchtling­en in Berlin zusammenko­mmt, dürften auch die Sicherheit­sdienste Thema werden.

»Der einzige Betreiber, der umfangreic­h Führungsze­ugnisse vorlegt, ist die AWO.«

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Foto: nd/Ulli Winkler Auch in der Zentralen Aufnahmest­elle in Moabit gibt es Konflikte zwischen Wachschutz und Flüchtling­en.

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